architektur.aktuell 03/1998
International
Carsten Roth: Körper-Sprache / Body Language
Von/by Klaus-Dieter Weiß
Büro- und Ausstellungsgebäude in Siek bei Hamburg, Deutschland
Der nachrückenden Generation junger Architekten bleibt heute vielfach die Aufarbeitung. Aufstockung und Ausbau, Erweiterung und Umbau, Umgestaltung und Umnutzung, Ergänzung und Revitalisierung lauten die Aufgaben, die aus so mancher voreiligen Gedankenlosigkeit auftragsverwöhnter älterer Jahrgänge resultieren – wenn noch etwas zu retten ist. Hoffnungsloser denn je scheint die Lage der Architektur in den Gewerbe- und Industriegebieten, den Wegwerflandschaften unserer Stadtkultur. Hier von einem Reparaturfall zu sprechen, käme angesichts der flächendeckenden Verbrüderung von Umsatzkultur und Kulturverfall niemandem in den Sinn. Lange vor der 1965 von Alexander Mitscherlich und Christopher Alexander gegeißelten Auslagerung von Gewerbe und Industrie auf den Müllabladeplatz der Urbanität war die Verbannung der Architektur stillschweigend besiegelt, Revision nicht zugelassen. Jeder der Profiteure findet dafür ein Argument, das mit dem Gemeinwohl zu tun hat. Nicht von ungefähr ist Carsten Roth mit dieser heiklen Aufklärungsarbeit im Speckgürtel von Hamburg nur zufällig betraut worden, dank der “Gelben Seiten” der Telekom. Mit einem ähnlich glücklich beauftragten zweiten Bau dieser Art in Hamburg Barsbüttel, dessen Fertigstellung kurz bevorsteht, erweist sich Carsten Roth als Hoffnungsträger mit ausgewiesenen Heilerfolgen. (…)
Georg Augustin und Ute Frank: Urbane Inseln im Museum der Platte / Islands of Urbanity in the Slab Museum
Von/by Claus Käpplinger
Zwei Wohnhöfe in Berlin-Lichtenberg, Deutschland
Am dunkelblauen Putz der neuen Wohnhäuser entzündeten sich in der Bezirksversammlung von Lichtenberg die Gemüter. Von “Bunker” und einer Störung des Ortsbildes war die Rede, wo das in die Jahre gekommene DDR-Plattenbauviertel “Hans Loch” im Osten Berlins einen kleinen urbanen Nukleus erhalten hatte, der in seiner materiellen und ästhetischen Qualität so manche der nahen bunten Plattensanierungen in den Schatten stellte.
Doch gerade wohl aus diesem Grunde standen die beiden neuen Blockgevierte mit 215 Sozialwohnungen, mehreren Geschäften und Büros im Kreuzfeuer der Kritik, da sie nicht in das gewohnte Bild paßten. Weder Zeile noch Block, handelt es sich bei ihnen um Blockrandbebauungen, die sich bewußt nicht ihrer Umgebung verschließen, sondern sich ihr mit überraschenden Hausspalten und Durchgängen öffnen. Und ungewöhnlich muten nicht nur ihr Putz, sondern auch die Häuser selbst an, die ihr Bekenntnis zu großen Baukörpern mit sehr lebhaften Binnengliederungen und Topographien verbinden. (…)
RENZO PIANO Kontemplation, Architektur und Kunst
Von/by Cornelia Frösch
Im Oktober vergangenen Jahres wurde in Riehen bei Basel das neue Museum für die Stiftung Beyeler von Renzo Piano eingeweiht. Publikum und Kritiker sind gleichermaßen begeistert von der “Bescheidenheit”, mit der der Neubau auf dem Grundstück des barocken Berowerguts auf postmoderne oder technizistisch-ironische Allüren verzichtet und in gewisser Weise sogar dem Wunschtraum von einem Museum zu entsprechen scheint, das kein anderes Ziel hat, als seinen Exponaten ein durch Zurückhaltung förderlicher Hintergrund zu sein. (…)
Peter Märkli: Das nackte Wohnhaus / The Naked House
Von/by Andreas Valda
Einfamilienhaus in Erlenbach, Schweiz
In Erlenbach bei Zürich steht der neueste Bau des Schweizer Architekten Peter Märkli. Das Einfamilienhaus stellt äußerlich eine simple Kiste aus Sichtbeton dar. Damit erregt der Architekt ziemlich Aufsehen, denn er realisierte einen Grad von Reduktion, der entweder nur Kopfschütteln oder dann – beträchtliches Staunen auslöst. Märkli ordnet alle gestalterischen Anstrengungen der sinnlichen Klarheit unter. Dabei setzt er sich scheinbar über jegliche bauphysikalische Regel hinweg. Diese kann er aber nur überwinden, indem er die Möglichkeiten modernster Techniologien auslotet, so setzt er zum Beispiel eine Flachdachisolierung ein, die wie ein Lack auf Beton aufgetragen wird und damit einen aufgesetzten Dachrand überflüssig macht. Diese fast klösterliche Kargheit des Baues erinnert an Entwürfe von Corbusier, und sie setzt sich auch im Innern entwerferisch fort: Die engen Platzverhältnisse und ein strenges, optisches Konzept zwingen zur Bescheidenheit und disziplinierten Ordentlichkeit. (…)
Essay
Schöne, neue Disneywelt. Die Stadt als Themenpark / Beautiful, new Disney World. The city as theme park
Von/by Anette Baldauf und/and Katharina Weingartner
Vom inszenierten Spaß im Vergnügungspark zur Simulierung des perfekten Lebensraumes: Der Disney Konzern baut aus. Hollywoods führender Gesellschaftsvisionär beauftragte Stararchitekten mit dem Bau einer utopischen Stadt: In “Celebration”, gebaut auf sumpfigem Brachland in der Vorstadt Orlandos, feiern bald 20.000 Bewohner die Rückbesinnung auf traditionelle Werte.
Zugleich mit der romantisierten Wiederauflage der alten Kleinstadt im suburbanen Bereich laborieren Disneys Strategen an der Renovierung des berüchtigten Times Square in New York: Zerstückelung, Säuberung, Privatisierung und themenspezifische Präsentation bestimmen die Montage der Innenstadt. Gemeinsam mit Unterhaltungskonzernen wie Warner, Bertelsmann, Virgin und Sony verwandelt Disney die verruchteste Straßenkreuzung der Welt in einen kontrollierten Themenpark ihrer eigenen Neon-flimmernden Vergangenheit. (…)
Österreich
Max Rieder: Gebrochene Klassizität / Broken Classicism
Von/by Matthias Boeckl
Sozialer Wohnbau in Salzburg-Itzling
Wie soll sich ein sozialer Mietwohnbau in einer indifferent mit Sechzigerjahr-Blocks und Freiräumen gegliederten Vorstadtsituation verhalten? Ist es noch (oder wieder) legitim, “Sprache” und “Gefühl” als Gestaltungskategorien dieser Aufgabe zu interpretieren? Ist Material- und Körpersprache das hier angemessene Idiom? Max Rieders sozialer Wohnbau in Salzburg wirft alle diese nach wie vor brisanten Fragen auf – und bietet auch einige interessante Antworten an. (…)
Nehrer + Medek: Schulbau vom Feinsten / A First Rate School Building
Von/by Jan Tabor
Volksschule in Gänserndorf, Niederösterreich
Gänserndorf wächst. Es ist kein Dorf mehr und noch keine Stadt. Etwa vierzig Minuten benötigt die Schnellbahn, um die Distanz zwischen Wien und Gänserndorf zu überwinden. In diesem nordöstlich von Wien gelegenen Ort bauen sich jene semiurbanen Menschen, die in Wien arbeiten (müssen) und am Land wohnen (wollen), ihre Einfamilienhäuser. Denn die Grundstückspreise sind hier noch günstig. Dieser Einwohnerzuwachs machte jedenfalls den Bau einer neuen Volksschule notwendig, weshalb ein geladener Wettbewerb ausgeschrieben wurde. Die Bedingungen waren hart: ein bescheidenes Baubudget, ein extrem schmales und langes Grundstück (50 mal 300 Meter) am zersiedelten Ortsrand und “Ökobauweise” – die Elterninitiative wünschte Holz, viel Holz, alles aus Holz. Im Herbst 1994 wählte die Jury (Vorsitz: Helmut Richter) den Entwurf von Manfred Nehrer und Reinhard Medek aus. Das Baumaterial Holz kam darin zwar nur sporadisch vor, dafür zeichnete er sich durch viele andere Vorzüge aus. Jetzt ist die Schule fertig und tatsächlich in jeder Hinsicht vortrefflich. Und statt der veranschlagten 80 kostete sie nur 69 Millionen Schilling. Diese Ökonomie hat sich auf die Klarheit des Konzeptes, die Einfachheit der Konstruktion und die Eleganz der Ausführung aber sehr wohltuend ausgewirkt.