architektur.aktuell 06/2000

architektur.aktuell 06/2000

architektur.aktuell

Die animierte Form|Animate Form

Von|by Greg Lynn

Wenn man das Potenzial abstrakter Maschinen wie die computergenerierte Geometrie der Bewegung oder zeitgebundene, dynamische Kräftesimulationen ausnützen will, dann ist in ihrer Diskussion die Veränderung sprachlicher Konstruktionen zu bloßen Statements, oder besser: die Bewegung von der Bedeutung zur Maschine eine notwendige Verlagerung unserer Sensibilität. Diese Bewegung ist die primäre Erklärung der offensichtlichen Allianz zwischen bestimmten Aspekten der Diskurse von Deleuze und von Foucault. Sie erklärt auch jene zeitgenössische Architekten, welche der Kritik der Repräsentation zwischen Postmoderne und Dekonstruktivismus schon überdrüssig sind. In Deleuze’s Interpretation der Foucaultschen Panoptizismus-Kritik wird die konkrete architektonische Form in eine abstrakte Maschinen-Instrumentalität transformiert.


Häuselmayer/Ziesel: Überdachung des antiken “Hanghaus 2″ in Ephesos, Türkei|Protective Roof for the antique remains of Terrace House 2 in Ephesus, Turkey

Von|by Friedrich Achleitner
Bergwerk der Erinnerung im Tagbau

Wenn es sich auch um eine ironische Utopie handelt, aber ein Traum der Archäologen wäre es doch, das Ausgrabungsgut in einen konservatorischen Idealzustand zu hieven, also so etwas wie eine trockengelegte, “hinterlüftete Antike” herzustellen. In Ephesos hat man durch eine Überdachung erreicht, dass das Museum zum Ausgrabungsort kam und nicht mehr die wichtigsten Funde ins Museum wandern um dort, dislociert, ein verfremdetes Dasein zu fristen. Die Bedingungen des neuen Baus sind sogar so gut, dass man daran denken kann, bereits musealisierte Fresken wieder an ihren ursprünglichen Ort zurückzubringen.


Angonese+Scherer/Egger: Adaptierung der Josefsburg in der Festung Kufstein, Tirol|Adaptation of Josefsburg in the Fortress of Kufstein, Tyrol, Austria

Von|by Matthias Boeckl
Transformation ohne Substanzverlust

Das komplexe Problem der Neunutzung eines historischen Bestandes vom Rang und der Bedeutung der Festung in Kufstein findet eine architektonische Antwort erst am Ende eines langwierigen politischen, denkmalpflegerischen und technischen Entwicklungsprozesses. Das eigentliche architektonische Projekt wird dann vergleichsweise rasch realisiert, es zieht gleichsam die Ratio aus den vorangegangenen Überlegungen. Daher ist das, was man nicht sieht, was aber vorher gedacht wurde, ebenso wichtig wie die sichtbaren Veränderungen.


Max Pauly: Steg beim Heiligen Stein in Mitterretzbach, Niederösterreich|Footbridge at the Heiliger Stein (Holy Stone) in Mitterretzbach, Lower Austria

Von|by Walter Zschokke
Ein Steg von hier nach hier

Üblicherweise führen Stege von hüben nach drüben, überwinden ein topographisches Hindernis, einen Graben, ein Gewässer. Auf einer Anhöhe über Mitterretzbach krönt jedoch seit August 1999 eine Stegkonstruktion die flache Hügelkuppe, welche nicht in diese Kategorie passt. Sie dient vorab dem Vergnügen, der Aussicht. Als Kunst- beziehungsweise Architekturwerk steht sie aber in einer räumlichen Beziehung zu den Fundamenten einer Wallfahrtskirche aus dem 18. Jahrhundert und einem wesentlich älteren Schalenstein aus vorgeschichtlicher Zeit.


Valerio Olgiati: Das Gelbe Haus in Flims, Schweiz|The Yellow House in Flims, Switzerland

Von|by Martin Tschanz
Eine Provokation für Geist und Sinne

Ein Haus wie ein ausgebleichter Schädel. Kalkweiß strahlend, aber geschunden die Mauern, Bruchsteinmauerwerk voller Schrammen und Flicke, Holz, Stein und Beton wild gemischt. Und die sprossenlosen Fenster tief in den Höhlen, blind. Ein Memento mori, mitten im Feriendorf Flims, wo sich an den Wochenenden die bunten Autokolonnen der Touristen stauen? Der Bau irritiert, fast noch mehr als die Schule in Paspels (1998), die den Architekten Valerio Olgiati berühmt gemacht hat: ein schiefwinklig verzogener Körper aus Sichtbeton, ohne sichtbares Dach, ohne vertraute Fassadenordnung, und mit Wänden, die nicht übereinander stehen.


Essay

Transfer – Die Stazione Roma Termini und ihre Instandsetzung|Transfer – Stazione Roma Termini and Its Restoration

Von|by Irene Nierhaus

In Rom sind die Heiligen Jahre stets auch Bauimpulse. Das diesjährige Jubiläum mit den erwarteten Tausenden Pilgern brachte einen Schub von Instandsetzungen. Überall renovierte Fassaden, noch stehen da und dort Baustellenzäune, und das Auditorium von Renzo Piano verharrt wegen Managementproblemen in der Baugrube. Die Andockstellen der Stadt, wie Flughafen und Bahnhöfe wurden erweitert und neusystematisiert. So auch der Hauptbahnhof Roma-Termini, der von Angiolo Mazzoni geplant, 1939 bis 1942 teilweise erbaut und 1948 bis 1950 von Eugenio Montuori, Annibale Vitellozzi, u. a. mit der berühmten Dachwelle vollendet wurde.


Zur Sprache – Die Rekonstruktion des Landhauses Lemke von Mies van der Rohe in Berlin|On the Reconstruction of the Lemke Country Residence by Mies van der Rohe in Berlin

Von|by Christiane Ern

Im Sommer 1996 zeigte das Mies van der Rohe Haus eine Ausstellung mit Arbeiten von Hartmut Böhm. Böhm hatte die Herausforderung, sich künstlerisch mit der Architektur des Hauses auseinander zu setzen, angenommen, und die Längs- und Stirnwände des Wohnzimmers, der Halle und des ehemaligen Schlafzimmers zeichnerisch “beschrieben”. Feine Bleistiftlinien, direkt auf die Raufaser der Wände aufgebracht, bildeten Gruppen von proportional und geometrisch aufeinander bezogenen Rechtecken, die sich gegenseitig überlagerten und ihrerseits wieder neue Rechtecke umschrieben.


Beneder/Fischer: Osterkapelle im Augustiner Chorherrenstift Herzogenburg, Niederösterreich|Easter Chapel in the Monastery of the Augustinian Canons in Herzogenburg, Lower Austria

 

Von|by Otto Kapfinger
Vom Weitergeben des Feuers

Ernst Beneder und Anja Fischer gestalteten im Barockstift Herzogenburg eine neue Osterkapelle, verwandelten einen alten Stichgang in eine intensive Raumschöpfung der Gegenwart. Das Resultat beeindruckt weniger durch Masse und Volumen als durch die modellhafte Bearbeitung einer kleinen, aber höchst anspruchsvollen Aufgabe. Die Kapelle formuliert in jedem Detail Distanz zum barocken Bestand. Und dennoch ist das Wesen des Alten aufs innigste im neuen Ganzen aufgehoben, sind die von Jakob Prandtauer geschaffenen Qualitäten in eine heutige Situation transformiert.


Gunther Wawrik: Aussegnungshalle in Gräfelfing bei München, Deutschland|Funerary Complex in Gräfelfing near Munich, Germany

Von|by Matthias Boeckl
Elementare Begegnung

Wenn Architektur eine Interpretation von Lebenspraxis ist, dann leistet Gunther Wawriks Aussegnungshalle in Gräfelfing sogar noch mehr: Sie ist eine Rekonstruktion des ehemals intimen und persönlichen Umgangs mit dem Tod. In eigenen “Totenhäusern” ermöglicht die Anlage eine ungestörte Begegnung der Trauernden mit dem Aufgebahrten, die Halle selbst ist als eine Art Instrument konzipiert, das von jeder Trauergemeinde auf ihre Weise benutzt werden kann. Und die Wegführung aus der Halle über einen angelagerten Teich mit Seerosen zur Begräbnisstätte verleitet zu vielfältigen Assoziationen, welche die Verabschiedung zu einer würdigen Zeremonie machen können.


Greg Lynn FORM/Garofalo/McInturf: Koreanische Presbyterianerkirche in Queens, New York, USA|Korean Presbyterian Church in Queens, New York, USA

Von|by Bart Lootsma
Kohärenz im Kosmos, oder: Diagramme in Kostümen

Ich kann mich erinnern, dass ich ziemlich überrascht war, als ich das erste Mal das fertige Gebäude besichtigte. Überrascht von der Umgebung – eine ziemlich amorphe und undefinierte Industriegegend – und überrascht vom Gebäude selbst, das wesentlich “industrieller” wirkte als ich es erwartet hatte, speziell beim ersten Besuch, als es noch im Bau war. Ich hatte das Projekt vorher ziemlich häufig in Vorträgen und Publikationen gesehen, und da war stets diese verführerische, fremdartige Glätte der Präsentation. Diese geschmeidigen “blobs” wirken nun plötzlich “wie das segmentierte Ovum des Kosmos” (Brian Massumi).

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