Vom „Roten Wien“ bis heute

Kommunaler Wohnbau

Der soziale Wohnbau des „Roten Wien“ war in den 1920er-Jahren eine der erfolgreichsten europäischen Kampagnen zur nachhaltigen Lösung der „Behausungsfrage“. Seither entstanden rund 220.000 Wohnungen im unmittelbaren Besitz der Stadt, ein Fünftel des gesamten Wiener Wohnungsbestandes.

Text: Matthias Boeckl


Die Kampagne Zwischen 1919 und 1933 wurden in Wien über 61.000 Wohnungen in Siedlungen und Geschosswohnbauten errichtet. Dabei wurden sowohl Ideen der Gartenstadtbewegung als auch die innerstädtische Verdichtung genutzt. Die Projekte wurden erstmals von der Gemeinde als Bauherrin realisiert. Zur Finanzierung führte der Ex- Bankier Hugo Breitner als Finanzstadtrat 1923 eine Wohnbausteuer auf private Mietobjekte und eine Verbrauchssteuer auf Luxusgüter ein. Der renommierte Anatom Julius Tandler realisierte als Gesundheitsstadtrat ein dichtes sozialmedizinisches Netz mit Ambulatorien, Fürsorge- und Hygieneeinrichtungen.

© Photos Martin Gerlach jun. (1879–1944), Online-Sammlung des Wien Museums, Inventarnummern: 146355/10, 67615/2

Standards und politische Ziele Fünf zentrale Innovationen schufen den enormen Fortschritt gegenüber dem privaten Wohnbau vor 1918: Das Wichtigste waren die nunmehr leistbaren Wohnkosten von höchstens einem Fünftel eines Arbeitereinkommens. Die Gemeindebauten boten Familien mit mehreren Kindern zwei bis drei Wohnräume plus Vorraum, Küche und WC. Vorher war nur ein Zimmer mit Küche sowie Wasser und Abort in der „Bassena“ am Flur üblich. Auch mit Gas, Strom, Fließwasser innen und teilweise mit Balkon sowie Querlüftung wurde der Standard stark verbessert. Die Bebauungsdichte wurde zugunsten großzügiger Grünanteile stark reduziert (oft nur 40 Prozent gegenüber 85 Prozent vorher). Ebenso wurden viele Gemeinschaftseinrichtungen wie Waschküchen, Badeanstalten, Konsum-Läden, Leihbüchereien, Ambulatorien und Veranstaltungssäle gebaut. Entgegen den Forderungen der Avantgarde verweigerte man die Industrialisierung des Bauens: Dank bewusst traditionell-handwerklicher Techniken beschäftigte man zahlreiche Bauarbeiter, ArchitektInnen und KünstlerInnen für Skulpturen, Keramiken, Mosaiken, Malereien und Metallarbeiten. Am privaten Markt hätte es für diese Fachleute kaum Beschäftigung gegeben. Die davon bedingte „traditionalistische“, aber identitätsstiftende Erscheinung der Gemeindebauten wurde von der Avantgarde kritisiert, wird aber von Bevölkerung und TouristInnen bis heute geliebt.

Anfangs überblickbare Zielgruppen Wegen des absehbaren Untergangs der Monarchie ging die EinwohnerInnenzahl Wiens bereits ab 1916 zurück, noch vor Beginn des kommunalen Wohnbauprogramms 1919. Nach der konservativen Kanzlerdiktatur (1933–38) und der NS-Zeit (1938–45) wurde der Gemeindebau nach dem Zweiten Weltkrieg mit einer kurzen Unterbrechung (2004–15) fortgesetzt. Die Zielgruppen blieben bis 1991 übersichtlich und der Bedarf berechenbar, da die Bevölkerungszahl Wiens kontinuierlich von 2,2 Millionen EinwohnerInnen (1916) auf 1,5 Millionen in den 1980er- und 90er-Jahren sank. Neue Unwägbarkeiten Nach der Ostöffnung 1989/90, Österreichs Beitritt zur EU 1995 und mit dem Schengen-Abkommen 1997 sowie den großen Fluchtbewegungen um das Jahr 2015 stieg Wiens EinwohnerInnenzahl wieder rasch an. 2024 zählte man bereits über zwei Millionen EinwohnerInnen und mittelfristig werden Netto-Wachstumsraten von rund 10.000 Personen pro Jahr erwartet...


Sie möchten weiterlesen? Dieser Beitrag ist Teil unserer Ausgabe 3/2025. Der Volltext ist ab Seite 22 zu finden.

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