Vom leeren Einkaufszentrum zum stolzen Konzertsaal

47 Jahre alt ist das Gebäude der Braunschweiger Karstadt-Filiale neben dem historischen Gewandhaus – nebenbei bemerkt ein Gebäude des ersten deutschen Pritzker- Preisträgers Gottfried und seiner Frau Elisabeth Böhm. Fast einen ganzen Häuserblock nimmt das innerstädtische Einkaufszentrum zwischen Kohlmarkt und Altstadtmarkt in prominenter Lage ein. Doch mittlerweile stehen seine ungefähr 10.000 Quadratmeter Verkaufsfläche seit vier Jahren leer, ohne Aussicht auf einen neuen Mieter im Bereich Einzelhandel. Es ist eine Geschichte, wie sie viele europäische Innenstädte aktuell durchleben. Strukturwandel sowie Onlineshops verdrängen den stationären Handel und resultieren in Leerstand von Geschäftslokalen.
Text: Sophie Höller
Dass jedoch auch in dieser Krise – der Krise der Erdgeschosszonen und Innenstädte – eine Chance liegt, zeigen bereits gebaute Beispiele wie das Rheinische Landestheater in Neuss oder das Landesmuseum für Archäologie in Chemnitz, die beide in ehemals leerstehenden Kaufhäusern untergekommen sind. Die Zutaten für einen gelungenen Transformationsprozess sind eine motivierte Kommune, eine zukunftsweisende Idee und schließlich die gelungene Umsetzung des Raumprogramms im Bestandsbau. In Braunschweig kam vor kurzem all das zusammen, gemeinsam mit einem lokalen Unternehmer, der als Katalysator wirkte. Die niedersächsische Stadt ist seit etlichen Jahren auf der Suche nach einem geeigneten Objekt für die städtische Musikschule, die aktuell an verschiedenen Standorten untergebracht ist. Eine zeitgenössische Musikschule, idealerweise in Kombination mit einem modernen Konzertsaal, der unterschiedliche Kunstformen zulässt, soll das kulturelle Kapital der Stadt bereichern, die Jugend fördern und Tourist:innen anziehen. Während unterschiedliche innerstädtische Großstrukturen in Betracht gezogen wurden – das beschriebene Karstadtgebäude ist nicht der einzige Leerstand in der Stadt – wurde auch ein Neubau erwogen. Durch eine fruchtbare Kooperation zwischen dem Besitzer des Karstadtgebäudes, Großunternehmer Friedrich Georg Knapp (Konzern New Yorker), und der Stadt wurde schließlich der zentrale Standort im mittelalterlich geprägten Stadtkern fixiert. Zudem ist eine Stiftung in Planung, die das Projekt „Haus der Musik“ in gemeinsamer Beteiligung abwickeln möchte. Wie entwickelt man nun einen zeitgenössischen Kulturbau mitten in einer europäischen Altstadt? Hier sind vier Lösungsansätze, die von der Jury im Mai 2025 – bestehend aus Vertreter:innen der Stadt Braunschweig und der städtischen Musikschule wie auch deutschen Architekt:innen – ausgewählt wurden.
SYMPHONIE AUS ALT UND NEU [1.]
Architektur: ADEPT, Kopenhagen
Statik und Energiekonzept: Assmann Beraten und Planen
Brandschutz: Corall Ingenieure
Akustik: Avissplan
Auffällig sind die gebogenen schiefergedeckten Fassadenelemente – ein Zitat der mittelalterlichen Dachlandschaft. Braunschweiger Passant:innen wird die sonderbare Fassade auch an das bestehende Karstadtgebäude mit seinen markanten, dunklen Schleppgauben erinnern. Während die Fassade eine rein optische Reminiszenz ist, wird das Bestandsgebäude in seiner Struktur in großen Teilen erhalten. Die Primärstruktur der unteren drei Geschosse wird wiederverwendet. Es bietet sich an, die kleinteiligeren Nutzungen der Musikschule hier unterzubringen. Im aufgesetzten Neubau kommt der große Konzertsaal unter. Die akustische Trennung zwischen der Musikschule mit ihrem kleineren Konzertsaal und dem großen Konzertsaal bildet eine Foyerebene im zweiten Obergeschoss. Intelligent und vertikal orientiert, verwebt sich dieses Foyer über die Geschosse mit der Eingangszone zu diversen Aufenthalts- und Begegnungsflächen für Besucher:innen, Musiker:innen und Schüler:innen zum Dritten Ort. Hölzerne Wendeltreppen schrauben sich vom Stadtraum kommend in die höheren Foyers und laden ein, hier Zeit zu verbringen.

Renderings: ADEPT
IM RHYTHMUS DER STADT [2.]
Architektur: Gustav Düsing, Berlin
Statik: schlaich bergermann partner
Brandschutz: Dehne Kruse Brandschutzingenieure
Akustik: Müller BBM
Klimakonzept: Transsolar
In gewisser Weise findet Gustav Düsing ähnliche Antworten auf die Fragestellung der Auslobung. Auch in diesem Projektvorschlag wird Bezug auf die markanten Schleppgauben genommen – hier in zeitgenössischer Interpretation aus großzügigen Verglasungen mit Metallpaneelen als passivem Sonnenschutz. Und auch Düsing positioniert den Konzertsaal im oberen Bereich des Gebäudes. Er sitzt wie das Herz im Zentrum, um ihn herum ordnen sich Probe- und Lernräume an, die dadurch die maximale Fassadenfläche und Belichtung erhalten. Der Bestand wird in den Entwurf miteinbezogen, sogar noch mehr als bei ADEPT, da auch die Stiegenhauskerne zur vertikalen Erschließung erhalten werden können. Der Dritte Ort wird in Form einer abgetreppten Ebene entwickelt, über die sich der Stadtraum ins Innere entfaltet. Durch das hohe Ausmaß an Orientierbarkeit – der Raum, der sich über mehrere Ebenen streckt, kann gut überblickt werden – wirkt das Haus der Musik einladend und die Begegnung mit Kultur äußerst niederschwellig. Als liebevolle Hommage an das ehemalige Kaufhaus dienen Rolltreppen zur Überwindung der Ebenen.

Renderings: Gustav Düsing Architekt
KOMPOSITION MIT FUGE [Anerkennung]
Architektur: GRAFT Gesellschaft von Architekten mbH, Berlin
Fachplanung: ARUP
Als einziger der hier vorgestellten Entwürfe beziehen sich GRAFT nicht auf den Bestand von Elisabeth und Gottfried Böhm, sondern auf eine Zeit davor. Ein großer Teil der Braunschweiger Altstadt ist mittelalterlich geprägt – unter anderem dank großer Bemühungen von Denkmalpfleger:innen der Nachkriegszeit. Das Haus der Musik soll in seiner massiven Kubatur den Maßstab seiner Umgebung aufnehmen. Durch ein bewusstes Setzen von Fugen an der Stelle ehemaliger Durchgangshöfe wird das Gebäude gegliedert. Die entstandene Dreiteilung des Stadtkörpers ist auch in der Grundrissorganisation fortgesetzt. Während die beiden zuvor beschriebenen Beiträge die Nutzungen räumlich vertikal verweben, wird hier auf eine klare Ordnung der Funktionen in die gegliederten Baukörperteile gesetzt. Im mittleren Trakt findet der Konzertsaal seinen Platz, während die Musikschule über alle Geschosse verteilt den schmaleren Straßentrakt einnimmt. In der Fassadengestaltung wird viel Wert auf Offenheit und Einsehbarkeit gelegt. Aus dem in sich gekehrten Warenhaus wird ein Ort, der dem Stadtraum transparent begegnet. In dem Rahmen der Fassade wird das Innere – sei es Musikunterricht oder der informelle Austausch nach einem Konzert – zur Schau gestellt.

Renderings: GRAFT Gesellschaft von Architekten mbH
EIN ARRANGEMENT AUF VIELEN EBENEN [Anerkennung]
Architektur: Dorte Mandrup A/S
Fachplanung: Ove Arup & Partners Denmark A/S
Der Entwurf von Dorte Mandrup setzt auf die größtmögliche Wiederverwendung der Struktur. So wird nicht nur die bestehende Tragstruktur als Raster aufgenommen, sondern ausgeschnittene Deckenelemente werden als Scheiben wieder eingesetzt. In der Fassadengestaltung wird der Bestand nicht nur optisch zitiert, sondern die Unterkonstruktion weiterverwendet. Dafür wird die Biberschwanzdeckung entfernt und die Gauben werden in ihrer aktuellen Form verglast und mit Sonnenschutz ausgestattet. Dieser Umgang mit der Substanz führt zu einer spannenden Fortsetzung des stadtbildprägenden Karstadtgebäudes hin zu einem offenen, transparenten Haus mit Öffentlichkeitswirkung. Wesentliche Veränderungen stellen das Einschneiden des Konzertsaals in der Gebäudemitte sowie das Einfügen einer großzügigen Treppenanlage dar. Die Stufen und Podeste bilden eine vertikale Lobby aus, die ganz unterschiedliche Aufenthaltsszenarien zulässt und den Weg vom Straßenraum über die Konzertsäle hin zur Musikschule inszeniert.

Renderings: Dorte Mandrup
