Earthship Biotecture

Das erste Earthship Deutschlands

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„Eine neue Welt ist nicht nur denkbar, sie ist bereits im Entstehen.“ Dieser Satz von Arundhati Roy ist ein Leitfaden für die Gemeinschaft Schloss Tempelhof, die einen alternativen, partizipativen und gemeinschaftsorientierten Lebensansatz verfolgt. Derzeit wohnen etwa 100 Erwachsene und 40 Kinder auf dem Areal, wo demnächst auch das erste Earthship Deutschlands landen soll. Diese Form eines weitgehend energieautarken Hauses wird vor allem aus recycelten Materialien wie Glasflaschen, Autoreifen und Lehm im Selbstbau, bedarfsweise mit hilfsbereiten Handwerkern und Experten der „Earthship-Biotecture“ errichtet. Weltweit gibt es über sechshundert solcher Häuser, die nach einer Vision des amerikanischen Architekten Michael Reynolds realisiert worden. Sein erstes „Earthship“ baute er 1971 in der Wüste von New Mexiko aus alten Bierdosen.


Nun soll der erste Nachfolger dieser radikal alternativen Bauform auf deutschem Boden vor Anker gehen. „Uns hat daran interessiert, dass so ein Earthship ein autarkes System ist“, so Roman Huber, Vorstand der Stiftung Schloss Tempelhof. „Es ist ein Gebäude mit komplett geschlossenen  Kreisläufen, wie der Kreislauf der Natur.“ Eins zu eins ließ sich das Vorbild aus Amerika nicht übernehmen –  einerseits aus baugenehmigungsrechtlichen Gründen – so muss in Deutschland beispielsweise jeder Bau an den Kanal angeschlossen sein – und natürlich auch klimatisch: in unseren Breiten hat sich das Earthship auch im Winter zu bewähren. So beschloss die Gemeinschaft, mit „Earthship-Biotecture“ eine Kooperation einzugehen.

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Angewandte Utopie

Begonnen hatte alles damit, dass zwanzig Menschen ber die Utopie einer sozial gerechten, ökologisch verträglichen und sinnerfüllten Lebensform nachdachten. Im Dezember 2010 erwarb die gemeinnützige Stiftung Schloss Tempelhof das Dorf Tempelhof. Es liegt in der Nähe von Schwäbisch Hall, zwischen Stuttgart und Nürnberg. Die Liegenschaft wurde von der Stiftung per Erbpachtvertrag für 99 Jahre an die Schloss Tempelhof Genossenschaft vergeben. Sie bietet Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten für rund 150 bis 300 Menschen. Auf 31 ha Grund betreiben sie eine Landwirtschaft mit Gärtnerei, Tierhaltung, Käserei, Imkerei, Bäckerei, Großküchen, ein Seminar- und Gästehaus, Werkstätten, eine Mehrzweckhalle mit Bühne und mehr. Eine freie Schule mit Vor-, Grund- und Realschule und ein Gästehaus für bis zu 45 interessierte Besucher gibt es außerdem.

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Soziales Experiment

Im Earthship sollen etwa 25 Menschen gemeinsam wohnen, kochen, essen, diskutieren und ihre Freizeit verbringen. Außerdem nimmt es noch die gemeinschaftlich genutzten Sanitäranlagen auf. Sie beanspruchen etwa ein Drittel des Raumes der zwischen drei und 3,50 Meter hoch ist. Hufeisenförmig wie Indianertipis gruppieren sich vierzehn Bauwägen und Jurten um eine freie Mitte: sie bieten die Möglichkeit für individuellen Rückzug, schauen alle anders aus und werden von Paaren, alleinerziehenden Müttern mit Kindern oder Kleinfamilien bewohnt. Diese Gruppe hat bereits probeweise in dieser Art Wagenburg gelebt und freut sich auf mehr gemeinsame Infrastruktur. Betreut wird das Projekt von DI Architekt Ralf Müller im Rahmen seiner Masterarbeit an der Uni Stuttgart, Lehrstuhl für Bauphysik in Kooperation mit dem Fraunhofer Institut. „Was mich hat einsteigen lassen, ist dieses Planen für eine Gruppe: Dass Menschen strahlen, lachen und begeistert sind.“ Obwohl jede Entscheidung im Dorfplenung im Siedlungsausschuss gemeinsam beschlossen werden muss. Aber dann tragen das alle mit. „Die Kombination Tempelhof und Earthship ist einzigartig.“

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Außerdem war da noch die Herausforderung, dieses Modell an unser Klima anzupassen. „Das spannendste war, auf Baubehörden zu treffen, die da mitgehen.“ Das Earthship und alle Wohnwägen sind über einen Kreislauf von Heizungsrohren miteinander verbunden und daher als ein Gebäude genehmigt. „Toll ist an diesem Projekt auch, dass durch den gemeinschaftlichen Nutzen von Küche, Wohnraum und Sanitäranlagen wesentlich weniger Ressourcen verbraucht werden, als wenn jeder seine eigenen Anschlüsse hätte. Es ist ein soziales Projekt: Besser gemeinsam verbrauchen als einsam nutzen.“

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Im Prinzip ist das Earthship auf drei Seiten von einem Erdwall mit Autoreifen umgeben – diese bilden ein konstant moderat temperiertes Umfeld. Nach Süden hin öffnet es sich mit einer tiefen Wintergartenschicht und Sonnenkollektoren zur Außenwelt. Diese sind bereits gebraucht, auch für die Glasfassade wurden bereits alte Fenster und Gläser aus Abbruchhäusern der Gegend gesammelt. Ob diese auch den etwa sieben Meter tiefen Gemeinschaftsraum zum Kochen, Essen und Diskutieren ausreichend belichten kann, testet Ralf Müller gerade mit einer Simulation durch. Die gesamte elektrische Energie des Earthship wird durch Photovoltaik erzeugt, der Strom in Batterien gespeichert und weiter verteilt. Brauchwasser wird grundsätzlich mit Solarenergie erwärmt, bei ungünstiger Witterung kommt ein Heizkessel zum Einsatz, der aus nachwachsenden Rohstoffen gespeist ist. Gelüftet wird unter Ausnutzung des Kamineffekts, der warme, aufsteigende Luft durch oben liegende Lüftungsfenster austreten und kühlere Luft nachkommen lässt. Im Winter wird Luft über die Erdwärme vorgewärmt.

Das begrünte Dach wird als Sammelbecken für Regenwasser genutzt, das dann gefiltert, in Zisternen gespeichert, wieder gefiltert und weiter gepumpt. Die Toilettenspülung nutzt Abwasser, das vorher im „Grauwasser-Pflanzenbeet“ gefiltert wurde. Wirklich spannend wird es ab Oktober, wenn sieben Experten von „Earthship-Biotecture“ eingeflogen kommen, um gemeinsam mit etwa 40 freiwilligen Helfern und fünfzehn Genossen vom Tempelhof in vier Wochen das Earthship zu errichten.

www.earthship-tempelhof.de

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