riccione architekten mit Rudolf Palme | Sozialzentrum Zell am Ziller

In der Mitte des Tiroler Zillertals, wo ansonsten Alpenkitsch und Gauderfest den Ton angeben, haben riccione und Rudolf Palme ein Wohn- und Pflegeheim gebaut, das von Ferien in Italien und der Grandezza eines Kurhotels erzählen möchte. Statt anonymer Zurückhaltung sind hier bewusst Gestalt, Farbe und Form erlaubt, die ihre Nutzer:innen ansprechen. Nach zwei Jahren Betrieb wollen wir wissen: Geht das Konzept der narrativen Architektur auf?
Text: Nicola Weber | Fotos: Gregor Graf

Margarethe feiert heute 91. Geburtstag. Im Veranstaltungssaal findet eine kleine Feier statt, Kuchen wird aufgetragen, die CD mit „Schlager von Damals“ angekündigt. Die Raumatmosphäre ist gediegen: dunkles Holz, breites Fischgrätparkett, klassische Kugellampen. Durch die Verglasung sind die Bögen des umlaufenden Arkadengangs zu sehen. Gleich angrenzend, zum Park hin, liegt das öffentlich zugängliche Café, das gut besucht ist. Auch hier herrscht mahagonifarbene Noblesse mit Hermann-Czech-Stühlen, Marmortischchen und braunem Leder – ein Wiener Kaffeehaus im Tiroler Alpental. Immerhin war am Standort des Sozialzentrums einst ein Spital der Kaiser Franz Josef-Stiftung, die Assoziation ist also angebracht. Nicht wenige der heutigen Heimbewohner:innen wurden sogar in diesem Spital geboren – am selben Ort, an dem sie nun ihren Lebensabend verbringen. Kein Wunder, dass die aus dem ehemaligen Komplex erhaltene und eindrucksvoll restaurierte neugotische Kapelle ein wichtiger Identifikationspunkt des Hauses ist und zusammen mit Festsaal und Foyer dessen Zentrum bildet. Erzählungen sind also präsent in diesem Wohnheim, und die Architekt:innen wollten bewusst neue hinzufügen.
Mediterrane Ferienarchitektur So erzählen etwa der Außenraum und die Fassaden des L-förmigen Baukörpers von mediterraner Ferienarchitektur, wie Clemens Bortolotti von riccione architekten erklärt. Tatsächlich verbreiten die gelb gestreiften Fallarm-Markisen, die türkisgrünen Balkongeländer und die locker auf und ab hüpfenden Fensteröffnungen den Charme eines Adriaurlaubs in den 1950er-Jahren und eine südliche Leichtigkeit, die sympathisch wenig mit einem Pflegeheim zu tun hat. In der Öffentlichkeit hätten die knalligen Farben anfangs Debatten ausgelöst, erzählt Heimleiter Klaus Mair, heute finden es die meisten „wow“. Die Arkaden und differenzierten Hofsituationen kennt man auch in den Weingegenden des benachbarten Südtirols, zu dem vom Zillertal aus ja schon immer Verbindungen bestanden. Über diese Mischung aus Romantik und Rationalismus haben die Architekten ein bisschen Postmoderne gestreut, die irritiert, aber gerade noch nicht zu viel ist. Hier wird auf jeden Fall keinerlei Klinik- oder Heimatmosphäre verbreitet, sondern eine dörfliche Urbanität, die dem Tourismusort guttut.
Mitten im Dorf Überhaupt ist vieles an diesem Gebäude klug und bis ins Detail überlegt. Es geht über die von engen Regelwerken und Kostenlimits bestimmte Logik hinaus und hat sich in der Nutzung bewährt. So gibt es etwa Holzböden auch in den Pflegezimmern und den Einheiten für betreutes Wohnen, differenzierte Raumzonen für unterschiedliche Facetten von Privatheit und Gemeinschaft, keine raumhohen Verglasungen, weil diese bei Demenzkranken Angst auslösen können, dafür französische Balkone mit öffenbaren Aluminiumflügeln, die für bettlägerige Menschen an warmen Tagen ein ganz neues Raumgefühl ermöglichen, und Klingeln an den Türen, für die Wahrung der Privatsphäre bis zuletzt.

Wichtig sei gewesen, eine gediegene, würdige und wohnliche Atmosphäre zu schaffen.
Mitten im Dorf Überhaupt ist vieles an diesem Gebäude klug und bis ins Detail überlegt. Es geht über die von engen Regelwerken und Kostenlimits bestimmte Logik hinaus und hat sich in der Nutzung bewährt. So gibt es etwa Holzböden auch in den Pflegezimmern und den Einheiten für betreutes Wohnen, differenzierte Raumzonen für unterschiedliche Facetten von Privatheit und Gemeinschaft, keine raumhohen Verglasungen, weil diese bei Demenzkranken Angst auslösen können, dafür französische Balkone mit öffenbaren Aluminiumflügeln, die für bettlägerige Menschen an warmen Tagen ein ganz neues Raumgefühl ermöglichen, und Klingeln an den Türen, für die Wahrung der Privatsphäre bis zuletzt.
Grandezza in Diskussion Im Inneren erstaunt es fast, dass dieses Haus ein Neubau ist. Vieles wirkt, als wäre es immer schon da gewesen, zeitlos, abseits jeder Mode – oder altmodisch? Wichtig sei gewesen, eine gediegene, würdige und wohnliche Atmosphäre zu schaffen, so Bortolotti, wie in einem noblen Kurhotel, ergänzt durch den expliziten „Willen zur Farbe“. Style im Heim sozusagen, mit ein paar durchaus schrägen Details. Mitunter kippt die erwünschte Grandezza der auf dunkles Mahagoni polierten Interieurs aber ins zu Recht Verblichene...

