Urbane Interventionen

Kiosk-Akupunktur

Es ist Anfang Juli, die heiße Luft in den Straßen Berlins steht. Es ist ein sehr sommerliches Wochenende und wer kann, versucht Schatten an einem See im Umland zu finden. Auch die Menschen in Alt-Treptow lassen den Tag möglichst gemächlich angehen, während ein schwarzer Bulli mit einem Anhänger, auf dem sich eine spiegelnde Metallkiste befindet, in einer Seitenstraße einparkt. Der Anhänger wird entkoppelt, gekippt und mit einer Seilwinde wird die circa 2,6 Meter hohe Struktur auf Rädern langsam auf das Kopfsteinpflaster heruntergelassen. Es ist der Kiosk of Solidarity, der die nächsten vier Tage am ParkCenter in Berlin-Treptow Station macht.

Text: Moritz Ahlert | Foto: Monika Keiler


Im Schatten der Shoppingmall Die 2023 gegründete Initiative „Sorge ins ParkCenter“ beschäftigt sich mit der halb leerstehenden Shoppingmall aus den frühen 1990er-Jahren, für die es unterschiedliche Visionen gibt. Während der Investor teilweise abreißen und durch Neubauten ersetzen will, ist das für die Initiative nicht nur aus ökologischer, sondern auch aus sozialer Sicht ein Fehler. Statt noch mehr Büros entstehen zu lassen, fordert sie eine wohnortnahe Versorgung und gemeinwohlorientierte Nutzungen, die die Mall zu einem zentralen Ort der Nachbarschaft transformieren, an dem das soziale Miteinander und die Sorge um sich, andere und die Umwelt im Mittelpunkt stehen (www.sorgezentren. de/manifest). Um ihre Vision mit Anwohner:innen zu diskutieren, verwandelt die Initiative „Sorge ins ParkCenter“ den Kiosk of Solidarity in einen „Kiosk of Care“ und lädt zu Aktionstagen ein. Unterstützt von Studierenden der Habitat Unit der Technischen Universität Berlin möchte die Initiative an vier Nachmittagen in einer Nebenstraße direkt am ParkCenter mit der Nachbarschaft ins Gespräch kommen und sich austauschen.#

Kiosk of Care Circa fünf Personen der Initiative und vier Studierende der TU Berlin packen sofort an. Der Kiosk wird an die richtige Stelle gerollt. Bunte Poster werden an die dafür vorgesehenen Panels geklebt, der obere Teil des Kiosks wird für mehr Sichtbarkeit hochgefahren. Nachbar:innen helfen mit, stecken Verlängerungskabel bei sich in der Wohnung ein, um den Kiosk mit Strom zu versorgen, mit dem vor allem Handys geladen, aber auch die zwei Waffeleisen sowie die Soundanlage betrieben werden. Der Waffelgeruch lockt Kinder und Eltern an, und sofort finden erste Gespräche statt. Ziel ist es, den Anwohner:innen einen Austausch darüber zu ermöglichen, wie es um die Shoppingmall steht, was eine Sorgende Stadt ausmacht und wie die Mall zu einer Sorgeinfrastruktur umgestaltet werden könnte. Am Ende der viertägigen Aktionstage wird das gemeinsam genähte Patchwork-Banner mit den Forderungen nach einer Sorgenden Stadt feierlich über dem Eingang des ParkCenters entrollt.

Kiosk der Solidarität Es ist die 19. Station des Kiosk of Solidarity, einer urbanen Interventionsserie, die vor allem in die umkämpften gesellschaftlichen Felder Arbeit, Gesundheit und Wohnen in Berlin interveniert. Über 25 solidarische Berliner Initiativen und Projekte haben den Kiosk seit 2023 an unterschiedlichen Orten Berlins jeweils für einige Tage genutzt. Der Kiosk wurde als Spin-Off des Forschungsprojekts Transforming Solidarities initiiert und ist seit 2024 als autonomes Projekt aktiv, als Teil des Netzwerkes Constructlab e. V. Die Arbeit des Kiosks wurde mit dem Spiegel Social Design Award 2023 (Jurypreis) und dem Design Vision Award 2023 des Sächsischen Staatspreis für Design ausgezeichnet.

Über 25 solidarische Berliner Initiativen und Projekte haben den Kiosk seit 2023 an unterschiedlichen Orten Berlins jeweils für einige Tage genutzt.

 

In vielfältigen Formaten bringen Initiativen und Projekte über den Kiosk Nachbar:innen, Mitstreitende und andere Interessierte zusammen und tragen ihre solidarische Praxis temporär in den öffentlichen Stadtraum. Insbesondere für marginalisierte Gruppen wie migrantische, geflüchtete, queere Communitys oder wohnungslose Menschen soll Sichtbarkeit erzeugt und die Vernetzung mit anderen Initiativen ermöglicht werden. Zusammen mit Studierenden der Technischen Universität Berlin unterstützt das Kiosk- Projektteam die Initiativen bei der Umsetzung ihrer Nutzungsideen – von der Gestaltung der Poster über die Beantragung der Standgenehmigungen bis hin zu Logistik, Dokumentation und Finanzierung. Entworfen und gebaut wurde der Kiosk vom Netzwerk Constructlab, in dem ausgewiesene Expert:innen für partizipative Projekte im öffentlichen Raum mitwirken. Die Anforderungen an das Design waren dabei dreifach: Erstens sollte der Kiosk mehrere Tage und Nächte unbewacht im öffentlichen Raum stehen können, ohne zerstört werden zu können. Zweitens musste er so leicht und kompakt sein, dass er mit einem einfachen Autoanhänger und einem „normalen“ Autoführerschein transportiert werden kann. Drittens sollte er trotz seiner Kompaktheit eine maximale Sichtbarkeit im Stadtraum erzeugen. Der Kiosk besteht daher aus einer robusten, einfach abschließbaren, aber dennoch nicht zu schweren Metallkonstruktion, an der Kunststoffpaneele zum Aufkleben von Plakaten befestigt sind – diese werden für jede Station neu gestaltet. Der obere Teil des Kiosks, der zum Anbringen der Poster dient, lässt sich mithilfe eines durch einen Akkuschrauber betriebenen Seilzugs auf eine Höhe von 3,60 Metern ausfahren und sorgt so für große Sichtbarkeit. In der heruntergefahrenen Position verschließt dieses flexible obere Element die Fenster und die Tür, sodass sie sich nicht öffnen lassen. Gleichzeitig ermöglicht es das einfache Anbringen von Postern – ganz ohne Leiter. Der Innenraum des Kiosks ist auf zwei Personen ausgelegt, funktional gehalten und offen für Aneignung. Die Metallwände laden dazu ein, mit Magneten zusätzliche Poster oder Flyer anzubringen...


Sie möchten weiterlesen? Dieser Beitrag ist Teil unserer Ausgabe 4-5/2025. Der Volltext ist ab Seite 96 zu finden.

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