architektur.aktuell 10/1999

architektur.aktuell 10/1999

architektur.aktuell

International

Valentin Bearth & Andrea Deplazes mit Daniel Ladner: Schule in Vella, Graubünden, Schweiz/School in Vella, Grisons Switzerland

Von|by Laurent Stalder
Zwei neue Giebel in Vella

Vella liegt auf hoher Terrasse im Lugnez, dem Tal des Lichtes, oberhalb von Ilanz. Um den kleinen Dorfkern, über den Hang verstreut, zeichnen die Häuser durch ihre talwärts gerichteten Giebel die Topographie von weitem nach. Die alten Walser Strickbauten sind nach und nach, ab dem späten 17. Jahrhundert, zuerst durch die steinernen Herrschaftshäuser, später durch verputzte Einfamilienhäuser der Nachkriegszeit verdrängt worden. Aus dieser Zeit, den fünfziger Jahren, stammt auch das Schulhaus im unteren Teil des Dorfes. Es steht am Rand des Plateaus, bevor der Hang steil ins Tal abfällt. Dieses Schulhaus zu erweitern, war die Aufgabe eines Wettbewerbes im Jahr 1994.
Nicht nur die Walser Strickbauten, sondern auch das bestehende Schulhaus und die biederen, heimatlosen Einfamilienhäuser aus den fünfziger Jahren, die innerhalb kurzer Zeit die Dorffläche verdoppelt haben, prägen das heutige Ortsbild. Diese Entwicklungsspuren zu beachten und nachzuzeichnen, haben die Architekten als ihre Aufgabe verstanden und es in überzeugender Weise zum Ausdruck gebracht. Sie haben versucht, zwischen einem alten Dorfkern und seiner Erweiterung zu vermitteln, ein großes Bauprogramm in einer fein gestreuten Siedlung einzufügen, das alte Schulhaus zu erweitern und gleichzeitig ein neues zu errichten. Sie haben es verstanden, Architektur nicht nur als Lösung eines Bauprogrammes, sondern als eine kulturelle Aufgabe zu bewältigen. (…)

Conradin Clavuot: Schule in St. Peter, Graubünden/Schweiz/School in St. Peter, Graubünden/Switzerland

Von|by Sebastiano Brandolini
Vom Leichten ins Schwere

Wenn man Chur Richtung Arosa verlässt, stößt man auf eine Vielzahl kleiner Dörfer, die vollkommen exponiert auf der Sonnenseite des Tals liegen. Diese topographisch typische Siedlungsform hat etwas Berührendes und ist in den Alpenregionen häufig anzutreffen. Nichts Besonderes also, und dennoch geht von den kargen Bedingungen dieser Ortschaften etwas nahezu Heroisches aus, je nach der Neigung des Hanges, in dem sie sich befinden. St. Peter ist eher durch die Dichte seiner Häuser als durch seine Dimension als Dorf zu bezeichnen, aber auch das ist hier in Graubünden nichts Besonderes. Außergewöhnlich ist vielmehr die Tatsache, dass in diesem entlegenen und schwer zugänglichen Ort jemand die Idee hatte, eine neue Schule zu bauen; dies auch ausführte: und zwar mit besonderer Sorgfalt und Hingabe. (…)

Essay

Landluft/Country Air

Von|by Roland Gnaiger
DIE REGION IST EIN FLUSS ODER JO COENEN IN DER
STEIERMARK

(…)Die Architekturdiskussion am Land ist vollkommen beherrscht von Aspekten der Ästhetik. Die Zusammenhänge, die unsere Umwelt formen, sind offensichtlich zu komplex, als dass sie dem Großteil der Bürger verständlich sein können. Dementsprechend simplifiziert sind die Muster: Örtlichkeit wird meist nur in den Bauformen gesehen und diese nur im Akt einer ungeheuer selektiven Wahrnehmung und einer vollkommenen Fixierung auf die Form: “Das Auge sieht nur, was der Kopf schon weiß.” Die Regel ist einfach: Das Gewohnte ist das Richtige, das meist Gesehene ist das Schöne, die Ausnahme macht unsicher oder stößt auf Ablehnung. Jede Gedankenlosigkeit ist gut, wenn sie nur oft genug wiederholt wird.
“Es ist den Menschen im allgemeinen nicht gegeben zu sehen, was ist”, hat Hugo von Hofmannsthal formuliert und damit auch die kollektive Verdrängung der städtebaulichen und ästhetischen Wirklichkeit aufs Beste charakterisiert. Je bedrohlicher und unabwägbarer die Welt wird, um so mehr Sicherheit wird in den gewohnten Bildern gesucht. Fremde Bilder wirken bedrohlich und stoßen somit auf Angst, Ablehnung und Widerstand.
In solcher Atmosphäre überzeugt man nicht mit denselben Mitteln. Es ist eine Architektenunsitte, mit den Menschen über Dinge reden zu wollen, bei denen sie sich im allgemeinen nicht auskennen – nämlich über Kunst und Ästhetik – und nicht darüber, wo ihre ureigenste Kompetenz liegt – bei ihren Bedürfnissen, ihren Wünschen, Nöten und ihren ökonomischen Grenzen.(…)

Österreich

Adolf Krischanitz: Lauder Chabat Campus in Wien-Leopoldstadt /Lauder Chabad Campus in Vienna Leopoldstadt

Von|by Walter Zschokke
Lauter gleiche Fenster

Große querformatige Fenster bestimmen die beiden massiven Gebäudeteile an den Enden, dazwischen spannt sich eine gebäudehohe Glashaut vor den Gängen, an denen die Klassenzimmer liegen. Parkseitig prägen insgesamt 73 regelmäßig gesetzte, gleich große Fensteröffnungen das Erscheinungsbild der am Rande des Wiener Augartens liegenden Schule. Die sorgfältige Durcharbeitung des gesamten Bauwerks erreicht einen hohen Grad an visueller Beruhigung. Vieles, was zum Ausbaustandard gehört, wird nicht gezeigt, sondern verschwindet unter den exakt gezogenen Putzflächen. Was hier anklingt, ist bewusst profan gehaltene Klassizität. Die Glätte der Oberflächen will nicht davon künden, wie diese entstanden sind. Die exakten Details referieren nicht ihre handwerkliche Herstellung. Die konsequente Zweiteilung sowohl der Fenster als auch der Fassaden vermeidet jede Mittenbetonung, indem auf der Mittelachse eben eine Achse und kein Feld liegt. Dieser Ansatz findet sich an historistischen Bauwerken aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts, doch mit dem Durchlaufen der Moderne hat das gestalterische Prinzip an Klarheit gewonnen. Die spröde Gesamtstimmung ist deswegen nicht kalt. Die Architektur gibt aber auch nicht vor, zu brennen, um sich in den Vordergrund zu spielen. (…)

Heidulf Gerngross/Werkstatt Wien: Friedrich-Kiesler-Schule in Wien-Leopoldstadt/The Friedrich Kiesler School in the Leopoldstadt District of Vienna

Von|by Otto Kapfinger
Fröhliche Guerilla

Eingespannt in einen alten Gründerzeitblock in der “Mazzesinsel” – dem allmählich wieder erwachenden ehemaligen Herzstück des jüdischen Wien – hat Heidulf Gerngroß eine Schule gebaut, die eine “Ästhetik des Unvermeidlichen” zur Sprache bringt. Durch kleine Tricks aus der Banalität heraus gedreht, werden minimal veränderte oder in andere Zusammenhänge gebrachte Standardlösungen zu einer frischen, unaufgeregten Bühne des Lernens transformiert. Markisen, Signalfarben, Beschriftungssysteme werden durch ihre ungewöhnliche Verwendung neu codiert. Mit kaum wahrnehmbaren Unregelmäßigkeiten reagiert der Baukörper auf die heterogene Bebauung der unmittelbaren Umgebung. Mit der von Gerngroß initiierten Benennung der Schule erweist er einem anderen Experimentator Reverenz, dessen kultureller Hintergrund der Migration aus dem Osten viel mit diesem großstädtischen Quartier zu tun hat. (…)

>BUS Architektur: Kindertagesheim in Wien-Favoriten/Child Day-Care Centre in the Favoriten District of Vienna

Von|by Gabriele Kaiser
Das Haus als “Spielgabe”

Mit seinen kräftigen Farben und der in den Grünraum ausgreifenden Kubatur setzt das neue Kindertagesheim inmitten der großteils gründerzeitlichen Blockrandbebauung eines ehemaligen Arbeiterbezirks ein erfrischendes Zeichen städtischer Kinderfürsorge. Am nördlichen Rand eines baumbestandenen Platzes gelegen, spielt es Richtung Straße seine formale Lockerung aus und vermittelt Richtung Garten oasenhafte Gelassenheit und Ruhe. Auf der Grundfläche des Neubaus befand sich früher ein kleines Tröpferlbad, das als kommunale Einrichtung längst ausgedient hatte, für eine Sanierung zu baufällig war und Mitte der neunziger Jahre abgebrochen wurde. Kernstück des architektonischen Konzepts für einen fünfgruppigen Kindergarten – das Team BUS Architektur (Laura Spinadel, Claudio Blazica, Rainer Lalics) wurde von der Stadt Wien direkt beauftragt – war von Anfang an die größtmögliche Verbindung zwischen gartenseitigem Baumbestand und Konfiguration der Baukörper. Anstatt, wie behördlich angeregt, das Raumprogramm des Kindergartens in den Umrissen des ehemaligen Gebäudes zu stapeln, haben die Architekten die Baumasse in differenzierten Gliedern über die gesamte Breite der Parzelle gezogen, so dass die Gruppenräume des Kindergartens und der daran anschließende Park Richtung Gudrunstraße gut gegen den Straßenlärm geschützt sind. Den durchlässigen Gelenkpunkt zwischen Straße und Garten bildet – die Kubatur des einstigen Tröpferlbades gewissermaßen in Negativform markierend – eine zweigeschoßige verglaste Eingangshalle, die man über eine Rampe oder Treppe an der Gudrunstraße betritt. (…)

Volker Giencke: Benediktinerabtei Seckau, Steiermark/Benedictine Abbey of Seckau, Styria

Von|by Nikolaus Hellmayr
Kommentar im Hinterhof

Weltabgewandtheit und profane Leistungen – diese gegensätzlichen Intentionen bilden die Eckpfeiler klösterlichen Lebens in den christlichen Traditionen Europas. So entwickelte sich auch die 1140 von Augustiner Chorherren gegründete Abtei Seckau aus spirituellen Gründen in der abgeschiedenen Ruhe der steirischen Alpen, aber gleichfalls aus Gründen eines kulturellen und wirtschaftlichen Führungsanspruchs zu einem Zentrum für Musik, Buchmalerei und Handwerkskunst. In den vergangenen neun Jahrhunderten scheint sich an diesen grundlegenden, wenn auch gegensätzlichen Prinzipien wenig geändert zu haben. Für die Seckauer Mönche, die heute dem Orden der Beuroner Benediktiner angehören, bedeutet das Kloster zugleich Enklave und Stadt. Allerdings prägt nun ein Gymnasium, in dem die Schüler auch diverse Handwerksberufe erlernen können, die wirtschaftliche und kulturelle Kompetenz des Klosters. Und mit dem Schulbetrieb und seinen zeitgemäßen Anforderungen wird eine Öffentlichkeit innerhalb der Klostermauern wirksam, die nun auch im Rahmen der Generalsanierung und Erweiterung der Schule nach Plänen des Grazer Architekten Volker Giencke eine adäquate bauliche Fassung erhielt. (…)

Hanno Schlögl: Tiroler Fachberufsschule für Bauwesen /Tyrolean Technical College for Building Construction

Von|by Margit Ulama
Dialog der Zeiten

Aus den sechziger Jahren stammt die Landesberufsschule für das Gastgewerbe in Absam, ein dominanter, zeittypischer Bau in einer herrlichen Landschaft. Von weitem markiert der langgestreckte Bauteil gleichsam die Grenze zwischen den ansteigenden Wiesen und dem Bergmassiv dahinter. Auffällig ist vor allem der quergelagerte, zum Teil über dem niederen Trakt schwebende Riegel mit seiner eher geschlossenen Stirnseite. Hanno Schlögl nahm bei der unmittelbar angrenzenden Tiroler Fachberufsschule für Bauwesen die Themen der vorhandenen Architektur auf und transponierte sie. Beide Bauwerke spiegeln nun die jeweilige Entstehungszeit wider, und man kann von einer exemplarischen Ergänzung sprechen. Dem Architekten gelang nicht nur eine logische funktionelle Organisation des Neubaus, er integrierte diesen außerdem auf besondere Weise in die Landschaft. Schlögl führte seinen Bau nämlich bis zu einer Hügelkuppe, auf der zusätzlich drei Bäume stehen. Dadurch wird das Gesamtvolumen im Osten durch die auffällige Topographie gefasst. Während der langgestreckte Bauteil als klares Volumen mit Bandfenstern auf den Bestand reagiert, schaffen insbesondere die durchgehend verwendeten, dezent rötlichvioletten Betonsteine eine eigene, angenehme Atmosphäre. Die betonte Horizontalität läuft schließlich in schwebende Dächer aus. (…)

Carlo Baumschlager & Dietmar Eberle: Öko-Hauptschule mit Turnhalle in Mäder, Vbg./Ecological Secondary School with Gymnasium in Mäder, Vorarlberg

Von|by Barbara Keiler
Energetisches Lehrstück

Wie kann man sich eine Öko-Hauptschule in Vorarlberg vorstellen? Wer viel Holz und üppiges Grün erwartet, den verwundern die schlichten Kuben aus Glas und Beton und der weite Vorplatz an der Straße. Erstaunlicherweise sprengen sie den dörflichen Maßstab trotz der großen Volumina und der Materialien nicht – verbinden vielmehr durch entsprechende Proportionen und Lage zueinander.
Zweischalige Fassaden, Speichermassen, hohe Flexibilität in der Raumnutzung, lichte Innenräume liefern nur einige Schlagworte, die den Entwurf von Carlo Baumschlager und Dietmar Eberle kennzeichnen. Die zur Schule gehörige Turnhalle wurde zu einem Drittel in der Erde versenkt und darüber in Beton und Glas ausgeführt – scheinbar ohne Trennwand zu Straße und Vorplatz. Die Architekten stellten vor die Fassadenebene aus Glas bzw. Holz eine zweite Schicht aus Glaslamellen, die je nach Lichteinfluss als völlig offen oder als ein uneinsichtiger Spiegel der Umgebung erscheint. Die Klassen bzw. Projekträume schließen sich windradförmig um einen zentralen Pausenhof. Alle Unterrichtsräume sind relativ leicht zu vergrößern bzw. zu verkleinern, denn der Schwerpunkt der Schule liegt im Erarbeiten von ökologischen Projekten. Einige Dinge können am Gebäude selbst studiert werden. So kommt ein nicht unbedeutender Teil der Energie für die Schule “aus der Natur”: Die Erdwärme von 8°C kann vom Wärmetauscher genutzt werden und die Sonnenkollektoren auf dem Dach ergänzen das Programm. Die schon mehrfach ausgezeichnete “Umweltmustergemeinde” Mäder im Rheintal setzt mit diesen Schulgebäuden neue Maßstäbe in Hinsicht auf öffentliches, energiesparendes Bauen und konsequente Umsetzung in eine zeitgemäße Architektursprache.(…)

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