Modern Classics 05

Looshaus und Archäologiefeld Michaelerplatz - zwei Klassiker im Fokus

Adolf Loos, Vortragsplakat - Detail

Mit den aktuellen Initiativen zur Errichtung von Begegnungszonen in der Wiener Innenstadt gelangen zwei „modern classics“ erneut in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit: Das berühmte „Looshaus“ und das „Archäologiefeld“ am Michaelerplatz. Ersteres geplant von Adolf Loos (1870-1933), letzteres von Hans Hollein (1934-2014).


 

Adolf Loos, einer der großen Pioniere der Wiener und der internationalen Moderne, wurde mit dem 1909 bis 1911 errichteten sogenannten „Looshaus“ auf einen Schlag berühmt. Obwohl es sich um den keineswegs ungewöhnlichen Bautyp eines innerstädtischen Wohn- und Geschäftshauses handelte, erregte das Projekt größtes Aufsehen, das sogar eine zeitweilige Einstellung der Bauführung bewirkte. Warum? Die von den Wiener Zeitungen lustvoll genährte Aufregung hat vor allem mit dem prominenten Bauplatz zu tun, der direkt gegenüber dem Innenstadttor der kaiserlichen Hofburg am Michaelerplatz liegt. Alles, was hier gebaut wird, stand und steht noch immer im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses und wird mit den würdevollen historischen Bauten am Platz in Beziehung gesetzt. Als Loos hier auf der Fläche eines abgerissenen Vorgängerbaus sein Geschäftshaus für die Herrenausstatter Goldman & Salatsch zu bauen begann, dominierten am Michaelerplatz die Architektursprachen des Neobarock und des Klassizismus. Die Geschichte des Platzes reicht jedoch noch viel weiter zurück: Schon zur Römerzeit gab es diese Straßenkreuzung mit Handwerkerhäusern zwischen einer Fernstraße und der Stichstraße, die davon abzweigte und ins unweit davon – nördlich des heutigen Grabens – gelegene Militärlager Vindobona führte.

Looshaus am Michaelerplatz, Wien, August 1910

Looshaus am Michaelerplatz, Wien, August 1910

Im frühen 13. Jahrhundert wurde der Ort erneut bebaut, als man hier die mittelalterliche Hofburg begann und die Michaelerkirche errichtete. Die Fassaden der Bauten rund um den Platz waren nach vielen Um- und Zubauten der Hofburg-Fassaden und des Palais Herberstein zwischen Burg und Looshaus im 19. Jahrhundert im Neobarockstil gehalten. Die Fassade der Michaelerkirche hingegen war schon 1791/92 von Ernst Koch über dem 1724 von Antonio Beduzzi errichteten klassizistischen Portikus sehr zurückhaltend gestaltet worden. Loos und alle anderen modernen Architekten seiner Generation lehnten die historistischen Stile des 19. Jahrhunderts ab, während sie Biedermeier und Klassizismus schätzten. Deshalb bezog Loos sich in seinem nüchtern-eleganten Fassadenentwurf mit den großen Säulen des Geschäftshauses unter anderem auch auf die Kirchenfassade: „Der stil der kirche, welche das pendant zu diesem bau bildet, war für mich richtunggebend“, erklärte er 1910 in seinem Text „Eine Zuschrift“ (siehe unten). Diese Säulen stellte er als nichttragende Architekturelemente in einen Stahlbetonrahmen, der – ganz im damals neuen Usus innerstädtischer Geschäftshäuser um 1900 – die Geschäftszone der unteren Geschosse trägt. Im Rohbau fehlten die Säulen aber natürlich noch – ein vorübergehender Zustand, den zeitgenössische Beobachter in der bekannten Kanalgitter-Karikatur festhielten.

Zeitgenössische Karikatur zum Looshaus

Zeitgenössische Karikatur zum Looshaus

Der stil der kirche, welche das pendant zu diesem bau bildet, war für mich richtunggebend.

Adolf Loos

 

Weitere Aufregungen entstanden aufgrund der glatten Fassade, die gegenüber dem Neobarock der Umgebung einen maximalen Kontrast bildete und daher als Respektlosigkeit gegenüber dem Kaiserhaus mißverstanden wurde. Loos‘ Intention war aber exakt gegenteilig, weil er grundsätzlich der Meinung war, dass Privatwohnungen in großstädtischer Diskretion nach außen hin möglichst wenig von ihrem – eben höchst privaten – Innenleben preisgeben und daher – stilistisch gesehen – eher „schweigen“ sollten. Gegenüber der Hofburg, in der ja immerhin der Kaiser wohnte, war diese beabsichtigte Unaufdringlichkeit, die zweifellos auch von Loos‘ Erlebnis der amerikanischen Großstadtarchitektur bei seiner USA-Reise 1893-96 beeinflusst war, doppelt angebracht. Sie bezog sich zudem auch – wie im Zitat oben ersichtlich – auf die elegante Zurückhaltung der klassizistischen Fassade der Michaelerkirche. Letztlich führten die Aufregungen dazu, dass das Stadtbauamt Loos die Anbringung von Blumenkästen unter den Fensteröffnungen vorschrieb, um den Eindruck eines „Hauses ohne Augenbrauen“ abzumildern. So wurde die noble Zurückhaltung einer elegant-modernen Großstadtkultur von den diesbezüglich noch wenig informierten Wienern als trotzige Rebellion und Provokation völlig mißverstanden.

1991 unternahm die Wiener Stadtarchäologie um Ortolf Harl aus Anlaß einer Neugestaltung der Oberfläche des geschichtsträchtigen Michaelerplatzes eine großflächige Ausgrabung, um allfällige Baureste aus historisch relevanten Bauperioden zu dokumentieren, bevor sie wieder unter dem Stadtplatz verschwinden würden. Man stieß auf römische Grundmauern, teilweise sogar mit Wandmalereien, und auf die mittelalterlichen Überreste der Mauer um den sogenannten Paradeisgarten, den ersten Lustgarten der Hofburg.

Adolf Loos, Vortragsplakat

Adolf Loos, Vortragsplakat

So entschloss sich die Stadtregierung unter Bürgermeister Helmut Zilk, einen Teil dieser Ausgrabungen permanent sichtbar zu halten, wofür Hans Hollein ein Planungsauftrag für ein „Archäologiefeld“ erteilt wurde. Dieser gestaltete das Fenster in die Baugeschichte der Stadt 1992 als längsrechteckigen, mit Brüstungen versehenen Einschnitt in die Platzfläche, der in der Achse Herrengasse-Reitschulgasse-Augustinerstraße und quer zur Achse Kohlmarkt-Michaelertor-Heldenplatz liegt. Die aktuellen Debatten um eine Fortsetzung der erfolgreichen Begegnungszone Herrengasse über den Michaelerplatz als letztes fehlendes Verbindungsglied zu der am Kohlmarkt beginnenden Fußgängerzone rund um den Stephansdom führen so zur notwendigen Abwägung des Wertes schützenswerter Baudenkmäler – denn Holleins lange, wie eine Barriere wirkende Öffnung der Platzfläche müßte für eine zufriedenstellende Nutzung durch Anrainer und Tourismus geschlossen oder irgendwie überbrückt werden, um die unterbrochene Achse von der Innenstadt durch die Hofburg auf den Heldenplatz wieder aktivieren zu können. Gut wäre es, wenn diese Diskussion möglichst breit geführt werden könnte – unter Einbezug von Anrainern, Fachleuten, BürgerInnen und PolitikerInnen.

Ausgrabungen am Michaelerplatz (c) Stadt Wien wien.gv.at

Ausgrabungen am Michaelerplatz (c) Stadt Wien wien.gv.at

Zurück zum „Classic“ des Looshauses: Der O-Ton des Architekten vermittelt anschaulich ein Stimmungsbild der intensiven Kulturdebatten um 1900, die gerade der publizistisch höchst aktive Loos mit großer Hingabe und messianischem Sendungsbewusstsein führte. Im Text „Wiener Architekturfragen“ etwa schrieb er 1910 in der von ihm als ökonomisch und zeitrichtig angesehenen Kleinschreibung über den Michaelerplatz:

 „Die kaiserburg! Ihre nähe allein ist schon ein prüfstein für echt und unecht. Und nun gab es die aufgabe, in der nähe der kaiserburg ein neues haus zu bauen, ein modernes geschäftshaus. Es galt, einen übergang zu schaffen von dem kaiserlichen wohnsitz über das palais eines feudalherrn in die vornehmste geschäftsstraße, den kohlmarkt. Der bauplatz, der seinerzeit festgelegt wurde, ist vergrößert worden. Sicher nicht zum vorteil des platzes.

Archäologiefeld (c) Stadtarchäologie Wien, Ch Ranseder

Archäologiefeld (c) Stadtarchäologie Wien, Ch Ranseder

Durch eine große kolonnade aus cipollinomonolithen wurde versucht, diesen fehler auszugleichen; die fassade springt dadurch im parterre und mezzanin um dreieinhalb meter zurück. Es sollte ein bürgerliches haus werden: die architektonische ausgestaltung hört mit dem hauptgesimse auf, und das kupferdach, das bald schwarz geworden sein wird, wird dann nur mehr den nachtschwärmern der johannisnacht zum bewußtsein kommen. Und die vier stockwerke sollen mit kalkverputz überzogen werden. Was zur dekoration nötig ist, soll ehrlich mit der hand aufgetragen werden, so wie es unsere alten barockmeister gehalten haben, in jenen glücklichen zeiten, als es noch kein baugesetz gab, weil jeder das gesetz in seinem herzen trug.

Im parterre aber und im mezzanin, dort wo die geschäfte ihren sitz aufgeschlagen haben, dort verlangt das moderne geschäftsleben eine moderne lösung. Mit recht. Für den modernen geschäftsbetrieb haben uns die alten meister keine vorbilder hinterlassen können. Auch nicht für elektrische beleuchtungskörper. Stünden sie aber aus ihren gräbern auf, sie würden die lösung schon finden. Nicht im sinne der sogenannten modernen. Auch nicht im sinne der alttuenden tapezierer, die die porzellankerzen mit glühbirnen auf alte kerzenhälter stecken. Sondern neu, modern und ganz anders, als es sich diese beiden feindlichen lager denken.

Es wurde versucht. Es wurde versucht, das haus in einklang mit der kaiserlichen burg, dem platz und der stadt zu bringen. Wenn dieser versuch gelingt, dann wird man es mit dank vergelten, daß ein starres gesetz mit feinem künstlerischen takt eine wahrhaft freisinnige auslegung fand.“

Unter dem Titel „Eine zuschrift“ erschien im gleichen Jahr ein Motivbericht von Loos zur Einbindung des Hauses am Michaelerplatz ins Stadtbild:

„Jedes wort, das zum preise unserer alten stadt, zur rettung unseres verlorengehenden stadtbildes zu lesen ist, findet sicher bei mir stärkeren widerhall als bei manchem anderen. Daß aber ich, gerade ich mich eines verbrechens an diesem alten stadtbild schuldig gemacht haben sollte, dieser vorwurf trifft mich härter, als mancher glauben würde. Hatte ich doch das haus so entworfen, daß es sich möglichst in den platz einfügen sollte. Der stil der kirche, welche das pendant zu diesem bau bildet, war für mich richtunggebend. Nicht, um licht und luft abzuwehren, wählte ich die fensterform, sondern um – was eine berechtigte forderung unserer zeit ist – beides zu vermehren. Die fenster sind nicht zweiflügelig, sondern dreiflügelig, und gehen vom fensterbrett bis zur decke. Echten marmor wählte ich, weil mir jede imitation zuwider ist, und den putzbau hielt ich so einfach wie möglich, weil die Wiener bürger auch einfach bauten. Nur der feudalherr hatte auf seinem palast starke architekturglieder, die aber nicht in zementguß, sondern in stein ausgeführt wurden und jetzt unter dem putz schlummern. (Am palais Kinsky und am palais Lobkowitz wurden diese steine wieder zu neuem leben erweckt.) Mir war es darum zu tun, geschäftshaus und wohnhaus streng zu trennen. Ich war bisher immer in dem wahn befangen, dies im sinne unserer alten wiener meister gelöst zu haben. Und in diesem wahne wurde ich noch durch den ausspruch eines mir feindlich gesinnten modernen künstlers bestärkt, der sagte: Das will ein moderner architekt sein und baut ein haus wie die alten wiener häuser!“

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