Im Gespräch mit Living for Future: Schichten der Gemeinschaft

Unter dem Motto „Aus Miethaien Goldfische machen“ fanden sich in Wien 13 Menschen als Baugruppe zusammen, um einen unkonventionellen Schritt gegen Wohnraumspekulation zu setzen. Ein Gespräch mit den ArchitektInnen der Baugruppe Lisa Schmidt-Colinet und Alexander Schmoeger sowie der Mitinitiatorin Susi Jirkuff über Gemeinschaft, Finanzierung und den Wunsch nach selbstverwaltetem Wohnen.
Interview von Nina Lorein
Wie entstand die Idee für das Projekt 1/10/100 und welche langfristigen Ziele verfolgt es?
[Lisa Schmidt-Colinet] Anlass für das Projekt war ein Bauträgerwettbewerb des wohnfonds_ wien, der 2019 speziell für Baugruppen ausgeschrieben war. Das Grundstück wird von der Stadt Wien im Baurecht bis zum Jahr 2101 vergeben. Dies hat uns als Baugruppe in der Entwicklung des Konzepts dazu inspiriert, verschiedene Zeiträume innerhalb eines Projekts mitzudenken, woraus der Titel 1/10/100 entstand. Dabei steht die Zahl 100 für die Langzeitbetrachtung des Projekts, 10 für mögliche veränderte Lebens- und Wohnverhältnisse innerhalb von zehn Jahren und 1 für das Leben mit den wechselnden Jahreszeiten innerhalb eines Jahres.
[Alexander Schmoeger] Da das ausgeschriebene Grundstück zwischen der Hütteldorfer Straße und der Felbigergasse im Baurecht vergeben wird, mussten wir das Grundstück nicht vorfinanzieren, was in unserem Fall in die Frage der Machbarkeit hineinspielt, das Projekt ohne Bauträger stemmen zu können. Aber auch die überschaubare Größe mit zehn Metern Breite und rund 100 Metern Länge, das Südhanggefälle von sechs Metern sowie die innerstädtische Lage machen es für uns zu einem spannenden Grundstück.
Welche Rolle spielen die Direktkredite in der Gemeinschaftsbildung innerhalb des Projekts?
[LS-C] Direktkredite decken einen Teil der Finanzierung ab. Das sind qualifizierte Nachrangdarlehen von Privatpersonen, die für einen gewissen Zeitraum Geld zur Verfügung stellen und es transparent und moderat verzinst im Projekt anlegen. Eine wichtige Motivation des Projektes ist es, sich aktiv gegen Spekulation mit Wohnraum zu stellen. Um dies umzusetzen, ist die Baugruppe Teil des solidarischen Dachverbandes habiTAT, einem Zusammenschluss selbstverwalteter Bauprojekt-Initiativen in Österreich. Die beiden Wohnhäuser werden von der Baugruppe selbst verwaltet und sind bis zum Jahr 2101 unverkäuflich. Dieses Finanzierungsmodell erfordert eine intensive Öffentlichkeitsarbeit und viele Gespräche, was den Kreis der Beteiligten weit über die Mitglieder der Baugruppe hinauswachsen hat lassen.
[AS] Es ist kein Finanzierungsbeitrag für das Projekt eingeplant, um zukünftigen BewohnerInnen einen möglichst niederschwelligen Zugang zu ermöglichen. Insgesamt wird ein Viertel der Kosten über Direktkredite finanziert, ein weiteres Viertel über Bankkredite und der Rest über die Wohnbauförderung der Stadt Wien.

Rendering: schcsch | Puttinger
Das Konzept des Projekts 1/10/100 sieht „das Leben mit den Jahreszeiten“ vor. Wie äußert sich das architektonisch?
[LS-C] Wir haben das Prinzip der vorgelagerten Wintergärten für uns neu interpretiert. Diese Klimaschichten, wie wir sie nennen, sind nutzungsoffene Erweiterungen des Wohnraumes und lassen je nach Wetterverhältnissen eine unterschiedliche Nutzung zu. Im Winter sind das unbeheizte Räume, während dieser Zwischenraum in den Übergangsjahreszeiten von der Sonne natürlich gewärmt wird. Im Sommer kann die Klimaschicht ganz geöffnet und die Verbindung zum Außenraum hergestellt werden. Außerdem arbeiten wir vorrangig mit der Energie, die uns umgibt. Konkret bedeutet das die Nutzung einerseits von Erdwärme über Tiefensonden zum Heizen und Kühlen und andererseits von Sonnenenergie mittels der Klimaschichten.
[AS] Jemand hat gesagt, dass man diese Wohnungen wie ein Segelboot sehen kann: Je nach Wetterlage und klimatischen Verhältnissen lässt sich der Wohnraum so adaptieren, dass das Optimum herausgeholt wird. Das führt im Winter zu einer kompakten Wohnung und in den wärmeren Jahreszeiten zu einer weitläufigen – was schlussendlich aktives Wohnen mit den Jahreszeiten ermöglicht.
Sie möchten weiterlesen? Dieser Beitrag ist Teil unserer Ausgabe 3/2025. Der Volltext ist ab Seite 30 zu finden.

Rendering: schcsch | Puttinger