MEDIA REVIEW

Die Stadt im Visier

Urbane Räume und Strukturen sind in vielerlei Hinsicht ein wahrer Fundus – zum einen von jenem, das schon da ist, zum anderen, was noch nicht da ist. Eine Stadt erfindet sich immer wieder neu, baut auf, um, ab. Aus genau dieser Dynamik ergeben sich – oft ungeahnte – Potenziale, die sich erst dann erschließen, wenn Veränderung sie sichtbar macht. Veränderung ist der Motor des Konglomerats aus Sozialem und Kulturellem, einer unnachahmlichen Mixtur, die wir Stadtleben nennen.


Eine Auswahl von Barbara Jahn

Der Schweizer Architekt Max Dudler ist einer derjenigen zeitgenössischen Baukünstler, die das Bestehende in einer Stadt schätzen. In jedem seiner vielen Projekte sucht er nach Lösungen, an die Substanz anzudocken und sich mit einer mit viel Sensibilität und Fingerspitzengefühl selektierten Materialität anzunähern und die Geschichte fortzuschreiben. Für ihn ist das ausschlaggebende Element ganz klar der Kontext, auf den man sich als Architekt einlässt, und er ist ebenso klar gegen selbstgesetzte Architekturdenkmäler, die weder Empathie für die Umgebung zeigen noch – und das ist jetzt größer gedacht – die Identität einer Stadt berücksichtigen. In seinem im Jovis Verlag und von Alexander Bonte herausgegebenen Buch Geschichte weiterbauen, das er anlässlich der gleichnamigen Ausstellung in der Kunsthalle Bielefeld publiziert, bezieht Max Dudler dazu Stellung: „Das Baudenkmal führt uns vor Augen, dass wir von der Vergangenheit getrennt sind. Zugleich erinnert es uns daran, dass es unsere Aufgabe ist, eine Beziehung mit der Geschichte aufzunehmen." Das Buch zeigt eindrucksvolle Beispiele geschickter Transformationen von historischen Bauten in abstrakte und skulpturale moderne Bauwerke – vom Hambacher Schloss bis zum Eisenbahnmuseum in Bochum, bei denen das Band zur Geschichte nicht abreißt, sondern fortgeführt wird.

Max Dudler
Geschichte weiterbauen
136 Seiten, deutsch/englisch
Jovis, € 36,-

Mit dem Wiederverwenden ganz anderer Art, wenn auch im architektonischen Kontext beschäftigt sich das umfassende Handbuch Bauteile wiederverwenden. Ein Kompendium zum zirkulären Bauen, erschienen im Verlag Park Books. In Österreich hat dieser Trend bereits Fahrt aufgenommen durch Initiativen wie das BauKarussell, und das zirkuläre Bauen steht auch immer mehr Fokus der europäischen Architekturdiskussion, insbesondere in Hinblick auf Ressourcenschonung, Nachhaltigkeit und Energieeffizienz – allesamt wichtige Faktoren, die wesentlich dazu beitragen können, die ambitionierten Klimaziele zu erreichen. Das Phänomen per se ist nicht neu: Schon seit vielen Jahrhunderten wurden ungenutzte und verfallende Bauwerke abgetragen und Wiederverwertbares bei Neubauten eingesetzt. Dieses reich bebilderte Nachschlagewerk, an dem eine Vielzahl von Autoren mitgearbeitet haben, geht allen Fragen zur Wiederverwendung von Bauteilen im Detail nach¬ und veranschaulicht dies eindrucksvoll anhand eines konkreten Beispiels, dem Kopfbau K 118 auf dem Winterthurer Lagerplatz, das bislang grösste Gebäude der Schweiz, das mehrheitlich aus wiederverwendeten Bauteilen besteht.

 

Institut Konstruktives Entwerfen, ZHAW Departement Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen, Eva Stricker, Guido Brandi, Andreas Sonderegger; Baubüro in situ AG; Zirkular GmbH; Marc Angst, Barbara Buser, Michel Massmünster
Bauteile wiederverwenden. Ein Kompendium zum zirkulären Bauen
344 Seiten, deutsch
Park Books, € 58,-

Diese wichtigen Schritte in Richtung Idealisierung weitergedacht und damit weit in die Zukunft geblickt hat das Buch The Ideal City. Exploring Urban Futures, mitherausgegeben vom Kopenhagener Forschungs- und Designlabor SPACE10, das Ideen für die Verbesserung des alltäglichen Lebens entwickelt. Der starke und immer weite wachsende Zustrom in die Städte ruft große Herausforderungen auf den Plan: klimatisch, gesellschaftlich, städtebaulich und architektonisch. Die Autoren nehmen den Leser in 53 Städte rund um den Globus mit, die zwar alle unterschiedliche und sehr spannende Herangehensweisen haben, sich für die urbane Zukunft zu rüsten, jedoch entdeckt man unter dem Strich dieselben Grundwerte und das gleiche Ziel, getragen vom Gefühl der Gemeinschaft. Zu diesem drängenden Problem kommen unter anderem visionäre Menschen wie die Architekten Jan Gehl und Bjarke Ingels, die Mobilitätspionierin Robin Chase oder Stadtplanerin Shipra Narang Suri, Leiterin der UN-Organisation für Stadtentwicklung zu Wort, die sich schon heute mit dieser Thematik intensiv auseinandersetzen und Denkanstöße für die Stadt von morgen bereithalten.

 

 

SPACE 10 & gestalten (Hg.)
The Ideal City. Exploring Urban Futures
256 Seiten, englisch
Gestalten, € 35,-

Die umfassenden Umbruch-, Umgestaltungs- und Verwandlungsprozesse von Städten, die sich parallel zu Architektur und Städtebau etablieren, thematisiert das Buch Transformation und Mischung. Städtebau im Wandel. Gewidmet dem verstorbenen Gründer und Geschäftsführer Joachim Haase von RHA Reicher Haase Assoziierte, spüren Christa Reicher und Holger Hoffschröer in einer globalen Betrachtung dem sozialen und demografischen Wandel, dem Klimawandel, der Digitalisierung und neuen Technologien nach. Wechselwirkung und gegenseitiger Einfluss zwischen dem einzelnen Gebäude und dem regionalen Kontext wird dabei sichtbar gemacht, nicht zuletzt veranschaulicht durch die mannigfaltigen Konzepte und Strategien zur Gestaltung des Strukturwandels auf allen Ebenen von RHA Reicher Haase Assoziierte selbst, die nach 25 Jahren Theorie und Praxis zu dem Schluss kommen, dass guter Städtebau vor allem eine Frage der Typologie, der passenden Mischung von Nutzungen sowie des klaren Prozessdesigns ist.

 

 

 

 

Christa Reicher / Holger Hoffschröer (Hg.)
Transformation und Mischung. Städtebau im Wandel
352 Seiten, deutsch
Jovis, € 35,-

Und gerade, weil die Betrachtung der städtischen Mikrostrukturen in diesem Wandel eine so wichtige Rolle spielt, ist Come Together. The Architecture of Multigenerational Living die thematisch perfekte Ergänzung. In Form von 29 Fallstudien stellt die in Prag lebende gebürtige Amerikanerin und Mitherausgeberin Joann Plockova die wachsende Gegenbewegung zur Besiedelung der urbanen Vororte in den Mittelpunkt. Was vor 50 Jahren den Wunsch nach dem eigenen Haus mit Garten befriedigen konnte, erscheint heute nicht mehr zeitgemäß oder vielleicht sogar nicht mehr „gesellschaftsfähig“. Die Neuentdeckung der zahlreichen Vorteile eines Mehrgenerationenhauses und gemeinschaftlicher Wohnprojekte, die gerade eine Renaissance erleben, bei denen das Zusammenleben von Jung und Alt für alle eine wirtschaftliche und soziale Win-Win-Situation darstellt, bildet den Fokus dieses Werkes, spannend aufgearbeitet und begleitet von fünf Essays, die den Werdegang des generationenübergreifenden Wohnens bis zu seinen historischen Wurzeln zurückverfolgen lassen.

 

 

gestalten & Joann Plockova (Hg.)
Come Together. The Architecture of Multigenerational Living
288 Seiten, englisch
Gestalten, € 41,10

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