Mit Nina Bassoli durch die 24. Triennale di Milano

Die Stadt begann vielleicht ganz anders, als wir dachten. In Nebelivka, einer 6.000 Jahre alten Siedlung in der heutigen Zentralukraine, lebten bis zu 15.000 Menschen ohne Paläste, Militär oder Herrschaft. Heute sind Städte längst Bühnen globaler Disparitäten geworden, auf denen sich Ungleichheiten verstärken – und doch tragen sie ein anderes Potenzial in sich: Gesellschaft neu zu verhandeln.
Text: Selina Wach | Fotos: Delfino Sisto Legnani / DSL Studio
Die 24. Triennale di Milano widmet sich genau dieser Dialektik. In einer fragmentierten, imaginären Stadtlandschaft versammelt die Ausstellung „Cities“ 35 Projekte aus über 30 Ländern. Dabei geht es nicht um einen repräsentativen Querschnitt, sie formen vielmehr ein Geflecht von Widerständigkeiten. Mit Kuratorin Nina Bassoli spreche ich über Ungleichheit, Maßstab und die Frage, ob Architektur überhaupt handeln kann. „Sicher, Politik ist wichtig,“ sagt Bassoli. „Aber was können wir mit Architektur tun? Wir können etwas tun. Und wir tun es.“ Fast alle Projekte in der Ausstellung teilen diese Trotzhaltung. Es geht um eine Architektur, die sich weigert, systemkompatibel zu funktionieren – und gerade darin wirksam wird.
In einem der zentralen Räume widmet sich eine dichte Installation dem Brand des Grenfell-Towers in London als kollektive Trauerarbeit. Der Beitrag wurde nicht von den Kurator:innen gedeutet, sondern in enger Zusammenarbeit mit „Grenfell: Next of Kin“ entwickelt, einer Gruppe von Angehörigen der Opfer, die seit 2017 gegen das institutionelle Vergessen ankämpfen. Statt musealer Rahmung und ästhetischem Statement bietet das Werk Dokumente, Aussagen und Interventionen der Community. Eine Ausstellung, die nicht stellvertretend spricht, sondern Verantwortung weiterreicht. Wir sehen Prototypen für Selbstbauhäuser in Mexiko, Infrastruktur aus recyceltem Textil in Bangladesch, niedrigschwellige Sanitärräume für nomadische Haushalte in Ulaanbaatar. Die Größe der Geste ist nebensächlich, entscheidend ist ihre Anschlussfähigkeit.

Die Ausstellung „Cities“ zeigt 35 Projekte aus über 30 Ländern.
„Mit einem kleinen technischen Plug-in kann man Menschen helfen, in ihren Gemeinschaften zu bleiben“, sagt Bassoli. Um das Recht, zu bleiben, geht es in vielen der hier präsentierten Beispiele. In Lagos, in La Spezia, in Bandung dokumentieren Zines, Archive und Musikprojekte die Selbstorganisation marginalisierter Nachbarschaften. Auch der Wiener Gemeindebau taucht in der Ausstellung auf – als internationales Vorbild für leistbaren Wohnraum. Doch die Darstellung bleibt nicht unkritisch: Was passiert, wenn selbst das soziale Wohnmodell Ausschlüsse erzeugt? Wer kann bleiben – und wer wird übersehen? Statt Affirmation tritt Ambivalenz auf den Plan. „Wir können immer noch von Rom lernen“, sagt Bassoli. „Ein bisschen mehr Chaos, ein bisschen mehr Anarchie im System könnte gesund sein.“ Was sie meint, ist eine gestalterische Offenheit, ein System, das nicht alles regelt, sondern Spielräume zulässt...
Sie möchten weiterlesen? Dieser Beitrag ist Teil unserer Ausgabe 9/2025. Der Volltext ist ab Seite 96 zu finden.
