architektur.aktuell 03/2002
OMA – Office for Metropolitan Architecture: Prada Epicenter in New York, USA
Photos: OMA, Armin Linke;Text: Dominique Boudet
The Art of Selling
Die Eröffnung eines Geschäftes in New York ist selten ein architektonisches Ereignis. Im Dezember letzten Jahres jedoch stürmte alles, was in der Welt der Mode, der Kunst und des Show Business Rang und Namen hat, zur Einweihung der neuen, von Rem Koolhaas gestalteten Prada-Boutique. Zusätzlich zum Ausmaß des Projekts (ca. 2.500 m2) und zur Höhe des mutmaßlichen Budgets, wonach dieses Objekt das Geschäftslokal mit den höchsten Investitionskosten pro Quadratmeter in der Geschichte der Stadt wäre, lockte die etwas skeptisch angehauchte Neugier auf die Ergebnisse der Zusammenarbeit zwischen der als innovativ und provokationsfreudig bekannten italienischen Marke und dem Theoretiker des Phänomens “Shopping”.
Stephan Braunfels: Paul-Löbe-Haus, Abgeordneten- und Ausschussgebäude des Deutschen Bundestages in Berlin, Deutschland|Paul-Löbe-Haus, Parliamentary Committee and Members Building of the German Parliament in Berlin, Germany
Photos: Linus Lintner, Roland Halbe;Text: Claus Käpplinger
Vibrierende Energien
Ein sehr, sehr großes Gebäude ist mit dem Paul-Löbe-Haus entstanden, das seit kurzem den Abgeordneten des Deutschen Bundestages als Ausschussgebäude dient. 200 Meter lang und acht Geschoße hoch ist das Haus an der Seite des Reichstages mit 21 Ausschusssälen und den Büros von 170 Abgeordneten. Monumental, vielgestaltig und verspielt besetzt es nun die östliche Hälfte des Spreebogens. Streng linear folgt es mit hohen monolithischen Wandscheiben der monumentalen Geste von Axel Schultes’ städtebaulicher Vorgabe “Band des Bundes”, setzt gegen Osten zum Sprung über die Spree an und demonstriert dabei sowohl Offenheit wie Distanz zum Alltag der Großstadt. Einen einzigartigen urbanen wie beschützten Raum birgt es dazu in seinem Innern, ein 155 Meter langes und 32 Meter breites Atrium, das die wechselnden Versammlungen der Parlamentarier technoid, futuristisch und interaktiv in den Raum der Stadt einbettet.
ARTEC: Wohnbau in Wien-Favoriten|Housing Development in Vienna, Austria
Photos: Paul Ott, Margherita Spiluttini;Text: Gabriele Kaiser
Wege weben
Die Ästhetik der Oberfläche muss hier über die Qualität der bis in die Tiefenschichten durchdachten Grundstruktur keine Triumphe feiern. Die Wohnhausanlage auf dem Gelände der ehemaligen Steyr-Werke in Wien-Favoriten – von den Architekten infolge eines 1998 gewonnenen städtebaulichen Expertenverfahrens gemeinsam mit zwei Genossenschaften realisiert – erweist sich trotz ihrer Größe, Dichte und der naturgemäß eingeschränkten Bewegungsfreiheit im geförderten Wohnbau als überraschend durchlässig und offen. Angesichts der “herausragenden” Verflechtung von Quer-Riegel und Längs-Balken ist bei diesem großmaßstäblichen Gefüge die Metapher vom räumlichen Weben schnell zur Stelle. Aber wie und was wird hier verwoben? An welchem Stoff wird hier gewirkt? Geht es in diesem Fall – ganz im Unterschied zum textilen Gewebe – nicht viel mehr um ein Aufbrechen von Strukturen, weniger um die Dichte des Stoffs als vielmehr um die aussichtsreichen Löcher zwischen den Fäden?
BUS Architektur: Compact City in Wien-Floridsdorf|Compact City in Vienna, Austria
Photos: Anna Blau, Nikolaus Similache;Text: Matthias Boeckl
Kompakter Stadt-Generator
Fundamentale Experimente mit der Typologie von Wohn- oder Büro- und Geschäftsbauten sind in Wien – angesichts des mit der Erfahrung entwickelten Selbstbewusstseins von Verwaltung und Investoren – eher selten. Eine günstige Konstellation von Architekten-Beharrlichkeit, einem lokalen Planungsdefizit und einigen vorausblickenden Akteuren an den entscheidenden Stellen ließ jedoch bei der “Compact City” – einem fast kompletten Stadtmodell in der Größe eines Blocks – zumindest die Möglichkeit neuer Nutzungsformen und -Synergien in einem gemischten urbanen development für zukünftige Gesellschaftsformen entstehen.
Reinhold Weichlbauer, Albert Josef Ortis: wohnDNA in Gratkorn, Steiermark|wohnDNA in Gratkorn, Austria
Photos: Peter S. Eder;Text: Nikolaus Hellmayr
Geordnetes Chaos
Der Wohnbau von Weichlbauer und Ortis in Gratkorn bei Graz ist Ergebnis eines komplexen Formfindungsprozesses. Vergleichbar mit den Prinzipien der Thermodynamik, die ihre Ordnungshierarchien aus der Abweichung von einem absoluten Gleichgewichtszustand ableitet, durchbricht das Projekt kanonisierte Normen im Wohnbau in einem kalkulierten Spiel mit modifizierten, algorithmischen Zufallsprozessen, Aspekten aus Chaostheorie, fraktaler Geometrie und fuzzy logic. Und der Unwägbarkeiten nicht genug, fordern die Regeln der Wohnbauförderung in der Steiermark – man mag es absurd oder bezeichnend finden – den Planungsprozess gleich einer Versuchsanordnung im Labor zu einer Nagelprobe heraus, indem in einem zweiten Planungsdurchgang das Bauwerk aus den Versatzstücken der bereits ausgeschriebenen ersten Planung wie ein Puzzle neu zusammengesetzt werden muss.
the next ENTERprise & Florian Haydn: Privates Hallenbad in Wien-Döbling|Private Swimming Pool in Vienna, Austria
Photos: Gerald Zugmann;Text: Bart Lootsma
Von Dachböden und Kellern
Beim Versuch, die österreichische Architektur der letzten Jahrzehnte zu charakterisieren, kommt einem unwillkürlich das Bild des Lorentz-Attraktors in den Sinn. Die ungeheure Vielfalt der Standpunkte nimmt die Gestalt eines Linienwerks an, das sich – ähnlich einer komplizierten Achterbahn – um zwei Pole herum anordnet. Einer dieser Pole steht für den behutsamen und evolutionären Umgang mit Traditionen; hier wird die Zurückhaltung des Architekten in den Vordergrund gestellt. Der andere Pol erhebt Modernität zum obersten Prinzip; der Architekt will Traditionen durchbrechen, mitunter mit Wut und Gewalt. Man könnte nun meinen, dass diese Polarität die Architekturgeschichte überall und zu allen Zeiten gekennzeichnet hat. Nirgendwo jedoch scheint sie so manifest zum Ausdruck zu kommen wie in Wien.
Irmfried Windbichler: Tagesheimstätte für behinderte Jugendliche in Pischelsdorf, Steiermark|Day Care Centre for Handicapped Young People in Pischelsdorf, Austria
Photos: Irmfried Windbichler;Text: Matthias Boeckl
Zeichen setzen
Bauen mit Minimalbudget und in enger Interaktion mit engagierten Bauherren, die aus Idealismus “kostengünstigere” Details, Ausstattungen und Eigenleistungen einbringen – diese Situation ist jedem bekannt, der im ländlichen Raum Wohnbauten plant. Irmfried Windbichler hat es aber zustande gebracht, ein anspruchsvolles Architekturkonzept bei einer Sozialeinrichtung zu realisieren, deren Träger – betroffene Eltern behinderter Kinder – besonders tatkräftig mitmachen. Aufwendig “andere” Planungs- und Nutzungsformen sowie strikte Sparsamkeit hielten sich dabei als Herausforderungen die Waage.
awg_AllesWirdGut: DOZ DOrfZentrum in Fließ, Tirol|DOZ Village Centre in Fliess, Austria
Photos: Hertha Hurnaus;Text: Barbara Keiler
Das Haus als Weg und Platz
So sieht das Modell einer intakten dörflich-alpinen Gesellschaft aus: Agrarbüro, Tourismus-Information, Dorfcafé, Jugendraum und Mehrzwecksaal finden auf vier Ebenen ebenso Platz wie Depots und Ausstellungsräumlichkeiten für archäologische Funde. Der kompakte Baukörper setzt sich zwar in Form und Material von den umgebenden Objekten ab, drängt sich aber nicht in den Vordergrund, denn seine Proportionen und Strukturen sind mit Bedacht gewählt. Wandpaneele aus Nuss- und Eichenholz sowie geschliffene Estriche oder Schieferplatten als Bodenbeläge harmonieren mit Sichtbeton an Wänden und Decken oder den graugrünen Sitzbänken im Café. Geschickter Umgang mit den dorfräumlichen Gegebenheiten und großzügig wirkende Multifunktion auf engem Raum stiften neue Identität: Die Dorfgemeinschaft hat ein Zentrum, eine neue Mitte gefunden.
Small&Smart
R&R Studios: The Living Room in Miami-Florida, USA
Photos: Roberto Behar, Rosario Marquardt;Text: Jean-Francois Lejeune
Der Living Room oder das moderne Wunderbare
Zum Thema der Entartung der “Moderne” zu “Modernismus” verwies Renato Poggioli in seiner The Theory of the Avant-garde (1968) auf den “fehlgeschlagenen Versuch das auszudrücken, was die Surrealisten, dem Beispiel Gautiers und Baudelaires folgend, das moderne Wunderbare nannten”. Dem Autor zufolge brachte dieses Unvermögen mit sich, “dass die moderne Imagination von Geburt an unfähig ist, wenn es an das Schaffen von Mythen und Legenden geht”; und er fragt: “Warum betrachten wir gewisse Aspekte des modernen Lebens nicht mit munterer Unbefangenheit und ersinnen daraus eine neue poetische Magie, neue Mythen und Fantasien?”
R&R Studios: The Living Room in Miami-Florida, USA
Text: Jean-Francois Lejeune
Der Living Room oder das moderne Wunderbare
Zum Thema der Entartung der “Moderne” zu “Modernismus” verwies Renato Poggioli in seiner The Theory of the Avant-garde (1968) auf den “fehlgeschlagenen Versuch das auszudrücken, was die Surrealisten, dem Beispiel Gautiers und Baudelaires folgend, das moderne Wunderbare nannten”. Dem Autor zufolge brachte dieses Unvermögen mit sich, “dass die moderne Imagination von Geburt an unfähig ist, wenn es an das Schaffen von Mythen und Legenden geht”; und er fragt: “Warum betrachten wir gewisse Aspekte des modernen Lebens nicht mit munterer Unbefangenheit und ersinnen daraus eine neue poetische Magie, neue Mythen und Fantasien?”