17. Internationale Architekturbiennale in Venedig

Utopien und Realitäten

Biennale 2021, Österreich-Pavillon

Seit 22. Mai 2021 läuft die 17. Internationale Architekturbiennale in Venedig. Sie versucht, den aktuellen Multi-Krisen-Modus zu verarbeiten. Nicht alle Nationen, die sich üblicherweise beteiligen, haben eigene Beiträge geschickt. Und nur wenige Zukunftsentwürfe vermitteln glaubhafte und realistische Antworten auf das Thema „How Will We Live Together?“


 

Redlich bemüht sich die Planer- und Architektenzunft darum, Imaginarien für eine lebenswerte Zukunft auf einem sanierten Planeten publikumswirksam und niederschwellig zu präsentieren. Sie ist für Umweltgestaltung schließlich zuständig. Die Rahmenbedingungen ihrer Arbeit definieren jedoch andere: Politik und Finanzwelt, Medien und Wirtschaft. Mit den mächtigen digitalen Plattformen, die nun auch schon „perfekt“ normierte Lebens- und Arbeitswelten virtuell (mit spürbaren Auswirkungen auf die gebaute Realität) inszenieren, kontrollieren und betreiben, erhalten Planer noch weitere Konkurrenz (damit befasst sich der österreichische Beitrag). Derzeit treten all diese Grundprobleme professioneller Umweltgestalter durch die Pandemie noch deutlicher hervor: Der Besuch der Biennale ist von Reisevorschriften eingeschränkt, eine Spontanbesichtigung ist unmöglich (Tickets nur im Online-Vorverkauf). Darunter leidet der Einfluss der Architekten und ihres traditionellen Megashow-Formats in Venedig, das ohnehin schon um ein Jahr verschoben werden musste.

Dänemark: Wasser prägt das Leben auf allen Ebenen und Species

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Die Online-Angebote helfen nur wenig, da sie vorwiegend von Fachleuten konsumiert werden – Architekturinhalte im Medien-Mainstream sind mehr als rar. So läge ein Wert der Biennale vielleicht doch in der Zuversichts-Produktion durch die vielen realen, gebauten und gelebten Projekten an vielen Orten der Welt, die das Leben der Menschen konkret verbessern. Sie könnten hier – wie schon des Öfteren gelungen – konzentriert präsentiert und ihr Proliferations-Potential für andere Weltgegenden diskutiert werden.

So einfach die Regeln des Visionären klingen, so schwierig sind sie umzusetzen.

Statt über die Gegenwart und Realität versuchen der diesjährige Biennale-Direktor Hashim Sarkis und auch viele nationale Beiträge nun aber, über die Zukunft und Architekturvisionen neue gesellschaftliche Relevanz zu erreichen. Damit wird für die Architekten jene Kompetenz für künftige Umweltgestaltungen reklamiert, die in den visionären Phasen der Moderne in den 1920er und 1960er Jahren ihre letzten Höhepunkte erlebte und die gebaute Umwelt langfristig vielleicht profunder geprägt hat als der heute dominierende Pragmatismus. Kann Architektur durch konkrete Raumproduktion im Hier und Heute mit kleinen Schritten, deren Gelingen ausstrahlt, mehr erreichen als durch „große Würfe“? Oder eben durch diesen Einfluss auf das allgemeine Mind Set durch suggestive Bilder einer glücklichen Zukunft? Soll letzteres gelingen, müssen die Bilder das Erfolgsrezept aller erfolgreichen Visionen einlösen: Sie müssen einerseits ein futuristisches, aber in sich logisches Szenario bieten und andererseits genügend Elemente enthalten, die den Zukunftsentwurf mit unserer bescheidenen Gegenwart verbinden – Objekte und Handlungen also, die wir so bereits kennen und nun in einer großartigen Zukunft wiederfinden, die damit nachvollziehbar und überzeugend gemacht wird. So einfach diese Regel des Visionären klingt, so schwierig ist sie umzusetzen.

Skandinavien: Zusammenleben verschiedener Nutzer im Holz-Ambiente

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So haben nur wenige Architekten-Visionen auf der Biennale 2021 dieses Potential. Die meisten sind entweder in technisch-ästhetische Details verstrickt oder wirken allzu utopisch. Utopie hat überhaupt Hochkonjunktur auf der Biennale 2021, die sich der umfassenden Lebensreform verschrieben hat. So zeigt etwa Deutschland die Utopie einer sanierten Umwelt und Gesellschaft unter dem Titel „2038 – The New Serenity“ (2038 – Die Neue Gelassenheit) – allerdings in einem komplett leergeräumten Pavillon, in dem nur strategisch platzierte QR-Codes auf den eigentlichen Inhalt verweisen: In Videos berichten diverse Sprecher rückblickend aus dem Jahr 2038, wie der erfolgreiche Weg in diese glückliche Welt gelang – das erinnert frappierend an den utopischen Roman „News from Nowhere“ von William Morris aus 1890, in dem eine ideale postindustrielle, gesunde und individualitätsfreundliche Welt geschildert wird.

Es gibt aber auch viele Beispiele, die sich nicht mit einer positiven Utopie befassen, sondern eher mit einer aktuellen Dystopie. Dazu gehört wohl auch der österreichische Pavillon, der den „Plattform-Urbanismus“ der digitalen Konsumwelt thematisiert.

Arno Brandlhuber im leeren deutschen Pavillon

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In kommenden Online- und Printbeiträgen berichten wir in loser Folge bis September 2021 von einzelnen Installationen der 17. Architekturbiennale in Venedig. 

USA: Der Balloon-Frame (Holzständerbauweise) prägte seit der Kolonialzeit das Bauen in Amerika

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