Schenker Salvi Weber Dietrich & Untertrifaller Architekten | Kuku 23

Der Bezirk Liesing im Wiener Süden wuchs in den letzten 25 Jahren um mehr als 40 Prozent von 85.000 auf 120.000 Einwohner:innen. Gemeinsam mit den Flächenbezirken jenseits der Donau zählt Liesing zu den am stärksten wachsenden Bezirken der Hauptstadt.
Text: Robert Temel | Fotos: Aldo Amoretti, Patrick Johannsen
Vor allem hier realisierte sich die Zunahme der Bevölkerung Wiens um mehr als ein Drittel seit den 1980er- Jahren. Die beiden größten Entwicklungsareale in Liesing sind „In der Wiesen“ südlich von Alt-Erlaa sowie Atzgersdorf, nördlich des gleichnamigen Ortskerns zwischen Südbahnstrecke und Liesingbach gelegen. Die Planung für Atzgersdorf startete mit einem kooperativen Verfahren 2011 mit insgesamt 5.300 Wohnungen, die dort entstehen sollen. Inmitten dieses Entwicklungsgebiets, an der großen Ausfallsachse der Breitenfurter Straße, zwischen Industrieanlagen, Gemeindebauten der 1960er-Jahre und vielen neuen geförderten Wohnbauten liegt die Gastgebgasse.
Neues Zentrum in der Zwischenstadt Hier befindet sich ein besonderer Ort im urbanen Zwischenraum Liesings, das nach und nach zur dichten Stadt transformiert wird: Hier steht die Sargfabrik Atzgersdorf, die von dem Otto-Wagner-Schüler und Architekten des Roten Wien Hubert Gessner in den 1910er-Jahren errichtet wurde. Das denkmalgeschützte Objekt wurde von der Stadt Wien an Soravia verkauft, ein kultureller Schwerpunkt war vorgegeben. Aktuell wird es von Shibukawa Eder Architects in ein Kulturzentrum umgebaut. Direkt angrenzend entstand ein Bildungscampus der Stadt Wien für 1.100 Kinder, geplant von Baumschlager Eberle Architekten. Der Großteil des Areals ist für geförderten Wohnbau gewidmet, für den der Wohnfonds Wien 2019 einen Bauträger: innenwettbewerb durchführte. Im südlichen Baufeld waren Schenker Salvi Weber Architekten mit der Genossenschaft Altmannsdorf Hetzendorf und Dietrich | Untertrifaller Architekten mit der Genossenschaft Heimbau sowie das Landschaftsarchitekturbüro rajek barosch erfolgreich. Das Projekt umfasst 430 Wohnungen sowie umfangreiche Kulturflächen.
Dichte und Architektur Der Bebauungsplan gab die exakte Position, Höhe, Baukörperausformung und die zulässige Nutzfläche der Wohnbauten vor. Umso eindrucksvoller ist die städtebauliche und architektonische Lösung: Trotz der in Wien üblichen hohen Dichte – Geschossflächenzahl von etwa 3,3 und Gebäudetiefe bis zu 24 Meter – wirkt die Anlage luftig. Die Freiräume, Fassaden und Volumen erscheinen angemessen, was angesichts der Vorgaben eine hohe architektonische Kunst ist. Hin und wieder könnte man sich allerdings etwas weniger Höhe wünschen. Alle Gebäude sind durch Mitteltrakte erschlossen – das ist bei einer solchen Dichte kaum anders möglich. Diese sind aber angenehm breit gehalten, laufen immer in Richtung Tageslicht und gehen nach Norden in einhüftige Laubengangtypen über. Nach außen sind die Gebäude mithilfe von verglasten Einschnitten, die die Stiegenhäuser und Fugenräume enthalten, optisch in Einzelhäuser gegliedert. Unterschiedliche Bauhöhen tragen weiter zum differenzierten Eindruck bei.

Wir haben das große Bauvolumen durch gläserne Einschnitte mit Stiegenhäusern und Fugenräumen gegliedert. So entsteht der Eindruck einer Reihe von Bauvolumen.
Großzügigkeit statt Beengtheit Der Komplex wirkt trotz hoher Dichte innen wie außen großzügig – eine Kombination, die selten zu sehen ist. Die beiden Bauteile von Schenker Salvi Weber mit grünen Stabgeländern und weißen, sanft schwingenden Wellblechbrüstungen erinnern zart an die südeuropäische Moderne. Die drei Trakte von Dietrich | Untertrifaller Architekten mit den rostroten Loggienbändern stehen für Klarheit, Aufgeräumtheit und Materialgerechtigkeit. Zudem sind sämtliche Fenster raumhoch ausgeführt. Beide Teile machen exemplarisch deutlich, welche räumlichen Qualitäten aus den knappen Budgets des geförderten Wohnbaus geholt werden können. Trotz des hohen gestalterischen Anspruchs halten die Fassaden die individuelle Aneignung der Geländer und Balkons wunderbar aus. Das östliche Atelierhaus ist als Betonskelettkonstruktion ausgeführt. Zugunsten von 2,80 Meter Raumhöhe in allen Ebenen wurde auf ein Geschoss verzichtet. Der luftige Eindruck wird nicht zuletzt von der Freiraumgestaltung von rajek barosch erzeugt, die ebenfalls mit schwierigen Rahmenbedingungen konfrontiert waren: Das gesamte Areal ist durch eine Tiefgarage unterkellert. Dementsprechend wachsen Bäume aus einer Hügellandschaft.
Sie möchten weiterlesen? Dieser Beitrag ist Teil unserer Ausgabe 4-5/2025. Der Volltext ist ab Seite 84 zu finden.

© Aldo Amoretti