Operation auf Überraschung

Studio Jakob Sellaoui | Renovierung einer 1960er-Jahre-Wohnung, Wien

Inmitten der typischen, erwartbaren Siedlungsstruktur der 1960er-Jahre entsteht ein unerwarteter Wohnraum. Er ist Bühne für unterschiedliche Szenarien des Lebens. In engem Austausch, durch das Ausloten von Grenzen und Wohnvorstellungen sowie durch offenes Reagieren wird hierPlanen, Bauen und Wohnen als Prozess ausgehandelt.

Text: Anna Krumpholz | Fotos: kunst.dokumentation.com / Manuel Carreon Lopez


Im Möglichkeitsraum des „Nicht-Schönen“ Gleichförmig reihen sich die Blöcke der Wohnsiedlung „an den langen Lüssen“, 1961 vom österreichischen Siedlungswerk als Reaktion auf akuten Wohnungsmangel hastig errichtet, aneinander. Alles folgt dem Prinzip der Vorfertigung – sowohl in der Bauweise als auch in der Vorstellung davon, wie hier gewohnt wird. Siedlungen wie diese gibt es viele. In die Jahre gekommen und unscheinbar werden sie als „nicht-schöner Altbau“ oft übersehen. Mit der Überzeugung von Besitzerin und Architekt:innen, hier mehr rausholen zu können, begann der Planungs- und Umbauprozess, der sich als Reaktion auf das Vorgefundene und durch dessen Sichtbarmachung manifestiert.

Reaktionen „Wir glauben daran, dass da schon etwas ist“: Nicht eine große Entwurfsidee, sondern die räumliche Reaktion auf das Vorgefundene steht im Vordergrund sowie der Wunsch, Neues mit Altem nicht-nostalgisch aufeinandertreffen zu lassen. „Architektur entsteht in den Momenten, die nicht ideal sind“, so Jakob Sellaoui. Formale Unzulänglichkeiten, „das Arbeiten in Brüchen“ und das Herstellen von Verwandtschaft prägen den Charakter der Wohnung. Außenfenster, Wohnungs- und Balkontür, Mittelund Kaminwände bildeten den gegebenen Rahmen. Die Mittelwand wurde geöffnet, der zentrale Sanitärblock für den Sichtbezug zwischen Eingang und Balkon aus der Rechtwinkligkeit herausgedreht. So bildet sich, einer Logik der Raumqualität folgend, ein erster Bruch mit der klaren Ausrichtung des Bestands: „Die spannendsten Momente sind jene, wenn sich die Systeme im Widerspruch befinden“. Das „historisch-unterbelichtete“ Bad wird durch ein halbrundes Fenster aufgewertet, das der Begegnung von bestehendem Unterzug, freigelegter Rippendecke und gedrehter Holzbox eine Bühne gibt: „Man zeigt, was los ist“.

Material, Form, Farbe und Abweichung Durch den hochwertigen Einsatz und die ungewöhnliche Kombination günstiger Materialien wurden Kosten ausbalanciert. Punktuell konnte so anderswo mehr investiert werden: Die Edelstahlküche passt sich „in einer fast komischen Situation“ zwischen die bestehenden Kaminwände ein und geht in den runden Tisch über, der formale Prinzipien der Vorfertigung und starre Raumordnungen aufweicht. Neben konstruktiven Oberflächen – freigelegte Betonrippendecke, gestrichener Estrich, Sperrholzbox – nehmen Farbakzente Bezug auf persönliche Vorlieben der Besitzerin oder den Bestand. Die auffallende Garderobe mit schrägem Spiegel entstand durch die Entdeckung eines Abflussrohres während des Bauens, so wie vieles andere auch: Zwei Drittel waren geplant, ein Drittel entstand spontan...


Sie möchten weiterlesen? Dieser Beitrag ist Teil unserer Ausgabe 6/2025. Der Volltext ist ab Seite 140 zu finden.

Das könnte Sie auch interessieren

Newsletter Anmeldung

Wir informieren Sie regelmäßig über Neuigkeiten zu Architektur- und Bauthemen, spannende Projekte sowie aktuelle Veranstaltungen in unserem Newsletter.

Als kleines Dankeschön für Ihre Newsletter-Anmeldung erhalten Sie kostenlos ein architektur.aktuell Special, das Sie nach Bestätigung der Anmeldung als PDF-Dokument herunterladen können.