MAD | Fenix, Rotterdam Niederlande

Für das Museum für Migration Fenix in Rotterdam setzten die Architekt:innen von MAD aus China einen verspiegelten Tornado in ein altes Lagerhaus: ein ordentlich herausgeputzter Bau mit simpler Metaphorik, die angesichts des komplexen Themas etwas zu fugenlos und harmlos bleibt.
Text: Maik Novotny | Fotos: Hufton + Crow
Über den Weg, den Architektur von der ersten Idee zum Ergebnis nimmt, werden viele Geschichten erzählt. Viele davon sind Legenden, trotzdem hören wir sie lieber als die Realität. Die spontane Skizze auf einer Restaurant-Serviette, die den Geistesblitz eines (in der Regel männlichen) Architekten festhält und quasi unverändert in gebaute Form gebracht wird. Dass ein Planungsprozess viele Personen involviert und von Budget-Desastern, Pandemien, Regierungswechseln oder im Suez-Kanal feststeckenden Frachtschiffen aus der Bahn geworfen werden kann, ist die weit häufigere Realität. Nur leider weniger verführerisch.
Auch der Gründungsmythos des Fenix, des im Mai eröffneten Museums für Migration in Rotterdam, wird als kurze, gerade Linie erzählt – und in diesem Ausnahmefall deckt sich das tatsächlich mit der Wahrheit. Wim Pijbes, der als Direktor der philanthropischen Stiftung Droom en Daad hier als Bauherr agierte, wiederholte das Narrativ während der Eröffnung gerne und mehrmals. Am 2. Februar 2017, einem Donnerstag, um 12 Uhr mittags, sei er an der Landspitze des Kop van Zuid am Südufer der Maas gestanden, vor sich das leerstehende Lagerhaus auf der anderen Seite des Rijnhaven, und habe sofort gewusst: Hier und nirgendwo sonst müsse ein Museum für Migration zuhause sein. „Mir war klar: dieses Gebäude muss ich haben.“ Nun, er hatte nicht ganz unrecht. Vom „Pier der Tränen“ am Kop van Zuid brachten zahllose Schiffe im 19. und 20. Jahrhundert Migrant:innen nach Westen, manche auf der Flucht vor Krieg und Holocaust, manche auf der Suche nach dem besseren Leben. Ein Ort von Hoffnung, Abschied, Neubeginn, von Brüchen in Biografien. Dass Droom en Daad der milliardenschweren Familie van der Vorm gehört, den Erben der Schifffahrtsgesellschaft Holland Amerika Lijn, passt nahtlos in dieses Storytelling. Fugenlos und ganz ohne Brüche verliefen auch die nächsten Kapitel der Entstehungsgeschichte. Einen Architekturwettbewerb sparte man sich, auf die in Rotterdam mit Büros wie OMA und MVRDV reichlich vorhandene Museumsentwurfs-Expertise griff man nicht zurück. Stattdessen entschied sich die Stiftung für den chinesischen Architekten Ma Yansong und MAD architects – international für Kulturbauten bekannt, jedoch bislang ohne realisierten Bau in Europa. Begründung laut Wim Pijbes: Das hinter dem Lagerhaus liegende Hafenarbeiterviertel Katendrecht war vor dem Zweiten Weltkrieg die größte Chinatown Europas, und Ma Yansong habe ihn bei einem Vortrag beeindruckt.

Die skulpturale Treppe aus hochglanzpoliertem Edelstahl setzt ein präzise gefertigtes, reflektierendes Kontraststück zum rauen Betonbestand. © Hufton +Crow
Gezähmter Tornado Es folgte eine gemeinsame Besichtigung der Bausubstanz. Das 300 Meter lange, 1923 von Cornelis Nicolaas van Goor errichtete Lagerhaus war nach Kriegsschäden 1950 repariert worden und stand seitdem mehrmals kurz vor dem Abbruch. Der Rijnhaven gehört heute zu den lukrativsten Stadtentwicklungsgebieten Rotterdams, die meisten Lagerhäuser sind bereits Wolkenkratzern gewichen. Dieses eine sollte bleiben, zumal sich die hohen, hellen Räume ideal für eine Museumsnutzung eigneten. Sensibilität im Umgang mit historischer Substanz hatten MAD unter anderem in den Hutongs von Peking gesammelt, wenn auch in weit kleinerem Maßstab. 2018 wurde MAD der Auftrag erteilt. Der Drang nach einem ikonischen Signature Building, wie ihn die 2021 eröffnete verspiegelte „Salatschüssel“ des Depot Boijmans Van Beuningen von MVRDV erfüllt, wurde hier zwar berücksichtigt, aber in gezähmter Form. Der Großteil des Lagerhauses mit seinem luftigen Stahlbeton-Raster wurde beibehalten und in Kooperation mit dem lokalen Bureau Polderman saniert. Nur in der Mitte öffneten MAD das Dach und setzten einen Wirbel aus verspiegelten Stiegen und Rampen hinein, deren Wege sich treffen und verzweigen, um in 30 Metern Höhe über der Dachkante in einer Aussichtsplattform zu enden. Eine vertikale Bewegung, die bewusst als Kontrast zur der markanten Horizontalität des Bestandes gesetzt wurde. Die Metaphorik dieses sogenannten „Tornado“ ist der Schlüssel des Storytellings: „Bei Migration geht es immer um Bewegung“, so Yansong. Das trifft durchaus zu, und die spielerische Wegeführung der Stiegen-Spiralen dürfte tatsächlich zu einigen zwanglosen Begegnungen führen. Auf den ersten Blick könnte man von außen eher an die Wasserrutsche eines Fun-Schwimmbads denken.
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© Hufton +Crow