Déchelette Architecture | Quatre Cheminées

Im dichten, heterogenen Vorstadtgefüge der ehemaligen Arbeitergemeinde Boulogne-Billancourt südwestlich von Paris, in der im 20. Jahrhundert der Automobilhersteller Renault angesiedelt war, hebt sich ein neuer, schlanker Baukörper durch seine Materialität und Farbigkeit ab. Seine erdige, raue Fassade mit all ihren Steinchen und Körnern steht in deutlichem Kontrast zu den hellen Putzfassaden und den gelb-roten Backsteinfassaden der Umgebung. Diese ungewohnte Materialität in der Vorstadt zieht neugierige Blicke auf sich: ein Schritt in die ökologischere Zukunft einer neuen Baukultur – oder ein vereinzeltes Unikat?
Text Susanne Stacher | Fotos: Salem Mostefaoui
Innovation im sozialen Wohnbau Sozialer Wohnbau geht in Frankreich häufig mit Innovation einher, während so manche private Bauträger:innen mehr an Profit denken, wobei der äußere Glanz zumeist die Wohnqualität überschattet. So wollte der in der Pariser Umgebung tätige soziale Wohnbauträger Seine Ouest Habitat et Patrimoine (SOHP) einen ökologischen Wohnbau in Boulogne- Billancourt zu errichten, wofür er das Grundstück von der Gemeinde für einen symbolischen Euro erhielt. Den Wettbewerb gewann das junge, mehrfach ausgezeichnete Büro Déchelette Architecture mit seinem Vorschlag eines Holzbaus mit Lehmfassade in Fertigbauweise zur Straße hin. Ihr gelungenes Referenzobjekt – ein schmales Einfamilienhaus im Pariser Stadtgefüge, das nach einem ähnlichen Prinzip vor Kurzem fertiggestellt wurde, allerdings ohne Vorfertigung – überzeugte die Bauherrschaft, sich auf dieses gewagte – weil in Frankreich noch wenig erkundete – Terrain zu begeben. Mit Begeisterung setzte sie sich für den Bau dieses innovativen Pilotprojekts ein. Im Bereich des sozialen Wohnbaus im Großraum Paris ist das ein Novum.
PionierInnen des ökologischen Bauens Die Architektin und Tischlerin Emmanuelle Déchelette begeistert sich besonders für Handwerk und Lehmbau. Sie arbeitete an der Erweiterung des buddhistischen Klosters Matho Gompa in Ladakh mit. Emmanuelle, die 2023 den französischen Preis „Junge Architektinnen“ erhielt, und Philibert Déchelette sind ein erfolgreiches Geschwisterpaar, das 2024 mit dem Staatspreis für Jungarchitekt:innen „AJAP“ und 2022 mit dem Award „Europe 40 under 40“ ausgezeichnet wurde. Seinen Erfolg verdankt das junge Büro der klaren Linie seines ökologischen Bauens und der Schaffung hochwertiger Wohnräume, wobei sie „sparsame, großzügige und erfinderische Schlichtheit“ in den Fokus ihres Schaffens und ihrer Recherche stellen. „Das Bauen muss sich durch die Verwendung von kohlenstoffarmen Materialien und die Intelligenz der Frugalität weiterentwickeln, ohne dabei Kompromisse bei der ästhetischen und poetischen Qualität der Architektur einzugehen“, so die Geschwister Déchelette, die zu der neuen Generation von Architekturschaffenden gehören, die Architektur über das Material angehen. Sie stellen es in den Mittelpunkt des konstruktiven und kreativen Prozesses und hinterfragen das Bauen angesichts der Knappheit der Ressourcen, wobei ihnen die politische, wirtschaftliche und soziale Dimension von Architektur sehr wichtig ist. Um ihre ambitionierten Ziele umzusetzen, wollen sie ein „fruchtbares Ökosystem zwischen den Akteur:innen des Bausektors schaffen“, schließlich „hängt die architektonische Qualität innovativer Projekte von einer gemeinsamen Planung mit den PartnerInnen ab, von Bauherr:innen bis zu den Firmen; aber auch von der notwendigen Änderung der Bauvorschriften und der Durchsetzung allgemeiner, nicht firmenspezifischer Zertifizierungen, um auf möglichst breiter Ebene die Anwendung von unverarbeiteten natürlichen Materialien zu fördern.“

Was wollen wir als ArchitektInnen schaffen? Welche Art von Archetypen produzieren wir? Was können uns biobasierte Materialien erzählen, jenseits der Tatsache, dass sie Beton ersetzen und den CO2-Fußabdruck verringern?
Nachhaltige Fassadengestaltung mit Lehm und Holz Die Ausführung der Fassade erfolgte durch das junge Lyoner Unternehmen Terrio, das sich auf die Herstellung von vorgefertigten zementfreien Lehmblöcken spezialisiert hat. Der Lehm stammt aus der Umgebung von Lyon. Die nicht allzu großen Blöcke wurden in der Halle vorgefertigt, angeliefert und innerhalb weniger Tage auf einem Massivsteinsockelgeschoss aufgebaut. Die Fugen der selbsttragenden, viergeschossigen Stampflehmfassade wurden mit Lehm verschlossen, wobei sorgfältig auf die optische Kontinuität der Fassade geachtet wurde. Die Blöcke sind an den südwestlichen Fensterlaibungen abgeschrägt, um den Lichteinfall zu optimieren...
Sie möchten weiterlesen? Dieser Beitrag ist Teil unserer Ausgabe 3/2025. Der Volltext ist ab Seite 81 zu finden.

© Salem Mostefaoui