Mostlikely Architecture Common Space Team Quirin Krumbholz | Pier 22, Wien

Am Pier 22 an der Neuen Donau in Wien ist vieles im Fluss – nicht nur wegen der Lage am Wasser. Bauherr:innenschaft und Generalplaner:in nähern sich, vom Standpunkt längst verinnerlichter Verfahrensregeln auf der einen und der Vision ganzheitlich gedachter Prozesse auf der anderen Seite kommend, über mehrere Bauphasen dem gemeinsamen Ziel eines hochwertigen, zukunftsfähigen Erholungsraums für die immer dichter werdende Großstadt Wien.
Tex: Romana Ring | Fotos: Mostlikely Architecture
Zuerst die Nutzung, dann der Plan Das Ergebnis des seitens der Wiener Gewässer Management GmbH (WGM) im Jahr 2021 ausgeschriebenen zweistufigen Wettbewerbes sollte ein Masterplan für das stromaufwärts unmittelbar an die Reichsbrücke anschließende Ufer der Neuen Donau sein. Doch Mostlikely Architecture, die sich im Rahmen ihres internen Projekts „Common Space“ mit drängenden Themen wie Klimakrise, versiegenden Ressourcen, wachsender Ungleichheit und schwindendem Vertrauen in demokratische Institutionen beschäftigen, stellten zunächst grundlegende Fragen: „Was kann Architektur?“ Und: „Wo liegt Potenzial für Veränderung?“ Ein interdisziplinäres Wettbewerbsteam, dem neben Mostlikely Architecture auch Transformationspsychologinnen, Sozialforscher und mögliche Nutzer:innen angehörten, erarbeitete für die erste Wettbewerbsstufe ein Nutzungskonzept, das in die zweite Stufe aufsteigen und Basis des Siegerprojekts werden sollte. „Body / Mind / Soul“ lautet die Überschrift der in drei Abschnitte gegliederten Uferlandschaft, die Mostlikely Architecture nun als Generalplaner:in entwickeln.
Transformation des Raumes und der Gesellschaft Ihrem Zugang, die Stadt als gemeinschaftlich gebrauchtes Gut zu verstehen, das wesentlich zur Transformation der Gesellschaft hin zu Kooperation und Nachhaltigkeit beitragen kann und muss, sind sie in der räumlich konkreten Planungsphase des Projektes treu geblieben. Um die Bedürfnisse künftiger Nutzer:innen des Areals zu erfassen, wurden unter anderem Betreiber: innen veganer Würstelstände, Kulturschaffende, ein Eisschwimm-Verein und verschiedene Tanzclubs eingebunden. Da die WGM Prozesse dieser Art in ihren Projektabläufen weder vorsieht noch budgetiert, fanden sie durchwegs in informellem Rahmen, oft auch bei einem Abendessen im Architekturbüro statt. Die dabei gewonnenen Informationen sind zu wichtigen Bausteinen eines Vorhabens geworden, das den Anspruch stellt, den Pier-Besucher: innen das ganze Jahr über niederschwellig und ohne Konsumzwang einen zugänglichen Ort der Inspiration und der Erholung für alle zu schaffen. Restriktiv wirkende Rahmenbedingungen wie das Standhalten gegen das häufig wiederkehrende Hochwasser und die Vermeidung zusätzlicher Erhaltungskosten flossen naturgemäß in die Planung ein.
Die von luftigen Dächern beschatteten Tische mit ihrer Vielfalt an Sitzgelegenheiten haben schon im vergangenen Sommer dazu eingeladen, sich zur Arbeit oder zum Vergnügen auf den von Staudenbeeten flankierten Balkonen im „Mind“ niederzulassen.

© Mostlikely Architecture
Vandalensicherheit versus inklusiven Luxus Gerade letztere, angesichts steigender Personalkosten nachvollziehbare Vorgabe seitens der Bauherr:innenschaft, die Anlagen praktisch wartungsfrei zu gestalten, steht dem angestrebten „inklusiven Luxus“ jedoch diametral entgegen, der am Pier 22 den Unterschied zu den offensichtlich „vandal:innensicher“ und somit wenig einladend wirkenden Freiräumen der Vergangenheit machen soll. Zur Auflösung dieses Widerspruchs setzten Mostlikely Architecture in jede der drei Zonen des Areals ein Gastronomie-Objekt, dessen jeweiliger Betreiber:innen in einer Art inoffizieller „Aufsichtsfunktion“ ein Auge auf ihr Umfeld haben sollten. Dort steht spezifisch auf den Bereich zugeschnittene Infrastruktur in Form von WC-Anlagen, Spinden oder Fahrrad-Abstellplätzen bereit, deren Nutzung unabhängig vom gastronomischen Angebot möglich ist. Die sorgfältige, ebenso alltagstaugliche wie ästhetisch hochwertige Gestaltung der Anlage würde, wie aus Studien bekannt ist, einen Beitrag zu einem rücksichtsvollen und verantwortungsbewussten Umgang mit dem Ort leisten. Die drei Objekte – der Kultur-Kiosk, ein großes Café und der Sport-Kiosk – werden realisiert, die Stadt Wien zieht es jedoch mittlerweile vor, den Pier 22 selbst zu pflegen und instand zu halten. Den massiven Angriff des Katastrophenhochwassers im Herbst 2024 hat er jedenfalls ohne Schäden an seiner Substanz überstanden. Die Bereitstellung eines solch variablen, offen zugänglichen, mit technischer Infrastruktur gut ausgestatteten und dabei notwendigerweise robusten Angebotes setzt eine ebenso weit in die Tiefe gehende wie in die Zukunft schauende Planung voraus. Am Pier 22 fließen die Visionen und Erfahrungen der informell eingebundenen Expert:innen und das Wissen der Fachplanungsbüros in ein Projekt, das sich der Nachhaltigkeit auf wirtschaftlicher, ökologischer und gesellschaftlicher Ebene verpflichtet hat.
Sie möchten weiterlesen? Dieser Beitrag ist Teil unserer Ausgabe 4-5/2025. Der Volltext ist ab Seite 52 zu finden.

Aus feiner Thermo-Esche gefertigte Sonnenliegen erhellen mit ihren kräftig gelb gefärbten Metallrahmen sogar auch die kalten, dunklen Tage Wiens. © Mostlikely Architecture