MEDIA REVIEW

Große Namen und neue Kräfte

In der aktuellen Publizistik zur deutschen Architektur ist eine Parallele sichtbar. Auf der einen Seite werden wieder vermehrt Meisterwerke der Klassischen Moderne ins Blickfeld gerückt – andererseits gilt das Interesse neuen Kräften, die in den Regionen eine lebendige Baukultur ausgelöst haben. Dass gerade im großen Bundesland Bayern eine jüngere Generation von Architektinnen und Architekten durch beispielhafte Leistungen hervorgetreten ist, zeigen gleich mehrere Bücher.


Eine Auswahl von Wolfgang Jean Stock

Julius Posener (1904–1996) war für Deutschland, was Friedrich Achleitner für Österreich war: ein engagierter Freund der neuen Architektur, zugleich ein kritischer Zeitgenosse, der sich nicht scheute, auch in aktuelle Konflikte einzugreifen. Beide verfügten über die Gabe, Themen der Architektur auf eine spezifische Weise zu vermitteln. Ihr Profil zeichnete aus, dass sie eher Erzähler denn Wissenschaftler waren. So hatten ihre Texte und Vorträge einen Ton, der über die Fachwelt hinaus ein großes Publikum faszinieren konnte. In ihrem Lesebuch Typisch Posener ist es Katrin Voermanek gelungen, den Charakter des Architekturhistorikers und Aktivisten besonders für jene anschaulich zu machen, die ihn nicht mehr erlebt haben. Ehe man sich den „Häusergeschichten“ zuwendet, sollte man das Kapitel lesen, wie Posener, der jüdische Emigrant und späte Rückkehrer in seine Heimatstadt Berlin, zum Architekturkritiker wurde. In ihrem Epilog stellt Voermanek fest, was man heute von ihm lernen könne: „Architektur ist immer ein Politikum.“ Ihre These belegen Poseners intensive Auseinandersetzungen mit neun Berliner Bauten der Moderne. Dabei schreckte er auch vor harschen Urteilen nicht zurück – so bezeichnete er etwa die Neue Nationalgalerie von Mies van der Rohe als „eine Krambude“.

 

 

 

Katrin Voermanek
Typisch Posener
152 Seiten, Deutsch, Jovis Verlag, 18€

Zwei anderen Schlüsselwerken von Mies hat sich der große Architekturfotograf Klaus Kinold gewidmet, der vor einigen Monaten im Alter von 81 Jahren gestorben ist. Seinen Anspruch, den Barcelona Pavillon und das Brünner Haus Tugendhat im Geist des Architekten zu dokumentieren, konnte er kongenial einlösen. In seiner Buchreihe bei Hirmer hat Kinold den Bildband Ludwig Mies van der Rohe - Barcelona Pavillon Haus Tugendhat mit Texten von Christoph Hölz und Wolf Tegethoff wiederum großzügig gestaltet. Das Interesse für beide Gebäude trieb ihn schon länger um – so fotografierte er den Pavillon bereits in den frühen 1990er Jahren. Die Bilder vom Haus Tugendhat aus dem Jahr 2019 hingegen sind Kinolds letzte Fotoserie vor seinem Tod. Seine Leidenschaft für Mies beruhte auch darauf, dass er bei Egon Eiermann studiert hatte, einem Meister des Bauens mit Stahl und Glas.

 

 

 

 

 

 

Klaus Kinold (Hrg.)
Ludwig Mies van der Rohe - Barcelona Pavillon Haus Tugendhat
72 Seiten, Deutsch/Englisch, Hirmer Verlag, 35€

In der zeitgenössischen deutschen Architektur spielt das Bundesland Bayern mit einer Bevölkerung von mittlerweile 13,5 Millionen eine führende Rolle. Den Reichtum an neuen Bauten vermittelt das Buch Mitten in Bayern durch zwanzig Beispiele aus allen sieben Bezirken. Unter dem Titel „Regionale Architektur und Identität“ gibt es zunächst eine Einführung in die Besonderheiten des Landes, in seine Geschichte, seine Landschaften und historischen Haustypen. Neue Gebäude aus den Großstädten wurden bewusst nicht aufgenommen, weil es den Autorinnen und Autoren um baukulturelle Perspektiven für den meist vernachlässigten ländlichen Raum geht. Dieser lobenswerten Orientierung entspricht die Auswahl der Projekte: von neuen Ortsmitten über kulturelle Gebäude bis hin zu Wohnbauten. Neben der Qualität der Fotos und Planzeichnungen ist die fachkundige Erläuterung der Beispiele hervorzuheben.

 

 

 

 

 

 

Daniel Reisch, Katinka Temme (Hrg.)
Mitten in Bayern
146 Seiten, Deutsch/Englisch, Edition Detail, 39,90€

Ein bayerischer Regierungsbezirk nimmt eine Sonderrolle ein: die Oberpfalz. Wie zuvor Vorarlberg in Österreich, wurde die Oberpfalz zum Vorreiter der neuen bayerischen Architektur. Die Leistungen der vorwiegend jüngeren Architektinnen und Architekten sind seit über zwanzig Jahren so zahlreich, dass nun bereits der vierte Band Aktuelle Architektur der Oberpfalz erschienen ist. Die sechzig Beispiele unterteilen sich in die Gruppen Kunst und Kultur, Bildung und Gemeinschaft, Wohnen sowie Arbeiten. Neben selbstbewussten Neubauten, darunter die Synagoge in Regensburg, ist ein Schwerpunkt das Bauen im Bestand – auch in der Oberpfalz wird zunehmend auf die „graue Energie“ geachtet. Die vielfältige Umnutzung historischer Substanz bietet auch für das vergleichbare europäische Ausland markante Anregungen. Zur Verdeutlichung der jeweiligen städtebaulichen Situation werden die Fotos durch Lagepläne ergänzt.

 

 

 

 

Nicolette Baumeister (Red.)
Aktuelle Architektur der Oberpfalz, Band IV
184 Seiten, Deutsch, Büro Wilhelm Verlag, 19,80€

Zu den international geschätzten Oberpfälzer Spitzenkräften zählt das Architektenpaar Johannes und Gudrun Berschneider. Seit nunmehr 35 Jahren haben sie zusammen mit ihrem Team über eintausend Entwürfe baulich umgesetzt. Dies gab ihnen den Anlass, sich mit dem opulenten Buch Berschneider + Berschneider selbst zu beschenken. Mit Ausnahme des Kirchenbaus gibt es keine Aufgabe, die sie nicht bearbeitet hätten. Eine gute Idee war es, die einzeln vorgestellten Projekte nicht schlicht sachlich, sondern durch farbig geschriebene Texte des Hamburger Autors Till Briegleb zu erläutern. Ein eigenes Kapitel behandelt die erfolgreiche Kommunikation der neuen Architektur in die Oberpfälzer Öffentlichkeit durch Ausstellungen, Preise, Publikationen und Vorträge. Auch dabei war Johannes Berschneider der Motor – seiner Einladung zum Vortrag in Neumarkt folgte selbst Prominenz wie Klaus Kada und Luigi Snozzi. So zeigt das Buch im Ganzen, wie eine neue Baukultur „von unten“ entstehen kann.

 

 

 

 

Wilhelm Koch, Anna Roderus (Red.)
Berschneider + Berschneider
448 Seiten, Deutsch, Büro Wilhelm Verlag, 55€

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