The Wandering House | Lionel Ballmer

Am Rand des Dorfes Baar im Schweizer Wallis steht ein Haus, das sich seiner Umgebung nicht einfach unterordnet – und sich doch in sie einfügt. Das „Wandering House“ von Lionel Ballmer ist eine leise, fast schwebende Architektur, die sich zwischen Obstgärten, Waldhang und Bergblick entfaltet. Entstanden ist es nicht aus einem klaren Entwurf, sondern aus einem Abwägen, Weiterdenken, Verwerfen – und einer bewussten Entscheidung für das Weniger.
Text: Arian Lehner | Fotos: Rory Gardiner
Vom Umbau zum Neubau Eigentlich hätte es ein Umbau werden sollen. Der Stadl am südlichen Hang des Grundstücks war über Jahrzehnte im Familienbesitz und faszinierte Architekt wie Bauherrschaft gleichermaßen. Doch trotz seiner stillen Würde und der besonderen Lage bot er schlicht zu wenig Platz für das gewünschte Wohnprogramm. Nach ersten Skizzen wurde klar: Eine Transformation würde dem Bestand mehr nehmen als geben. Stattdessen entstand die Idee, das Haus nicht im, sondern neben dem Stadl zu realisieren – als Ergänzung, nicht als Ersatz. Dieser Perspektivwechsel veränderte alles: Der Stadl blieb erhalten und wurde im Erdgeschoss zum Weinkeller, im Obergeschoss zur überdachten Terrasse. Das neue Haus rückte in den Norden des Grundstücks – mit Abstand, aber in enger Beziehung zum Alten. Dazwischen öffnet sich ein geschützter Garten als verbindender Raum. Ein Dialog beginnt – zwischen Neu und Alt, zwischen Vergangenheit und Gegenwart.
Eine Architektur des Schwebens Schon der erste Eindruck irritiert: Das neue Haus scheint nicht zu stehen, sondern zu schweben. Es ruht auf Stützen, die an die traditionellen „Raccards“ der Region erinnern – ländliche Speicherbauten auf Stelzen, die früher Vorräte vor Feuchtigkeit und Tieren schützten. Ballmer greift dieses Bild auf, ohne es zu imitieren. Die neue Struktur setzt sich bewusst ab – und verweist gleichzeitig auf ihre Herkunft. Diese Schwebehaltung hat mehr als nur eine symbolische Bedeutung. Da der Baukörper den Boden nicht berührt, bleibt die Vegetation darunter weitgehend erhalten. Keine Fundamentplatte, keine großflächige Versiegelung: Der Eingriff in das bestehende Ökosystem bleibt minimal. Auch das Regenwasser wird gesammelt, Solarzellen versorgen das Haus mit Strom – kleine Gesten mit großer Wirkung.
Ein Dialog beginnt – zwischen Neu und Alt,
zwischen Vergangenheit und Gegenwart.

© Rory Gardiner
Ein Raum, viele Möglichkeiten Im Inneren überrascht das Haus mit einer Raumlogik, die ebenso präzise wie flexibel ist. Ein zentraler Kern organisiert die Zirkulation und die dienenden Funktionen – um ihn herum gruppieren sich offene, fließende Wohnbereiche. Große Schiebetüren aus Lärchenholz geben den Blick frei in alle Richtungen: auf den Garten, zum Stadl, in die Berge. Besonders markant ist der Wohnbereich im Süden: Auf drei Ebenen gestaffelt, verbinden sich Küche, Essplatz, Büro und Wohnzimmer zu einer räumlichen Topografie, die stets neue Sichtachsen und Begegnungen erlaubt. Im Norden entsteht unter dem auskragenden Haus ein überdachter Außenraum – wettergeschützt, vielseitig nutzbar, manchmal Garage, manchmal Sommerküche.
Material mit Haltung Auch in der Materialwahl bleibt das Projekt konsequent. Die gesamte Konstruktion besteht aus Brettsperrholz aus regionaler Fichte, gefertigt von einer lokalen Zimmerei. Die Fenster sind aus Lärche, die Betonbasis aus Recyclingmaterial. Kein Detail wirkt dekorativ, nichts ist überflüssig – und doch ist alles mit großer Sorgfalt entworfen. Die schwarze Holzfassade erinnert an sonnenverbrannte Bretter alter Walliser Stadl – ein Zitat ohne Nostalgie...
Sie möchten weiterlesen? Dieser Beitrag ist Teil unserer Ausgabe 4-5/2025. Der Volltext ist ab Seite 126 zu finden.

© Rory Gardiner