Strategien für ein selbstbestimmtes Leben

Feministischer Wohnbau in Wien

Das Zuhause als Ort, der eigentlich Sicherheit und Geborgenheit bieten sollte, ist für viele Frauen* alles andere als Realität. Statt eines geschützten Rückzugsorts sehen sie sich mit den Auswirkungen tief verwurzelter gesellschaftlicher Machtverhältnisse konfrontiert, die ihren Alltag und ihre Wohnverhältnisse maßgeblich bestimmen. Sicherheit ist die Grundvoraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben – und Wohnen spielt dabei eine zentrale Rolle. Die Verantwortung dafür darf jedoch nicht allein bei den Betroffenen liegen.

Text: Selina Wach


„Der gefährlichste Ort für eine Frau ist ihre Partnerschaft“, erklärt Sigrid Prinz, die im Januar 2025 zur Leiterin des Architektur Haus Kärnten berufen wurde, zur Eröffnung der Ausstellung „Frau* schafft Raum“. Die Ausstellung greift das Konzept des ersten feministischen Kunstraums gegen Gewalt an Frauen auf, der im Dezember 2023 in einer ehemaligen Trafik in Wien eröffnet wurde, und überträgt es auf den Kontext Kärntens, um den Wandel eines Ortes des Verbrechens hin zu einem Ort des Erinnerns, der Solidarität und der Prävention zu zeigen. Die traurige Wahrheit manifestiert sich in Zahlen: Zwischen 2014 und 2024 wurden in Österreich 324 Frauen* von ihrem (Ex-)Partner oder einem Familienangehörigen ermordet. Oft geschah dies im eigenen Zuhause. Ein Wohnungsmarkt voller Hürden sowie wirtschaftliche Abhängigkeiten verhindern für viele Frauen* ein selbstbestimmtes Leben. Ein solches jedoch ist eine wichtige Voraussetzung, um Femiziden vorzubeugen.

Auswirkungen struktureller Verteilungsungleichheit In Österreich gibt es bislang keine konkreten Zahlen zur Eigentumsverteilung im Wohnraum. Statistiken zur geschlechtsspezifischen Vermögensverteilung und zum Gender-Pay- Gap zeigen eine deutliche strukturelle Ungleichheit, die die Wohn- und Lebenssituation von Frauen beeinträchtigt. Besonders bei Trennungen oder wirtschaftlichen Unsicherheiten sind Frauen häufiger gezwungen, die gemeinsame Wohnung zu verlassen. Männer hingegen können aufgrund höherer Einkommen und finanzieller Rücklagen öfter eine Immobilie behalten oder rascher neuen Wohnraum finden, während Frauen vor größeren Hürden Die Balkone der „Roten Emma“ sind als vollwertige grüne Freiräume gestaltet, die durch Windschutzwände und Pflanztröge eine nahtlose Verbindung zwischen den eigenen vier Wänden und dem Außenbereich schaffen. The balconies of the “Rote Emma” are designed as fully-fledged green open spaces that create a seamless connection between your own four walls and the outside area with windbreak walls and plant troughs. Grafik ARGE Gerner Gerner Plus AllesWirdGut Rendering ARGE Gerner Gerner Plus AllesWirdGut architektur.aktuell, 540, No. 3.2025 39 stehen. Der Zugang zu Miet- und Kaufverträgen ist für sie erschwert, da Banken Kredite vor allem auf Basis von Einkommen und Vermögen vergeben – beides Bereiche, in denen Frauen strukturell benachteiligt sind. Die Lohnschere und die bei Frauen häufigere Teilzeitbeschäftigung sowie unbezahlte Care- Arbeit erschweren den langfristigen Zugang zum Wohnungsmarkt zusätzlich. Zudem führt die ungleiche Vermögensverteilung in Partnerschaften dazu, dass Frauen oft nicht gleichberechtigt über Immobilienbesitz entscheiden können. Im Falle einer Trennung bleibt ihnen dann häufig nur der überhitzte Mietmarkt oder – im schlimmsten Fall – Wohnungslosigkeit. Das Scheitern von Partnerschaften und die damit verbundene finanzielle Abhängigkeit sind entscheidende Ursachen weiblicher Obdach- und Wohnungslosigkeit.

Die „Rote Emma“ Architektur kann Gewalt nicht verhindern. Aber sie kann Räume schaffen, die Frauen Schutz und Selbstbestimmung ermöglichen. Ein aktuelles Beispiel ist das Projekt „Rote Emma“, das derzeit im 22. Wiener Gemeindebezirk entsteht. In Zusammenarbeit zwischen GERNER GERNER PLUS. und AllesWirdGut werden hier Räume entwickelt, die nicht nur funktional sind, sondern gezielt auf die Bedürfnisse und Rechte von Frauen* eingehen. Das Projekt ist aus einem Bauträgerwettbewerb hervorgegangen und verfolgt das Ziel, gendersensibles Bauen weiterzuentwickeln und unterschiedliche Lebensformen bestmöglich zu unterstützen. Bei der Planung wurden besondere Lösungen umgesetzt, um den Wohnraum flexibel und lebenswert zu gestalten. Mit 12 bis 15 Quadratmetern sind die Balkone großzügiger als üblich. Da sie nicht zur Wohnnutzfläche zählen, bieten sie zusätzlichen Freiraum ohne höhere Mietkosten. Integrierte, abtrennbare Nischen erweitern die Gestaltungsmöglichkeiten der Wohnungen. Diese sechs bis acht Quadratmeter großen Räume verfügen über eigene Fenster und ermöglichen flexible Nutzungsmöglichkeiten – sei es als Arbeitsplatz, Rückzugsort oder vorübergehendes Kinderzimmer. Durch die gezielte Anordnung der Fassaden wurde sichergestellt, dass genügend Fensterflächen vorhanden sind, um diese Nischen gut zu belichten und zu belüften. Um den Wohnraum optimal zu nutzen, wurde zudem die Raumaufteilung angepasst: Wohnbereiche
sind großzügig und gut belichtet, während die Schlafbereiche abgestuft sind...


Sie möchten weiterlesen? Dieser Beitrag ist Teil unserer Ausgabe 3/2025. Der Volltext ist ab Seite 38 zu finden.

© Rendering ARGE Gerner Gerner Plus AllesWirdGut

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