architektur.aktuell 07/08/2000

architektur.aktuell 07/08/2000

architektur.aktuell

Hybride Praxis|Hybrid Practice

Von|by Max Hollein

Die Berufsbezeichnung “Architekt” ist heutzutage so unscharf wie die des “Mediziners”. Unter diesem Deckmantel befinden sich eine ganze Anzahl verschiedener und neuer Berufe, von denen immer weniger mit der tatsächlichen Entwicklung von physischen, dreidimensionalen Gebäuden zu tun haben. Das Modewort der “Hybridität” für neueste Designentwürfe lässt sich auch als Symptom für die gesamte Profession umlegen – genauso fluid wie die Architektur sind auch ihre Grenzen. Junge Architekten fühlen sich in den verschiedensten Welten zu Hause. In virtuellen Umgebungen (das Architekturbüro Asymptote entwickelt dreidimensionale Informationsverarbeitungs- und Repräsentationssysteme wie etwa den virtuellen Trading Floor der New Yorker Börse) genauso wie in den kommerziellen Ebenen des Brandings und der Corporate Identity. Wenn etwa der spannendere Aspekt von Rem Koolhaas’ Projekt für die Modefirma Prada ganz bewusst sein Research zur Marke und zum Begriff “Shopping” und nicht so sehr die architektonische Ausgestaltung ist, so zeugt dies von der Instabilität des tradierten Begriffs des Architekten und einer Sehnsucht nach neuen Inhalten und Aufgaben innerhalb einer sich verändernden Informationsgesellschaft. Sich diesen Entwicklungen ausbildungsmäßig nicht zu öffnen ist verheerend.


Herzog & de Meuron: Tate Gallery of Modern Art in London, England|Tate Gallery of Modern Art in London, England

Von|by Roman Hollenstein
Cool Britannia

Im Hinblick auf den Jahrtausendwechsel wurden in London bedeutende Hoch- und Tiefbauten realisiert. Am auffälligsten in der Stadtlandschaft ist zweifellos der missglückte Millennium Dome von Richard Rogers, am wirkungsvollsten aber die suggestiv inszenierten Untergrundstationen der erweiterten Jubilee Line. Mit der Tate Modern der Basler Architeken Herzog & de Meuron schließlich erhält die britische Hauptstadt den seit Jahren bedeutendsten Kulturbau: das in einem meisterhaften Akt des baukünstlerischen Recyclings aus einem ungeliebten Kraftwerk entstandene Museum für moderne und zeitgenössische Kunst.


Álvaro Siza: Facultade das Ciencias da Información in Santiago de Compostela, Spanien|Facultade das Ciencias da Información in Santiago de Compostela, Spain

Von|by Manuel Graca Dias
Vielerlei Subversionen

Räumlichkeit ist in der Arbeit von Álvaro Siza stets unvorhersehbar, überraschend und subversiv. Wenn wir Fotos, Zeichnungen, Modelle oder Skizzen seiner Arbeit betrachten, dann reichen unsere Analysen meist nur dazu, ein Distributionsdiagramm oder ein, zwei Details der hervorragenden Handwerksarbeit zu verstehen. Der Rest aber geht an uns vorbei. Wir haben unsere Methoden, Architektur zu lesen und die Fähigkeit, Dinge zu identifizieren. Wir verfügen über Scharfblick, aber die Photographie und das Photogene täuschen oder sind oft unzureichend.


Herman Hertzberger: Montessori College Oost in Amsterdam, Niederlande|Montessori College Oost in Amsterdam, The Netherlands

Von|by Vedran Mimica & Kelly Shannon
Vorbestimmte Freiheit

Das Montessori College Oost in Amsterdam setzt Herman Hertzbergers Strategie erfolgreich fort, Innenräume wie eine Stadt en miniature zu entwerfen. Wie in einigen anderen seiner aktuellen Projekte wird dabei ihr städtisches Wesen explizit zur Schau gestellt – der innere “öffentliche” Raum ist direkt mit der Straße draußen verbunden. Hertzberger hat unleugbar bewiesen, dass sich der Strukturalismus mit der Zeit weiterentwicklen kann – wenn man einmal akzeptiert hat, dass Strukturalismus in der Architektur darin besteht, eine Unterscheidung zwischen “Kompetenz” (dem Deutungspotenzial einer Form) und “Leistung” (wie sie in einer gegebenen Situation interpretiert wird) zu treffen.


Enric Miralles, Benedetta Tagliabue: Staatliche Jugendmusikschule in Hamburg, Deutschland|State Music School (for young people) in Hamburg, Germany

Von|by Christof Bodenbach
Der Stoff, aus dem die Bäume sind oder
It never rains in Southern Catalonia

Die Kaufmannsstadt Hamburg, man weiß es, gibt sich gern hanseatisch-kühl. Vornehme Zurückhaltung ist in Deutschlands hohem Norden angesagt; Aufgeregtes, gar Schrilles kann sich nur selten etablieren. Dies gilt natürlich auch für die Architektur: Schlichte, meist kubische, am besten backsteinerne Bauten bestimmen die Bauproduktion im prosperierenden Stadtstaat. Nur die allerorten anzutreffenden, himmelwärts strebenden Flugdächer signalisieren die auch hier vorhandene Sehnsucht nach Leichtigkeit. Expressives Bauen hingegen führt seit Fritz Högers bahnbrechendem Chilehaus ein Schattendasein.


Interview

Relax – Österreichs Beitrag zur EXPO2000 in Hannover|Austria’s contribution to the EXPO2000 in Hannover
Andrea Nussbaum im Gespräch mit|in conversation with Eichinger oder Knechtl

Viel Negatives wurde über die EXPO in Hannover gesprochen und geschrieben. Erlauben Sie mir zuerst eine allgemeine Frage: Macht eine Weltausstellung heute überhaupt noch Sinn? Verlieren Länderschauen in Zeiten einer immer stärker werdenden Globalisierung nicht zunehmend an Bedeutung? Das Konzept der Weltausstellungen stammt aus dem 19.Jahrhundert. Fraglos ist das alleinige Präsentieren von technischen oder medialen Sensationen, das konkurrenzierende Ausstellen der nationalen Leistungen, das “größer, schneller, besser” nicht mehr zeitgemäß. Aus diesem Grund haben wir für den österreichischen Beitrag auch ein völlig anderes Konzept vorgeschlagen.


Reportage

Architektur als Symbol|Architecture as Symbol

Von|by Matthias Boeckl
Elemente österreichischen neuen Bauens auf der 7. Internationalen Architekturausstellung der Venediger Biennale

Österreich präsentiert sich auf der Architekturbiennale als “Aktionsfeld für internationale Architektinnen und Architekten” und demonstriert damit Weltoffenheit und eine stimulierende kreative Atmosphäre für Architekturhöchstleistungen verschiedenster Provenienz. Anknüpfend an Peter Weibel, der als österreichischer Kommissär der Kunstausstellung der Biennale vor Jahren eine Auswahl ausländischer Künstlerinnen und Künstler in den Pavillon Josef Hoffmanns eingeladen hatte, zeigt Kommissär Hans Hollein Bauten und Projekte nicht-österreichischer Architektinnen und Architekten, die für Standorte in Österreich entwarfen.


Essay

Gimme Shelter – Zur österreichischen Architekturszene 1968 bis 1980|Gimme Shelter – On the Austrian Architectural Scene 1968-1980

Von|by Maria Welzig

Ende der 1960er Jahre hat in der westlichen Welt das Projekt “demokratische Gesellschaft” neu begonnen. Gleichheit, Freiheit, ja, nur “Brüder”lichkeit kann es nicht mehr heißen, denn zu jener Zeit startete die Emanzipation aus einer Gesellschaft mit verbindlichen Werten und Normen. Die neuen Ideale sind Mitbestimmung, Selbstbestimmung, Selbsterfahrung, Bewusstseinserweiterung, Alternative Lebensformen, Produktionskollektive, Künstlerkollektive, Wohngemeinschaften, Körper, Esoterik, Gurus.


Nehrer + Medek: Volks- und Sportmittelschule Am Kaisermühlendamm in Wien-Donaustadt, Österreich|Elementary School + Secondary School for Sport in Vienna, Austria

Von|by Nikolaus Hellmayr
Die Brücken-Schule

Die Donauuferautobahn zählt als Hauptverkehrsschleuse am östlichen Donauufer Wiens zu den höchst frequentierten Straßen des Landes. Die Einhausung und Überplattung dieses Straßenzuges – im Bereich Kaisermühlens südlich der Reichsbrücke lange vor der sogenannten “Donau-City” realisiert – ist nicht alleine für die angrenzenden, teilweise gründerzeitlichen Wohnanlagen eine notwendige lärmschutztechnische Maßnahme; sie gewährt auch den Bewohnern des Bezirks freien Zugang zum Ufer des Donau-Entlastungsgerinnes, das als Naherholungsgebiet intensiv genutzt wird.


Hubert Bischoff: Sporthalle Kugelwis in Rheineck, Schweiz|Kugelwis Sports Hall in Rheineck, Switzerland

Von|by Robert Fabach
Isolierte Figuren – Kalkulierte Positionen

Claude Lévi-Strauss schreibt in “Sehen, Hören, Lesen” von 1993 über die Arbeit des französischen Malers und Philosophen Nicolas Poussin, dass die Figuren in seinen Gemälden hermetisch im Bildraum stünden, zwar in Gesten und Bewegungen auf einander Bezug nehmend, jedoch trotzdem wie isoliert jede in ihrer Zeit lebten. Die großen und markanten Gebäude um die Kugelwiese in Rheineck – in einem Zeitraum von etwa 250 Jahren entstanden – erinnern an diese Beobachtung. Die Körper, die zwar stark spürbar zueinander in Beziehung stehen, jedoch nicht wirklich aufeinander reagieren, nehmen auf einem imaginären Spielfeld wohlkalkulierte Positionen ein, scheinbar in Erwartung des nächsten Schachzugs.


Schluder/Kastner: Städtisches Kindertagesheim Schrebergasse in Wien-Donaustadt, Österreich|Schrebergasse Children’s Day Home in Vienna-Donaustadt, Austria

Von|by Gudrun Hausegger
Kinderwelt, Lebenswelt

Mit Serienproduktion und Fertigteilbau werden meist nur ein knapper Zeitrahmen und ökonomische Zwänge verbunden, und folglich auch eine Architektur, die formale Qualitäten und die nötige Individualität eines Bauwerks nur in begrenztem Ausmaß gewährleisten kann. Ein Vorurteil, das anhand der drei Kindertagesheime hinterfragt werden könnte, die das Wiener Architektenteam Schluder und Kastner im letzten Jahrzehnt im Auftrag der Gemeinde Wien realisierten. Es ist schwierig, die soziale Bauaufgabe Kindergarten mit dem engen Korsett der Vorgaben zufriedenstellend zu lösen. Schluder und Kastner – in ihrer architektonischen Grundhaltung bei ökonomischen Fragestellungen versiert – entwickelten ein Konzept, mit dem sie diesem Dilemma entkommen sind.


Hermann Kaufmann, Wolfgang Ritsch, Helmut Dietrich/Christian Lenz: Sanierung der Fachhochschule “Alte Textilschule” in Dornbirn, Österreich|Restoration of the Alte Textilschule college in Dornbirn, Austria

Von|by Otto Kapfinger
Phoenix aus der Asche

So sehen kleine Wunder aus. Die neue Fachhochschule Vorarlberg entstand als perfekte Renovierung aus der Ruine der alten, längst abgesiedelten Textilschule. Ein fast vergessener Markstein des Wiedereintritts der Moderne in Österreich kehrte triumphal ins Gefüge der regionalen Baukultur zurück. Politik, Wirtschaft und Planungsressort der Stadt Dornbirn verwandelten durch rasches, konzertiertes Handeln das brachliegende Areal in ein Musterbeispiel zeitgemäßer Reurbanisierung. Und die wie ein Phoenix aus der Asche auferstandene 1950er Jahre-Architektur von Meusburger/Ramersdorfer dient einem profund erarbeiteten Nutzungskonzept, dessen Niveau sich auch im Corporate Design der Institution widerspiegelt: ihm wurde kürzlich in Tokio einer der international renommiertesten Grafik-Preise zuerkannt.

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