Modern Classics 15

Konrad Wachsmann in Wien

Burkhalter + Sumi, Wachsmanns Grapevine Structure, Rekonstruktion, Biennale 2018, Venedig (c) MB

Die Wiener Moderne nach Otto Wagner zeigte sich gegenüber der Industrialisierung stets skeptisch. Industrieprodukte schienen die individuelle Kreativität von Gestaltern auszuschließen und den Nutzern wenig Identifikationsmöglichkeiten zu bieten. Anders als das Bauhaus in Deutschland oder der 1932 in den USA erfundene "International Style" setzten Josef Hoffmann, Josef Frank und andere auf handwerkliche Produktion. Nach 1945 änderte sich das.


 

Es war vor allem das Ende der NS-Diktatur und der Beginn einer offensiven Kulturpolitik der Besatzungsmächte, die ab 1945 eine zaghafte Öffnung der Wiener Moderne gegenüber den Chancen der Industrialisierung brachten. Zahlreiche Ausstellungen in den Kulturinstituten und Informationsstellen, die vor allem von Frankreich und den USA in Wien und den österreichischen Bundesländern eingerichtet wurden, aber auch eine neue internationale Fachmedienvielfalt ließen das Industrialisierungsthema zum Hoffnungsprojekt junger Architekten avancieren, mit dem sich gleich auch manch unliebsame Tradition entsorgen ließ.

Hans Hollein, Weltausstellungspavillon, Diplomarbeit bei Holzmeister, Wien 1956 (c) NL Hollein

Hans Hollein, Weltausstellungspavillon, Diplomarbeit bei Holzmeister, Wien 1956 (c) NL Hollein

Zusätzlich zur Medienarbeit und Ausstellungen setzten etwa die USA auch auf glaubwürdige Testimonials, um ihre Botschaft einer demokratischen Moderne auf industrieller und kapitalistischer Basis breit in Europa zu lancieren. Persönlichkeiten wie Konrad Wachsmann, die bereits vor dem Krieg in Deutschland am Projekt der Industrialisierung des Bauens gearbeitet hatten und vor den Nazis in die USA geflohen waren, schienen nun perfekt dafür geeignet, das demokratische Ideal in zahlreichen Vorträgen geschickt mit Interessen der Industrie unter dem Anschein zu verknüpfen, dass industrielle Prozesse von Künstlern gesteuert werden können. Schon vor seinem ersten Auftritt in Wien machte sich diese Botschaft des Wanderpredigers etwa in der Meisterschule Clemens Holzmeisters an der Wiener Akademie der bildenden Künste bemerkbar, wo beispielsweise Hans Hollein 1956 in seiner Diplomarbeit zu einem Weltausstellungspavillon ein modulares Fachwerk aus Stäben und Koten einsetzte.

Für uns war das ein unglaublicher Eindruck. Wachsmann schien vieles von dem einzulösen, was wir vergeblich in Wien versucht haben.

Friedrich Kurrent

 

Konrad Wachsmann hatte in seinem US-Exil in den 1940er Jahren zwei viel beachtete „Anwendungen“ einer industriellen Fertigungstechnik von Gebäuden entwickelt: Für das US-Militär entwarf er etwa Hangars für Flugzeuge und im zivilen Bereich entwickelte er mit Walter Gropius ein Fertighausmodell, das allerdings am Markt nicht reüssieren konnte. Danach wandte er sich der akademischen Lehre zu und unternahm zahlreiche von der US-Regierung bezahlte Vortragsreisen etwa nach Japan oder Zentraleuropa. Im Zuge dieser globalen Tournee kam Wachsmann auch nach Österreich. Hier nahm er an einem „Interdisziplinären Managerseminar“ am Semmering teil und hielt in Wien einen folgenreichen Vortrag unter dem Titel Erziehung – Planung – Industrialisierung. Am 24. April 1956 bat die Zentralvereinigung der Architekten (ZVA) unter Präsident Erich Boltenstern in Zusammenarbeit mit der United States Information Agency (USIA) zu dieser folgenreichen Präsentation in den Vortragssaal des MAK. Für die etablierten Wiener Architekten brachte das eine erneute Konfrontation mit jener technikbegeisterten Avantgarde, die in Österreich – trotz punktueller, aber folgenloser Versuche einiger Architekten und Industrieunternehmen in der Zeit um 1930 – keine Tradition hatte, nun aber über das US-Exil scheinbar zu weltweitem Einfluss gekommen war. Man bemühte sich daher um eine ehrliche Auseinandersetzung mit dieser Strategie.

Wachsmann über den Crystal Palace aus seinem Buch "Wendepunkt des Bauens"

Wachsmann über den Crystal Palace aus seinem Buch "Wendepunkt des Bauens"

Roland Rainer, dessen Wiener Stadthalle sich damals gerade im Bau befand, und ZVA-Chef Erich Boltenstern referierten ihre Eindrücke von Wachsmanns Vortrag in der vereinseigenen Zeitschrift Der Bau. Rainer kommentierte die eher akademische denn marktfähige Fixierung Wachsmanns auf das wichtigste konstruktive Detail industrieller Bausysteme – den Knoten: „Das mit der Gründlichkeit und Präzision durchdachte Detail – nicht irgendeines, sondern das Eine, charakteristische Detail der besten Zusammenfügung der Elemente – hat Wachsmann zu jener ‚Kunst der Fuge‘ entwickelt, das ihm Ausgangspunkt für die gesamte Konstruktion, ja darüber hinaus Ausgangspunkt in unerforschtes Neuland der Gestaltung ist“. Zur Diskussion der Architektenausbildung bemerkte Rainer, dass die Idee von „Elementarklassen zur Entfaltung von Materialverständnis und Konstruktionsgefühl“ zwar im Bauhaus kultiviert worden sei, aber das „soll es auch in Wien, z. B. unter Strnad, gegeben haben – das ist allerdings lange her. Gerade diesbezüglich könnten Wachsmanns Ausführungen unmittelbar Anregung für die Weiterführung unserer eigenen modernen Tradition geben.“

Der Bau 1956

Der Bau 1956

Erich Boltenstern, der 1929 bis 1934 an der damaligen Kunstgewerbeschule als Assistent des von Rainer angesprochenen Oskar Strnad gewirkt hatte, konnte Wachsmanns Ideen aus der Perspektive einer Sozialisierung in der Wiener Moderne betrachten – und sogleich auch relativieren: „Sie gelten in erster Linie für Amerika, wo die Verhältnisse in konstruktiver und technischer Hinsicht noch weit mehr auf die Maschine abgestellt sind als in Europa, aber wahrscheinlich wird diese Entwicklung auch hier immer mehr diese Richtung nehmen.“ Nach der Schilderung von Wachsmanns kollektivistischem Seminarsystem der Architektenausbildung in Teams mit einer jeweils ungeraden Anzahl an Teilnehmern zieht auch Boltenstern den – nicht näher differenzierten – Vergleich mit der Wiener Moderne: „Ich erinnere nur an einen Lehrer, wie es Strnad war, der aus tiefster Erkenntnis der Grundlagen unseres Lebens und der daraus entspringenden Formenwelt schon ähnliche Wege wie Wachsmann gegangen ist.“

Auf die junge Architektengeneration, die nach viel traditionelleren Modellen ausgebildet worden war und nach Alternativen zum wenig innovativen Wiederaufbaubetrieb dürstete, wirkte Wachsmanns Vortrag allerdings wie ein Erweckungserlebnis: „Für uns war das ein unglaublicher Eindruck. Wachsmann schien vieles von dem einzulösen, was wir vergeblich in Wien versucht haben“, erinnert sich Friedrich Kurrent. Gemeinsam mit Johannes Spalt sollte er bald dafür sorgen, dass Wachsmann über die Lehre an der Sommerakademie in Salzburg mehr Einfluss auf die jungen österreichischen Architekten gewann - davon mehr im nächsten Teil unserer Mini-Serie über die Industrialisierung des Bauens.

Das könnte Sie auch interessieren

Newsletter Anmeldung

Wir informieren Sie regelmäßig über Neuigkeiten zu Architektur- und Bauthemen, spannende Projekte sowie aktuelle Veranstaltungen in unserem Newsletter.

Als kleines Dankeschön für Ihre Newsletter-Anmeldung erhalten Sie kostenlos ein architektur.aktuell Special, das Sie nach Bestätigung der Anmeldung als PDF-Dokument herunterladen können.