(c) Alessandra Chemollo

Das Museum von Mestre an der Lagune von Venedig markiert eine Trendwende: Die historische Kernstadt drohte zu veröden und erhält mit dem multifunktionalen Komplex neue gemeinschaftsbildende Funktionen und stimulierende innerstädtische Verbindungswege.


 

Das Nadelöhr Venedigs

Das Schicksal der kleinen Stadt Mestre an der Innenseite der Lagune von Venedig ist seit jeher unauflöslich mit jenem der Serenissima verknüpft: Als Brückenkopf nahezu des gesamten Lieferverkehrs von und nach Venedig ist Mestre das umsatzträchtige Nadelöhr an der Lebensader der Märchenstadt. Alle Entwicklungen in der Inselstadt und auf der Terra Ferma, dem historischen Festlandteil der mächtigen Republik Venedig (697-1797), waren über Mestre wie in kommunizierenden Gefäßen stets direkt miteinander verbunden: Bis ins 19. Jahrhundert wurden die meisten Güter und Personen, die nach Venedig gingen, in Mestre eingeschifft und über die Lagune direkt an ihren Bestimmungsort gebracht. Entsprechend lebhaft ging es in Mestre zu, das rund um mehrere Hafenbecken und Schifffahrtskanäle wuchs. 1846 wurde die Eisenbahnbrücke Ponte Vecchio quer über die Lagune gebaut – ein erster Knick in der Torhüter-Laufbahn von Mestre. Der neue Eisenbahnknoten weit außerhalb der Altstadt brachte aber durchaus auch Chancen.

1917 nutzte man einen großen Teil des Stadtgebiets, um den großen Industriehafen Marghera zu errichten, der heute unter anderem eine Werft für Kreuzfahrtschiffe und massive Chemieindustrie besitzt. 1931-33 wurde schließlich von Eugenio Miozzi die Straßenbrücke nach Venedig gebaut (von Mussolini „Liktorenbrücke“ getauft, später umbenannt in Freiheitsbrücke). Dem Tourismus kam es zugute: Venedigs nahezu 30 Millionen jährlichen Besucher mit über drei Millionen Übernachtungen ignorieren Mestre seither vollständig.

Neue Perspektiven

Was Mestre blieb, war eine verschlafene, aber hübsche Altstadt mit zunehmend verfallenden Renaissance- und Barockbauten um die zentrale Piazza Ferretto sowie stetig wachsenden Siedlungen der Schlafstadt rundum. Die Kernstadt begann zu veröden – der alte Convento delle Grazie aus dem 16. Jahrhundert nahe dem exemplarisch schönen Hauptplatz war sogar schon zu Napoleons Zeiten dem Militär überlassen worden. Inzwischen hat sich die Situation allerdings komplett umgekehrt: Nun verliert für die Einheimischen eher die Lagunenstadt als Mestre an Attraktivität. Die laufende Entsiedelung Venedigs (von 1945 bis 2016 sank die Einwohnerzahl dramatisch von 175.000 auf 55.000) schafft heute ironischerweise neue Chancen für die bislang eher ungeliebte kleine Schwester. So hat sich die Fondazione Venezia, eine von der Cassa di Risparmio initiierte Stiftung, „die zur Verbesserung der Lebensqualität und zum sozialen und kulturellen Fortschritt der venezianischen Gemeinschaft beitragen will“, unter anderem die Revitalisierung von Mestres Zentrum vorgenommen und investiert hier kräftig. 

Flaggschiff ist das neue Museum M9, das auch städtebaulich und funktional ein Schlüsselelement der Staderneuerung ist. Entsprechend intelligent sind Lage und Programm der neuen Institution gewählt: Direkt gegenüber dem schmalen Südeingang zur zentralen, ausgedehnten Piazza Ferretto bei der Kirche San Lorenzo gelegen, bildet der als Standort gewählte alte Klosterbau die Grenze zum dahinter liegenden, relativ dicht bebauten modernen Stadtbezirk. So bot sich die große Chance einer Verknüpfung des modernen mit dem ältesten Stadtteil durch einen neuen öffentlichen Weg, der nun diagonal durch das bislang gesperrte ehemalige Militärquartier gefädelt wurde. Entlang dieser attraktiven neuen Achse, die mit verschiedensten schönen Raumerlebnissen durch den rechteckigen Innenhof des alten Klosters und über eine neue kleine Museumsplaza weiter in Richtung Via Capuccina führt, positionierten die Architekten südlich des Bestandes die beiden Neubauten für das Ausstellungshaus und die Verwaltung des Museums. Die beiden kleinen, stark verfallenen „Cavallerizze“ wurden abgetragen und unter denkmalpflegerischen Gesichtspunkten mit gleicher Volumetrie und in modernem Material neu errichtet. Der große Altbestand des Konvents wurde saniert und radikal umgenutzt.

Das höchst elegante, transluzide Baldachin-Dach, das den sanierten Altbautrakt des ehemaligen Klosters überdeckt

Tragwerksplanung

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