Sauerbruch Hutton ARGE Fabio Fossati Architectes, Hauptquartier Médecins Sans Frontières, Genf © Adrien Barakat

Katastrophensituationen fordern schnelles und effizientes Handeln. Von einem Moment auf den anderen steht die Welt Kopf und ganze Regionen befinden sich im Ausnahmezustand. Für Hilfsorganisationen wie Médecins Sans Frontières (MSF) ist der Ausnahmezustand Normalität und das Unvorhersehbare alltäglich. Wie sieht gebaute Architektur für eine solch komplexe Organisation aus? Mit Julia Knaak von Sauerbruch Hutton und Benjamin Lanneau von MSF waren wir im Gespräch über gebaute Flexibilität, nachhaltige Grundrisse und Alltagsnutzung des 2022 fertiggestellten MSF-Hauptquartiers in Genf.


Welche wesentlichen architektonischen Herausforderungen gab es bei der Umsetzung der Werte und Anforderungen von MSF in das Gebäude?

[Knaak]: Am Anfang stand die Frage: Was geschieht eigentlich während einer Krise? Also haben wir uns die Art, wie MSF arbeitet, näher angesehen und die komplexen Alltagsabläufe und Krisenprozesse in ein Gebäude übersetzt. MSF muss im Ernstfall schnell und flexibel agieren können. Denn vor dem eigentlichen Einsatz im Krisengebiet wird ein eigenes interdisziplinäres Team zusammengestellt, das sich nach Ende des Einsatzes wieder auflöst. Neben den ÄrztInnen, die in die jeweiligen Einsatzgebiete geschickt werden, ist die Einsatzplanung an sich ein Zusammenspiel vieler Professionen wie Logistik, Rechtswissenschaft sowie Personal- und Finanzkoordination.

Wie wurde die flexible Arbeitsweise von MSF räumlich ausformuliert?

[Knaak]: Räumlich spiegelt sich diese Flexibilität im Aufbau des Hauptsitzes wider. Die acht Etagen sind nach den unterschiedlichen Departments gegliedert und treffen im Kern zusammen, der das Herz und Krisenzentrum bildet, wo die RepräsentantInnen der verschiedenen Bereiche für die Einsatzplanung aufeinandertreffen. Dieser Bereich lässt sich abkapseln und bietet sogar Übernachtungsmöglichkeiten für das Krisenteam. Das restliche Gebäude ist transparent und flexibel gestaltet. Isoliertes Arbeiten ist dezidiert nicht gewünscht, daher ist die Struktur des Hauptquartiers auf maximalen Austausch ausgelegt. Das Treppensystem – von uns auch als „Palaver“-Treppen entworfen – verbindet nicht nur die verschiedenen Etagen, sondern auch die unterschiedlichen Departments. Die Treppenläufe mäandern durch das Gebäude und eröffnen damit neue Kommunikationsflächen und sind eine Art freundlicher Zwang zur Begegnung. Entlang des Treppensystems befinden sich dabei je nach Stockwerk thematisch abgestimmte Knotenpunkte, die als Teeküche einen Treffpunkt bilden und auch Arbeitsmöglichkeiten bieten.

Sauerbruch Hutton ARGE Fabio Fossati Architectes, Hauptquartier Médecins Sans Frontières, Genf © Adrien Barakat

Die Fassade setzt sich aus unterschiedlichen Elementen zusammen.
© Adrien Barakat

Wie sah der ursprüngliche Designauftrag von MSF aus?

[Lanneau]: Uns war vor allem wichtig, dass das neue Hauptquartier nicht zu schick und glänzend sein soll, denn das spiegelt nicht die Identität unserer Organisation wider. Wir sind eine Non-Profit-Organisation. 90 Prozent unserer Spenden verwenden wir für unsere Einsätze, wir priorisieren ausnahmslos unsere soziale Mission. Das sollte man auch an unserem Hauptquartier ablesen können. Weiters war uns wichtig, dass das Gebäude ein Gefühl von „Zuhause“ vermittelt. Viele unserer KollegInnen sind für lange Zeit im Außeneinsatz in Krisengebieten tätig, deshalb sollte es sich wie nach Hause kommen anfühlen, wenn sie ins Hauptquartier zurückkehren. Und letztlich benötigen wir für unsere Arbeitsabläufe ein sehr funktionales und räumlich vernetztes Gebäude, falls plötzlich alles sehr schnell gehen muss.

[Knaak]: MSF wollte auf keinen Fall ein typisches starres Bürogebäude, sondern flexible Räume, die sich ihren Bedürfnissen anpassen. Das alte Hauptquartier von MSF erlaubte beispielsweise räumlich nicht den Austausch aller Mitarbeitenden am Standort. Die 450 Personen, die im alten Hauptquartier gearbeitet haben, lernten sich daher zum Teil erst im neuen Hauptquartier persönlich kennen, wo großzügige Flächen für Begegnung vorhanden sind. Wir haben uns im Vorfeld allerdings auch die bisherige Raumnutzung von MSF am alten Standort angesehen und so beispielsweise die omnipräsenten Topfpflanzen in den Arbeitsbereichen der Mitarbeitenden am neuen Standort in die bepflanzte Fassade übersetzt. Die Art der Pflanzen variiert dabei je nach Einsatzort. Entlang der Gastroflächen wachsen vor allem Küchenkräuter und Gewürzpflanzen, während entlang der Büroflächen eher Stauden, Gräser und Kletterpflanzen eingesetzt wurden. Auch die Fassade an sich folgt dem Konzept der Flexibilität...

Sie möchten weiterlesen? Dieser Beitrag ist Teil unserer Ausgabe 10/2024. Der Volltext ist ab Seite 14 zu finden.

Sauerbruch Hutton ARGE Fabio Fossati Architectes, Hauptquartier Médecins Sans Frontières, Genf © Jan Bitter

Die Fassade dient als erweiterter Aufenthaltsraum.
© Jan Bitter


 

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