p.good Architekten: Sanierung eines Adolf Loos-Hauses

Wohnen à l'Avantgarde in der Wiener Werkbundsiedlung

Adolf Loos: Haus 50 in der Wiener Werkbundsiedlung, 1929-32 (c) M. Boeckl

Wie lebt es sich in einem 90 Jahre alten, kleinen Reihenhaus in einer Stadtrandsiedlung? Kann es mit nur 89 m2 Wohnfläche auf zweieinhalb Ebenen sowie Mini-Garten und Balkon unseren aktuellen Wohn-Ansprüchen noch gerecht werden? Die seit 2011 laufende akribische Archäologie und Sanierung der 69 Häuser der Wiener Werkbundsiedlung, 1929-32 geplant von Josef Frank mit über 70 weiteren Architektinnen und Architekten, Innenarchitektinnen, Designern und Gartengestaltern, beweist die Tauglichkeit durchdachter moderner Wohnkonzepte von damals.


 

Werkbundsiedlung Wien, 1929-32 © Wien Museum, Martin Gerlach jun.

Werkbundsiedlung Wien, 1929-32 © Wien Museum, Martin Gerlach jun.

Wohnen ist – neben dem pragmatischen Aspekt der zu maximierenden Wohnbauleistung – stets auch ein gesellschaftspolitisches Thema. Heute verlaufen weltanschauliche Frontlinien beispielsweise zwischen nachhaltigem, urbanem und kollektivem Wohnen einerseits sowie ressourcenintensivem, suburbanem und individuellem Einfamilienhaus andererseits. Vor hundert Jahren, in den ideologiegeladenen 1920er Jahren, diskutierte man in Wien durchaus ähnliche Modelle: Der öffentliche soziale Geschosswohnbau, vulgo Gemeindebau, stand in der drängenden Behausungsfrage der antiurbanen, industriekritischen Gartenstadtidee gegenüber. Dahinter stand auch der Konflikt zwischen kollektivistischen und individualistischen Weltbildern, zwischen dichten und aufgelockerten Stadtkonzepten, zwischen Sozialismus und bürgerlichem Gesellschaftsmodell. Die Wiener Werkbundsiedlung ist eines der zentralen Dokumente dieser Debatte. Josef Frank hatte – nachdem er selbst schon 1926 ein Haus bei der ersten Werkbund-Modellsiedlung in Stuttgart plante – zu Demonstrationszwecken eine breite Vielfalt an PlanerInnen aus dem modernen Spektrum eingeladen: Sie stammten aus Österreich, das mit ArchitektInnen aller Generationen von der jungen Margarete Lihotzky bis zu den 60-jährigen Moderne-Pionieren Josef Hoffmann und Adolf Loos vertreten war, Deutschland (Hugo Häring), Frankreich (André Lurçat, Gabriel Guevrekian), Holland (Gerrit Rietveld) und den USA (Richard Neutra). Der Bauplatz der Wiener Werkbundsiedlung war in Favoriten vorgesehen und wurde dann nach Lainz verlegt, wo der ungünstige Untergrund eine ursprünglich nicht vorgesehene Unterkellerung der Häuser nötig machte.

Das Angebot, das die zum Verkauf stehenden Modellhäuser 1932 dem Wohnungsmarkt machten, stieß damals auf mäßige Resonanz: Nur ein Drittel der Häuser konnte tatsächlich verkauft werden, der Rest verblieb im Besitz des stadteigenen Bauherrn Gesiba und wurde vermietet – bis heute stehen diese Wohnungen im öffentlichen Besitz (derzeit in jenem der WSEG, der Wiener Substanzerhaltungs-Gmbh & Co KG). Das lag weniger an der durchaus attraktiven Typologie, die als Alternative zum innerstädtischen Geschosswohnbau konzipiert war: Die meisten Wohneinheiten sind Reihenhäuser, aber es gibt auch eine Handvoll freistehende Einfamilienhäuser. Verkaufshemmende Gründe waren hingegen die damalige Wirtschaftskrise im Gefolge des US-Börsenkrachs 1929, die Lage am Stadtrand und wohl auch die klare Modernität der meist kubischen Flachdach-Häuser, die in einem gewissen Kontrast zum verbreiteten romantisierenden Ideal suburbanen Wohnens stand.

Doppelhäuser von Loos/Kulka auf der Werkbundsiedlung Wien, 1929-32 © Wien Museum, Martin Gerlach jun.

Doppelhäuser von Loos/Kulka auf der Werkbundsiedlung Wien, 1929-32 © Wien Museum, Martin Gerlach jun.

So blieb die Siedlung jahrzehntelang mehr oder weniger ihrem Schicksal überlassen – die wenigen Eigentümer der Häuser passten den Bestand nicht immer im Sinne der Architekten ihren Bedürfnissen an. Und auch die Mietwohnungen der Stadt erfuhren nicht mehr Pflege als andere Gemeindebauten. Die architektonische Bedeutung der Modellsiedlung als Schaustück modernen, kleinbürgerlichen und suburbanen Wohnens geriet völlig in Vergessenheit, bis die „Wiederentdeckung“ der klassischen Moderne in den 1960er Jahren erneute Aufmerksamkeit auf sie lenkte. Josef Frank, der damals im schwedischen Exil lebte, erhielt auf Betreiben geschichtsinteressierter Architekten wie Johannes Spalt, Friedrich Kurrent und Friedrich Achleitner 1965 den Großen österreichischen Staatspreis für Architektur. Es dauerte jedoch noch bis in die 1980er Jahre, bis die erste Renovierung des stadteigenen Bestandes durch Adolf Krischanitz und Otto Kapfinger vorgenommen werden konnte.

Haus 50 von Loos/Kulka auf der Werkbundsiedlung Wien, 1929-32 © p.good/B.Klomfar

Haus 50 von Loos/Kulka auf der Werkbundsiedlung Wien, 1929-32 © p.good/B.Klomfar

Mit der derzeit laufenden Sanierung der Häuser im Besitz der Stadt ist das Wiener Büro p.good (Martin Praschl und Azita Goodarzi) beauftragt. Sobald eine Einheit zur Neuvermietung ansteht, wird ihre Neubelebung unter der engagierten denkmalpflegerischen Begleitung des Bundesdenkmalamtes (Oliver Schreiber) in Angriff genommen. 45 Häuser wurden bereits revitalisiert, drei werden noch folgen. Nun konnte eine Einheit der beiden Doppelwohnhäuser von Adolf Loos und Heinrich Kulka saniert werden, in denen Loos‘ berühmtes „Raumplan“-Konzept auf kleinstem Raum verwirklicht wurde. Dabei war vieles zu berücksichtigen und zu entscheiden: Das begann mit der behutsamen thermischen Sanierung OHNE Styropor-Verpackung: Durch 8 cm-Wärmedämmung am Dach, Abdichtung des Kellers durch Schwarzisolierung außen und Kunststoffbeschichtung innen sowie durch Einbau einer Gasbrennwerttherme und einer Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung konnten die Heizkosten halbiert werden. Als Leitlinie rangierte jedoch der Substanzerhalt über der Energiebilanz. So ging es an die zahllosen Details von den Beschlägen bis zu den Linoleumböden, die entweder repariert, nachgebaut oder durch möglichst neutrale aktuelle Produkte (etwa im Bad) ersetzt wurden.

Wohnhalle im Haus 50 von Loos/Kulka auf der Werkbundsiedlung Wien, 1929-32, saniert von p.good 2018-19 © B.Klomfar

Wohnhalle im Haus 50 von Loos/Kulka auf der Werkbundsiedlung Wien, 1929-32, saniert von p.good 2018-19 © B.Klomfar

Haus 50 von Loos/Kulka auf der Werkbundsiedlung Wien, Galerie in der Wohnhalle, 1929-32 © p.good/B.Klomfar

Haus 50 von Loos/Kulka auf der Werkbundsiedlung Wien, Galerie in der Wohnhalle, 1929-32 © p.good/B.Klomfar

Die kenntnisreiche und liebevolle Restaurierung ist in allen Bereichen unübersehbar – das reicht von den Anstrichen von Fenstern und Türen in Leinölfarbe mit spürbarer Haptik des Pinselstrichs bis zu den rekonstruierten Wandfarben, die durch penible Befundung der Originalschichten definiert werden konnten. „Es sollte nicht glatt und übersaniert aussehen“, erklärt Architekt Praschl, „es geht um Substanzerhaltung und Rekonstruktion, aber auch um Bewohnbarkeit. Dafür haben wir auch sehr viel mit den Mietern über ihre Bedürfnisse geredet.“ Eine interessante Frage wird es in diesem Zusammenhang sein, wie der Loos’sche „Raumplan“ heute sinnvoll genutzt werden kann: Dieses Konzept sah aus raumökonomischen Gründen vor, dass nicht alle Räume gleich hoch sind, sondern je nach Funktion und Fläche mehr oder weniger Höhe bieten: Die englisch inspirierte Wohnhalle mit Galerie war am höchsten, die typischen Sitznischen boten als niedrigere Einheiten viel Geborgenheit. Diese verschieden hohen Räume verband Loos mit zahlreichen Treppen, was seinen Innenraum-Landschaften zu einer bewegten Topografie verhalf.

Haus Loos/Kulka auf der Werkbundsiedlung Wien, liebevoll wiederhergestellte Beschläge © p.good/B.Klomfar

Haus Loos/Kulka auf der Werkbundsiedlung Wien, liebevoll wiederhergestellte Beschläge © p.good/B.Klomfar

In den beiden Doppelhäusern der Wiener Werkbundsiedlung wurde die „Raumplan“-Idee in Minimalausführung realisiert. Loos hielt es für unverzichtbar für Einfamilienhäuser, dass es eine zentrale hohe Wohnhalle gibt. Sie war in der Regel von einer Galerie umgeben, die wiederum die Wohnräume des Obergeschosses erschloss. Beispielhaft wurde dieses Konzept etwa im Landhaus Khuner am Semmering realisiert, das Loos ungefähr gleichzeitig mit den Häusern der Werkbundsiedlung plante. Im Kontext des sozialen Wohnbaus musste die Idee angepasst werden: Sie wurde auf einen eineinhalb Geschosse hohen Wohnraum reduziert, dessen Galerie mit verbreitertem Sitzplatz an der Fensterseite ihn oben nur auf zwei Seiten umfasst und von dort aus auch einen kleinen Nebenraum dieses Zwischengeschosses  sowie ein kleines rückseitiges Treppenhaus erschließt. Von hier aus geht es schließlich ins Obergeschoss mit Bad und drei Schlafzimmern.

Wohnhalle in einem Haus von Loos/Kulka auf der Werkbundsiedlung Wien, 1929-32 © WienMuseum/Martin Gerlach jun.

Wohnhalle in einem Haus von Loos/Kulka auf der Werkbundsiedlung Wien, 1929-32 © WienMuseum/Martin Gerlach jun.

Der planerische und bauliche Aufwand dieser Demonstration räumlicher Vielfalt auf minimaler Baufläche beeindruckt noch heute. Er war auch damals nur modellhaft und nicht in Serie realisierbar. Unsere Wohnbedürfnisse haben sich zudem radikal gewandelt – wir wollen viel größere Räume auf möglichst nur einer Ebene. So ist das Looshaus wohl auch ein Liebhaberhaus, das idealerweise an ein architekturbegeistertes Paar vermietet werden wird.

Lichtschalter im Haus 50 von Loos/Kulka auf der Werkbundsiedlung Wien, 1929-32 © p.good/B.Klomfar

Lichtschalter im Haus 50 von Loos/Kulka auf der Werkbundsiedlung Wien, 1929-32 © p.good/B.Klomfar

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