Der Wiederaufbau der Ukraine mit kontaminiertem Boden

Die Erde heilen

Das Projekt Grunt (ukrainisch für „Boden, Erde“) von Anna Pomazanna und Mykhailo Shevchenko untersucht kriegsverseuchte Böden in der Ukraine als potenzielles lokales Material für einen klimabewussten Wiederaufbau. Entwickelt im Rahmen des Experimental Fellowship bei Bauhaus Earth, stellt Grunt zwei miteinander verknüpfte Fragen: Können kontaminierte Böden sicher als Baumaterial wiederverwendet werden? Und lassen sich ihre Schadstoffe so binden, dass sowohl Menschen als auch Umwelt geschützt werden? Bodenproben aus dem Oblast Charkiw, die im November 2024 entnommen wurden, wiesen hohe Konzentrationen an Schwermetallen wie Cadmium und Arsen auf. Was als Untersuchung von Sanierungsstrategien für lehm- und erdbasierte Bauweisen begann, entwickelte sich rasch zu einer tiefergehenden Auseinandersetzung mit der Definition von Verunreinigung: Wie wird sie wahrgenommen, reguliert und gesellschaftlich gehandhabt?

Text: Anna Pomazanna | Foto: Anna Pomazanna


 

Gesetzliche Grenzwerte stufen kontaminierte Böden als Abfall ein, der auf Deponien entsorgt wird. Diese Logik externalisiert die Gefahren, indem sie Schadstoffe genau dorthin bringt, wo sie das größte Risiko für die Böden, die uns ernähren, und das Wasser, das wir trinken, darstellen. Grunt stellt dieses Paradigma mit einem radikalen Vorschlag infrage: Was wäre, wenn Architektur Verunreinigung nicht ausgrenzt, sondern sie in den Griff bekommt? Das Projekt entwickelt Baukomponenten, die Schadstoffe in mehrschichtigen Puffersystemen (beispielsweise biobasierten Dämmstoffen, Lehmputzen) einschließen, die Schwermetalle im Inneren der aus Erde bestehenden Struktur unschädlich machen. Ein Prototyp, das „filter house“, nutzt einen Regenwassergarten und ein unterirdisches Filtersystem, um Schadstoffe schrittweise aus Wänden herauszulösen. Eine parallele Verdünnungsstrategie mischt kontaminierte Böden mit saubereren Sekundärmaterialien wie behandeltem Sand oder recyceltem Bauschutt aus Beton. Durch regelmäßiges Neuverputzen mit sauberem Material oder Durchmischung der Schichten während einer kontrollierten Rückbauphase am Ende der Lebensdauer des Gebäudes lässt sich ein dynamischer Hybridprozess entwickeln, der verbleibende Schadstoffe über die Lebensdauer der Struktur hinweg allmählich verdünnt. Grunt entwirft das Bild einer Gesellschaft, die ihre toxischen Altlasten nicht länger verdrängt, sondern Verunreinigung in architektonisches Material verwandelt – als heilende Substanz, die die Landschaft schützt.


Mehr zu unser aktuellen Ausgabe 6/2025. Der Text ist ab Seite 8 zu finden. 

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