Über eine unstilisierte Architektur hinaus

Unplanned Domestic Prototype

Ende der 1950er-Jahre erlebte Spanien eine tiefgreifende wirtschaftliche Transformation, angetrieben durch den sogenannten Stabilisierungsplan von 1959. Dieser Prozess beschleunigte die industrielle und städtische Expansion und führte zu einer stark steigenden Nachfrage nach Wohnraum. Anstatt jedoch über Wohnkultur nachzudenken, wurden Wohnlösungen nach wirtschaftlichen Prinzipien entworfen, die den Wohnraum auf ein Minimum reduzierten – im Einklang mit den Logiken von Effizienz und Produktion.

Text: Ismael Medina Manzano


Vor diesem Hintergrund wurde 1966 zwischen Monte Igueldo und Andatza, am Stadtrand von San Sebastián, eines dieser Wohngebäude errichtet. Es enthielt eine 60 Quadratmeter große Wohnung mit drei Schlafzimmern, einem Badezimmer, einer fensterlosen Küche und einem Wohnzimmer, das eingeengt zwischen der Küche und einer nach Norden ausgerichteten Galerie lag. Ein halbes Jahrhundert später wurde unser Büro mit dem Wunsch kontaktiert, diese Wohnung zu modernisieren. Doch anstatt einer bloßen Renovierung wurde das Projekt zu einer Gelegenheit, die standardisierten, wirtschaftlich optimierten Wohnformen dieser Zeit infrage zu stellen und eine neue Alternative zur damaligen Wohnkultur vorzuschlagen. So entstand der Unplanned Domestic Prototype – eine kritische Antwort, die auf Entstandardisierung, Anpassungsfähigkeit und vielschichtige Koexistenz setzt.

Entstandardisierung im Inland: ungeplant Anstelle eines fixen Entwurfs funktioniert der Unplanned Domestic Prototype als infrastrukturelles Wohnsystem. Er ist Teil einer Reihe unabhängiger Experimente, die darauf abzielen, Standardisierungen neu zu denken – weg von starren Modellen oder der vermeintlichen Flexibilität des „leeren Raums“. Das Projekt versteht sich als kuratorische Übung in „ungeplanter“ Wohnkultur und agiert als dynamische Plattform, die sich mit verschiedenen Wissenssystemen, Kontexten, Kulturen und Technologien vernetzt, ohne Tätigkeiten vorab festzulegen. Architektonische Elemente schreiben keine festen Funktionen vor, sondern fördern eine flexible Aushandlung zwischen Raum, Möbeln und den sich wandelnden Bedürfnissen der BewohnerInnen. Aspekte wie Klima, Privatsphäre und Gemeinschaft werden durch rekonfigurierbare Elemente organisiert: Von der höhenverstellbaren Küchentheke über mobile Stauraumsysteme bis hin zu flexibel einsetzbaren Möbeln – jedes Element wird zu einem aktiven Bestandteil des Wohnalltags.

Erweiterte Wohnkultur: Anpassungsfähigkeit Eines der markantesten Elemente des Projekts ist die gewundene grüne Keramikwand – eine völlig neue Komponente im Raum. Ihr 175-Grad-Bogen unterbricht die Starrheit des ursprünglichen Entwurfs und verändert den Grundriss – von drei Schlafzimmern zu zweien. Die Bedeutung dieser Intervention liegt nicht in ihrer gewundenen Form, sondern in ihrer Anpassungsfähigkeit und infrastrukturellen Kapazität: Sie integriert Stauraum, Vorratskammern, Küchenschränke, Regale, Kleiderschränke, ein Badezimmer und Haushaltsgeräte in einer einzigen Konstruktion. Sie verwischt die Grenzen zwischen Möbeln und Architektur, erweitert die räumlichen Möglichkeiten und verwandelt die Wohnung in einen erweiterten Raum, in dem Nutzungen und Konfigurationen aus alltäglichen Interaktionen entstehen.


Sie möchten weiterlesen? Dieser Beitrag ist Teil unserer Ausgabe 3/2025. Der Volltext ist ab Seite 62 zu finden.

© hiperfocal

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