MEDIA REVIEW

Die Köpfe hinter der Baukunst

Es sind eigenwillige Persönlichkeiten, die den Fortschritt der Baukunst anstoßen. Manche werken ganz im Stillen, andere mögen es lauter. Internationale Anerkennung zu erfahren, ist für Baukünstler, die ganz bewusst in lokalen Traditionen verhaftet bleiben, eine Bestätigung für ihr Tun. Wohnen auf Zeit in tiny houses ist wiederum eine architektonische Herausforderung auch abseits des mainstreams.


Eine Auswahl von Edith Schlocker

Es wäre eigentlich erstaunlich, wäre Peter Zumthors – von ihm selbst herausgegebene – Publikation Dear to Me eine „normale“. Ist sie doch vielmehr so etwas wie ein Objekt, dessen Anmutung letztlich fast architektonisch daherkommt. Bestehend aus einer schwarzen, hochrechteckig kubischen Hülle für 18 dünne Heftchen, in denen im Wesentlichen jene Gespräche wiedergegeben sind, die der Schweizer Architekt vor fünf Jahren im Rahmen seiner Ausstellung anlässlich des 20. Geburtstag des von ihm entworfenen Bregenzer Kunsthauses geführt hat. Eines dieser weiß beschrifteten schwarzen Heftchen ist dieser Schau gewidmet, in der Zumthor das Haus zu seiner privaten Bühne gemacht hat. U.a. für Gespräche mit so unterschiedlichen Persönlichkeiten wie dem Büchner-Preis-Träger von 2016, Marcel Beyer, der Komponistin Olga Neuwirth, dem Filmemacher Wim Wenders oder dem Zimmermann Rudolf Walli. Um sie etwa zu fragen, in welchem Haus sie aufgewachsen sind oder wie ein Raum zu sein hat, in dem sie sich wohl fühlen.

 

Peter Zumthor (Hg.)
Dear to Me
456 Seiten, Deutsch,
Scheidegger & Spiess Verlag, € 150, -

„Was verletzlich ist, liebt man“, sagt der inzwischen 87-jährige, in Paris lebende deutsche Architekt Hans-Walter Müller, der seit rund 50 Jahren in einem seiner aufblasbaren Häuser lebt. Sozusagen in einen wunderbaren Garten eingebettete „Blasen“, u.a. einer „Resonanzkugel“ samt Klavier. Architekturen, die einem durchaus auf den Kopf fallen können, sobald der ihnen Standhaftigkeit verleihende Ventilator ausfällt oder jemand ein Loch in die fragile Hülle aus PVC-Folien bohrt. Robert Stürzls Buchs Hans-Walter Müller und das lebendige Haus geht dem Vorreiter einer lebendigen Architektur auf den Grund. In Gesprächen kommt der unkonventionelle Raumerfinder selbst zu Wort, der bis heute von der exakten Planung seiner Projekte per Computer bis zum Zusammenschweißen der Folien alles selbst macht. Eigene Texte führen unmittelbar in den Müller’schen Kosmos ein, veranschaulicht durch Fotografien und Zeichnungen realisierter Projekte. Komplettiert durch ein Werkverzeichnis von 1961 bis 2022.

 

 

 

 

Robert Stürzl
Hans-Walter Müller und das lebendige Haus
232 Seiten, Deutsch,
Spector Books, € 28, -

Es ist was es ist steht in ganz kleiner Schrift auf dem Cover der großformatigen Monografie über den 2006 im Alter von nur 45 Jahren verstorbenen Vorarlberger Architekten Gerold Wiederin. Einem Baukünstler, der sich nach einigen Jahren im Basler Büro von Herzog & de Meuron 1993 in Wien selbstständig gemacht hat, um in den wenigen Jahren, die ihm blieben, oft in Zusammenarbeit mit bildenden Künstlern wie Georg Tagwerker und Helmut Federle eine Reihe von ikonischen Architekturen zu realisieren. Verpflichtet einem radikalen, auf einer maximalen Denkform basierenden Minimalismus. Simon Baurs Buch ist letztlich ein mit Skizzen, Plänen, Fotos und Texten bestücktes Archiv über Wiederin. Ein erster Teil dokumentiert die vier sein Kunstwollen auf den Punkt bringenden Projekte wie die Nachtwallfahrtskapelle Locherboden im Tiroler Mötz oder das Novartis Forum 3 in Basel. Teil zwei taucht tief in die Biografie des Architekten ein, Teil drei liefert ein ausführliches Werkverzeichnis.

 

 

 

 

 

Simon Baur (Hg.)
Es ist was es ist. Gerold Wiederin, Architekt
296 Seiten, Deutsch
Park Books, € 48,-

Tiny Houses sind im Moment schwer im Trend. Wie man auf kleinstem Raum durchaus architektonisch anspruchsvoll leben kann, führen seit langem die Japaner vor, um nun auch in der westlichen Welt ihre Nachahmer bzw. Neudeuter zu finden. Der Schweizer Ausstellungsmacher Simon Lamunière heftet sich in seinem Buch Designing Spaces for Living allerdings weniger auf die Spuren dieses zeitgeistigen Luxusphänomens, sondern zeigt auf, wie groß in Zeiten gewaltiger Migrationsbewegungen als Folge von Klimawandel, kriegerischer Konflikte oder Armut der Bedarf an rasch und mit geringen Mitteln baubaren und wieder abbaubaren temporären Behausungen ist. 18 Autoren reflektieren aus völlig unterschiedlichen Perspektiven diese meist winzigen Behausungen auf Zeit bzw. die Möglichkeiten für einen individuell gestalteten Lebensstil, der dieses Wohnen trotz weniger Quadratmeter möglich macht. Wobei diese Beschränkung durchaus originelle Raumexperimente befördert, wie eine Reihe von Projekten zeigt, die im Buch vorgestellt werden.

 

 

 

Simon Lumunière (Hg.)
Designing Spaces for Living
336 Seiten, Englisch/Französisch
Verlag Scheidegger & Spiess, € 38,-

Dass die Nr. 617 der weltweit beachteten japanischen Architektur-Zeitschrift a+u – Architecture and Urbanism monografisch dem Vorarlberger Architekten Bernardo Bader gewidmet ist, ist eine kleine Sensation. Ist es doch erst das zweite Mal, dass – nach Hermann Czech 2016 – die monatlich erscheinende Publikation, die seit 1971 die wichtigsten Baukünstler weltweit porträtiert, ein österreichisches Büro in den Fokus nimmt. Wobei es den Japanern besonders Bernardo Baders Neu- bzw. Weiterdenken lokaler Traditionen des Bauens angetan zu haben scheinen, sein kreativer Umgang mit Holz, das Dialogische seines Tuns mit gewachsenen Nachbarschaften, das sensible Einbetten seiner Architekturen in die Landschaft. „a+u“ kommt dem Architekten sehr nahe, zeigt ihn und seine Handwerker bei ihrem Tun, zoomt auf Details bzw. tief hinein in die von ihm kreierten Bauwerke unterschiedlichster Art genauso wie auf das große Ganze. Theoretisch unterfüttert durch ein- bzw. ausleitende Essays von Arno Ritter und Florian Sauter.

 

 

 

a+u – Architecture and Urbanism, Nr. 617
Bernardo Bader
176 Seiten, Englisch/Japanisch
¥ 3000,-

Das könnte Sie auch interessieren

Newsletter Anmeldung

Wir informieren Sie regelmäßig über Neuigkeiten zu Architektur- und Bauthemen, spannende Projekte sowie aktuelle Veranstaltungen in unserem Newsletter.

Als kleines Dankeschön für Ihre Newsletter-Anmeldung erhalten Sie kostenlos ein architektur.aktuell Special, das Sie nach Bestätigung der Anmeldung als PDF-Dokument herunterladen können.