Zaha Hadid, 1950-2016 Jenseits aller Grenzen des Raumes

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Am 31. März 2016 erlag Dame Zaha Hadid in Miami einem Herzinfarkt. Mit ihr geht in vielfacher Hinsicht eine Ära zu Ende: Hadid definierte die avanciertesten Möglichkeiten für die erste Generation digitalen Entwerfens, ihr Büropartner Patrik Schumacher baute die passende Theorie dazu. Zaha prägte wesentlich den Übergang von der postmodernen zur dekonstruktivistischen Architektur und von dort zur Sprache einer „Total Fluidity“ oder „Fluid Totality“, wie sie zwei Bücher über ihr Studio an der Wiener Universität für angewandte Kunst betitelte. Sie lebte so intensiv wie kaum sonst jemand die Überzeugung von der aufklärerischen und emanzipatorischen Kraft der Form, also auch einer sozialen Funktion des Ästhetischen in Bild, Bau und Gebrauchsgegenständen.

Auch biografisch steht sie für eine Zeit, in der mehr möglich war als heute: Aufgewachsen in einer der führenden westlich-liberalen irakischen Familien, mit Schulzeit in einer katholischen Klosterschule in Bagdad sowie Schweizer und englischen Internaten, studierte sie 1972-77 an der Architectural Association (AA) in London. Dort liegen auch die Wurzeln ihrer enormen Bedeutung für den globalen Architekturdiskurs: Mit Lehrern und Kollegen wie Rem Koolhaas, Elia Zenghelis, Bernard Tschumi und anderen entwickelte Zaha in diesem kreativen Treibhaus eine Bewegung mit, in der die postmoderne Collage ersetzt wurde von einer neuen Orientierung an der Pioniergeneration der Moderne zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Koolhaas bewunderte die Klarheit und die Standardisierungskraft von Mies van der Rohe, Zaha die Dynamik und den Purismus des russischen Suprematismus um Kasimir Malewitsch. Obwohl Zaha kurz Partnerin in Koolhaas‘ Office for Metropolitan Architecture (OMA) war, trennten sich bald die Wege: Koolhaas‘ Studien über die Metropole als kulturelles Phänomen mündeten in die Entwicklung seiner „Generic City“ sowie generischer Raum- und Bautypen.

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Zaha beharrte jedoch auf der Relevanz der Form. Sie erlag nicht dem Charme des Realen, sondern strebte nach der idealen Form. Geradezu obsessiv lebt sie das in ihren frühen Architekturbildern aus: Die handgemalten, diagonal durch undefinierte Räume fliegenden Scheiben, Keile und dünnen Quader in Rot und Gelb vor kosmisch anmutendem tiefblauen oder schwarzen Hintergrund zählen zu den Ikonen der Kunst der 1980er Jahre – in der Malerei ebenso wie in der Architektur. Spätestens diese Bilder aus 1988/89, die teilweise auch für Wettbewerbe entstanden und reale Bauentwürfe (mit) enthielten, machten klar, worum es Zaha immer ging: Die Realität mit einer idealen Formensprache letztlich zu etwas Besserem zu transzendieren. Man kann das Idealismus nennen. Die mißverständliche Definition eines „Dekonstruktivismus“, die das MoMA 1988 in Umlauf brachte, stiftete da eher Verwirrung als Klarheit: Denn sie behauptete eine gemeinsame Philosophie der Störung und Irritation, die Bauten und Entwürfen von Frank Gehry, Rem Koolhaas, Bernard Tschumi, Peter Eisenman, Coop Himmelblau und Zaha Hadid zugrunde liege. Bei Coop und anderen ist das zumindest ergänzungsbedürftig, da ihre Dynamik wohl weniger auf gefundenen Störungen des Bau-Kontextes beruhte als auf autonom-expressiven Interessen. Bei Zaha ist die Definition irreführend, da gerade sie weniger an einer autistischen Reflexion von Kontext als an dessen selbstbewusster Übersteigerung zu einer autonomen Formensprache interessiert war

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Trotzdem wurde in der Ausstellung 1988 Zahas epochaler Entwurf für „The Peak“ (1981-82) gezeigt, einem exklusiven Club über den Felsen von Hong Kong. Die Wirkung der komplexen unter- und oberirdischen Konstruktion aus schlanken, kantigen Stäben, die scheinbar ungeordnet über- und ineinander geschichtet sind, war enorm: Sofort wurde dieser „Stil“ (zu einem solchen mutierte er durch die nun erstmals mögliche unmittelbare globale mediale Proliferation) weltweit rezipiert, etwa auch beim gemeinsamen Expo-Entwurf von Hans Hollein und Coop Himmelblau 1995 in Wien.

1990-93 baute Zaha ihre erste Realisierung – die Feuerwehrstation für den Vitra-Campus in Weil am Rhein. Der Rest ist Geschichte: Ein spektakuläres und prominentes Projekt folgte aufs nächste, die Werkliste des 1980 gegründeten Büros mit weltbekannten, großen Bildungs- und Kulturbauten in Amerika, Europa und Asien ist ebenso beeindruckend wie unwiederholbar. Von den Suprematismus-inspirierten kantigen Stäben der ersten Werkphase entwickelte sich die Formensprache von Zaha Hadid Architects (ZHA)  über die Jahre hinweg zu einer immer organischeren Ausdrucksweise, bis zur „Total Fluidity“ der letzten Zeit.

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Wolf Prix und Hans Hollein bewirkten 2000 an der damaligen Hochschule für angewandte Kunst in Wien die Berufung von Zaha Hadid als Nachfolgerin von Wilhelm Holzbauer. Mit dieser Verbindung zu Österreich eröffneten sich riesige Chancen für den hiesigen Architekturbetrieb: Zaha machte aus ihrem Studio an der Angewandten gemeinsam mit Büropartner Patrik Schumacher einen echten Hotspot der globalen Debatte, der sich im Zusammenspiel mit dem Studio von Wolf Prix am gleichen Haus zu legendären Höhepunkten steigerte. Viele Studierende lernten bei Reviews, die oft in London stattfanden, das Büro Hadids kennen, einigen verhalf sie zu großen Karrieren. Johann Traupmann, der das Wiener Studio intensiv mitgestaltete, resümiert: „ZAHA war ein Komet für die Angewandte. Sie hat uns mitgenommen auf eine Reise jenseits aller Grenzen des Raumes.“

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Die Bauten Zahas Österreich in Österreich sind weithin bekannt: Die legendäre Skisprungschanze am Bergisel in Innsbruck, die Hungerburgbahn ebendort, ein kleiner Wohnbau an der Wiener Rossauer Lände und das große Learning Center am neuen Campus der Wirtschaftsuniversität Wien. Die Ehrungen und Auszeichnungen der ersten und sicher für lange Zeit letzten Welt-Diva der Architektur sind Legion, die bekanntesten sind der Adelstitel von der englischen Königin und der oft als „Nobelpreis der Architektur“ bezeichnete Pritzker Prize.

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