architektur.aktuell 04/1998
International
Miroslav Sik: Bilder mit der halben Wahrheit / Pictures Containing Half Truth
Von/by Andreas Valda
Um- und Neubau eines Kongreßzentrums in Morges am Genfersee, Schweiz
Analoge Architektur hat Ende der achziger Jahre die Architekturszene mächtig aufgewühlt. Prägend in Erinnerung sind A0-Format große, fotorealistische Bilder, die stets einen düsteren, bestenfalls melancholischen Eindruck hinterließen. Gelehrt wurde diese Denk- und Entwurfsrichtung an der ETH Zürich, wobei ihr wichtigster Protagonist der gebürtige Tscheche und Oberassistent Miroslav Sik war. Er zog die Entwurfslehre in der Art eines Meisterunterrichts auf. 1991 beendete er sein Engagement als Oberassistent an der ETH. Mit guten Grund: Er hatte zwei Wettbewerbe für Um- und Neubauten gewonnen. Ein Direktauftrag für ein Musikerwohnhaus kam 1992 hinzu. Alle drei Objekte sind nun realisiert. Anhand dieser Bauten kann nun überprüft werden, wieweit die Analoge Architektur ihr Versprechen, daß sie den Graben zum breiten Publikum überwinde, tatsächlich einlöst. Zentral für den Entwurf ist dabei die Herstellung eines dem Ort analogen Stimmungsbildes.(…)
Nenad Fabijanic: Persönlicher Minimalismus : barockisierender Eklektizismus / Personal Minimalism : Baroque Eclecticism
Von/by Vera Grimmer
Am architektonischen Parcours durch Plecniks Ljubljana, zwischen dem berühmten Uferverbau und der Nationalbibliothek, hat der Zagreber Architekt Nenad Fabijanic in einem Hause aus dem 18. Jahrhundert eine Designgalerie und eine Bar gestaltet. Sein Umbau bringt in die mitteleuropäische Atmosphäre dieser Stadt einen Hauch des Mediterranen, der da gar nicht so fremd ist, war doch der mediterrane Kulturbereich auch für Plecnik eine ständige Inspirationsquelle.
Die Designgalerie “Zebra” erstreckt sich über zwei Etagen, wobei im Eingangsgeschoß kostbares Glas und besondere Weine zum Kauf angeboten werden, während im Obergeschoß größtenteils Möbel und Objekte des Laibacher Designers Oskar Kogoj ausgestellt sind. Die einige Stufen unter dem Straßenniveau liegende Tagesbar erhielt eine nächtliche Atmosphäre, in der der Besucher rasch dem Alltag entfliehen kann. Mit einigen zurückhaltenden, doch deutlich artikulierten Zeichen außen: der schwarzweißen Marmorskulptur am Galerieeingang oder dem leichten, transparenten Onyxvordach des Bareingangs wird im Straßenraum auf die Ereignisse hinter den Fassaden aufmerksam gemacht. Die Gestaltung, die sich zwischen Kontextualität und Autonomie bewegt, ist in sich stimmig und affirmativ, ohne größere Risse oder Momente des Zweifels.(…)
Hermann & Valentiny: Materialtextur statt Form / The Texture of Materials instead of Form
Von/by Ina Nottrot
Wohnanlage in Dudelange, Galerie in Luxemburg-Stadt, Einfamilienhaus in Sanem, Luxemburg
Für ihren Kundenkreis sind Hubert Hermann und Francy Valentiny seit numehr 18 Jahren in geradezu symbiotischer Weise über das Signum H & V zur Einheit verschmolzen. Sogar die räumliche Distanz ihrer Ateliers – mit dem Auto sind Hubert Hermann in Wiens 5. Bezirk und Francy Valentiny im luxemburgischen Remerschen immerhin elf Stunden voneinander entfernt – beeinträchtigt ihre Partnerschaft keineswegs. Weit eher als die geographische bilde die mentale Distanz eine gewisse Hürde, sagen wir, es ist halt ein großer Unterschied, auf das Wasser der Mosel und die noch blätterlosen Weinstöcke zu schauen oder auf eine Gründerzeitfassade und knospende Kastanienbäume.(…)
Drei sehr unterschiedliche Bauvorhaben – mit zudem drei recht verschieden nuancierten architektonischen Aussagen – realisierten Hermann & Valentiny im Zeitraum von 1993 bis 1997 im Großherzogtum und hinterließen vom sozialen Wohnungsbau über eine Galerie bis hin zum Einfamilienhaus ausdrucksstarke Zeichen in der luxemburgischen Architekturlandschaft.(…)
Essay
Prag, Nationalismus und Moderne oder Die Bürgerliche Internationale / Prague, Nationalism and Modernism or The Internationale of the Bourgeoisie
Von/by Stephan Templ
Was unserer Architektur fehle, war 1916 in der tschechischen Zeitung “Venkov” zu lesen, sei “der gesunde Sinn für kräftige Vollblutfarben”. Kein kriegsbegeisteter Redakteur schrieb diese Zeilen – es war niemand geringerer als der Architekt Pavel Janák. Der treffsichere Analytiker Wiens und Wagners kämpfte hier für nichts anderes als die Akzeptanz seiner Architekturvorstellungen, für die wenig populäre tschechische Nationalmoderne, den Kubismus. Das “Vollblut-Farbkonzept” hätte ihn vermutlich auch nicht populärer gemacht. Er war zu scharfkantig. Das Aufbrechen des Fassadenblocks, die Auflösung der Zentralperspektive, das Überwinden der Horizontalen und Vertikalen, das Entstehen einer dritten, geneigten Ebene bilden entweder eine tiefe Einkerbung oder eine Ausbuchtung, wo sich Licht und Schatten trennen, so werden unzählige visuelle Figuren geschaffen. Vexierbilder, in denen sich die komplizierte Vielfältigkeit des Habsburgerstaates widerspiegeln – ja, die dessen Aufsplitterung symbolisieren.(…)
Neubauten in Prag: Jean Nouvel und der Umbau eines legendären Arbeiterbezirks / New Buildings in Prague: Jean Nouvel and the Conversion of a Legendary Working Class Area;
Jiran/Kohout: Wohn-Bürokomplex / Apartment and Office Building
Von/by Stephan Templ
Ja, mach nur einen Plan / Sei nur ein großes Licht! / Und mach dann noch ‘nen zweiten Plan / gehn tun sie beide nicht.
Nach vier Jahrzehnten Planwirtschaft weiß man in Prag ein Lied davon zu singen. Längst hat man die ewigen Analysen und Pläne – die sowieso keine Resultate zeitigten – satt und schenkt dem Brecht-Song Glauben, man wurstelt sich durch die Stadt. Im Autoverkehr genauso wie in der Politik. Pläne sind suspekt. Daher erhält die junge Tschechische Republik auch keinen Parlamentsneubau, viel lieber stellt man die alte habsburgische Ordnung wieder her, mit dem Stadthalter/Kaiser auf der Burg und der Landesverwaltung unten im Tal der Kleinseite. Die Bürokratie frißt sich dort durch die alten Fürstenpalais, sie frißt sich bis zu den Wallenstein’schen Pferdeställen durch, wo die Senatoren dicht an den Futtertrögen sitzen werden – so hat es die Denkmalbehörde vorgeschrieben: Die Barocknäpfe müssen bleiben. Und das sind Details, die bewegen. Daß malerisch im mittelalterlichen Gassengewirr gelegene Residenzbauten nicht zu einem Regierungs- und Kanzleiviertel umgebaut werden können, das hat sich indes schon herumgesprochen. Internationale Firmen lassen sich deswegen in den Vorstädten nieder und bauen sie um.(…)
Österreich
Markus Geiswinkler + Kinayeh Aziz: Architektur-Sandwich / An Architecture Sandwich
Von/by Liesbeth Waechter-Böhm
Umbau der “Galerie Image” in Wien-Innenstadt
Die Galerie ist nicht groß, aber in städtebaulicher Hinsicht ist ihre Lage bedeutsam. Denn sie befindet sich im Erdgeschoß eines – historisierenden – Hauses aus den siebziger Jahren, das einen Arkadengang aufwies, der schon von weitem den Blick auf die Ruprechtskirche eröffnete. Dieser Arkadengang wurde im Zug des Umbaus geschlossen, also flächenmäßig der Galerie zugeschlagen. Die Architekten haben diese Aufgabe durch eine großflächige Verglasung und zwei Geschäftseingänge an den alten Zugängen zur Arkade raffiniert gelöst. Letztere können in der warmen Jahreszeit vollständig geöffnet werden, als eine Reminiszenz an die ursprüngliche Situation. Die alte Fassade wurde durch den Umbau aber nicht angetastet, die Erweiterung ist eher als “Loggia” interpretiert – bei Tag höchst transparent, bei Nacht wie ein leuchtend-kristallines Gebilde, das in die Substanz hineingestellt ist.(…)
BUS-Architektur: Das Öffentliche im Privaten / The Public content in the Private Realm
Von/by Gabriele Kaiser
Wohnbebauung am Leberberg in Wien-Simmering
Der Wiener Leberberg ist ein typisches Stadterweiterungsgebiet der achtziger und neunziger Jahre: dicht und heterogen (bis zur destruktiven Unruhe), weder ländlich noch urban, mit unbefriedigender Verkehrsanbindung und schlechter Infrastruktur, mit unbewältigten umzäunten Restflächen. Wenn auch heute noch zutrifft, was Hermann Czech in den sechziger Jahren festgestellt hat, nämlich daß Freizeit für den Großstädter eben den Konsum von Stadt bedeutet, dann stellt sich die Frage, was man hier außerhalb der eigenen vier Wände eigentlich tun soll. Symptomatisch für diese neuen Siedlungsgebiete an der Peripherie sind aber auch ihre punktuellen architektonischen Stärken, die deutlich machen, daß Architekten trotz einer städtebaulich aussichtslosen Situation versucht haben, die öffentlichen und privaten Aspekte des Wohnbaus aus seiner Positionierung auf dem konkreten Grundstück heraus zu klären und zu formulieren. Zu diesen geglückten Beispielen am Leberberg gehören z.B. die Projekte von Walter Stelzhammer, Heidecker-Neuhauser (mit Christine Zwingl) und – der “blaue” Wohnbau von Claudio Blazica und Laura Spinadel (BUS-Architektur).(…)
Peter Raab + Konrad Rautter: Wohnkomfort / Comfortable Housing
Von/by Liesbeth Waechter-Böhm
Einfamilienhaus in St. Pölten, Niederösterreich
Das Haus steht auf einem gründerzeitlichen Firmengelände in einem Villenviertel der niederösterreichischen Landeshauptstadt. Das Grundstück selbst ist relativ knapp bemessen. An der Westseite haben die Architekten die strenge “Schachtel” einer Doppelgarage zwischen das Haus und das ziemlich nahe Nachbargebäude eingeschoben, hier liegt auch der Eingang. Die schmale Stirnseite – mit Übereckverglasung unten und Balkon oben – ist nach Süden orientiert. Im Erdgeschoß gibt es einen durchgehenden, teilweise zweigeschoßigen Wohnraum, der Eßplatz befindet sich dabei unmittelbar in Küchennähe. Eine Übereckverglasung Richtung Norden und die großzügige Verglasung Richtung Osten, wo der Nachbar nicht ganz so nahe an das Haus heranrückt und daher auch die Terrasse situiert ist, öffnen den Wohnraum zum Garten und dem schönen alten Baumbestand der Umgebung. Im Obergeschoß liegen die geräumigen Kinderzimmer und das Elternschlafzimmer, erschlossen durch einen zum Wohnraum offenen, wie eine Brücke eingespannten Gang bzw. eine Galerie.(…)