07
Jun

Veronika Kellndorfer: Screens and Sieves

Veronika Kellndorfer: Innenaufnahme der Neuen Nationalgalerie von Mies van der Rohe am Kulturforum, bevor die Umbauarbeiten begannen. Foto: V. Kellndorfer/VG Bildkunst Bonn 2020/James Prinz

Mies van der Rohe Haus

Oberseestraße 60
13053 Berlin
Deutschland

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In ihrer aktuellen Ausstellung „Screens and Sieves“ konfrontiert die Berliner Künstlerin Veronika Kellndorfer zwei Bauten Mies van der Rohes miteinander: Das Haus Lemke am Obersee, in dem die Ausstellung stattfindet, und die Neue Nationalgalerie am Kulturforum in Form großformatiger Glassiebdrucke. Diese Konfrontation macht einmal mehr deutlich, wie stark die moderne Architektur als Medium und als mediale Konstruktion gedacht ist. Darauf hat die Architekturhistorikerin Beatriz Colomina unter Bezugnahme auf das Mies’sche Werk immer wieder hingewiesen: „Moderne Architektur handelt vom massenmedialen Bild. Genau das macht sie modern, und nicht die übliche Geschichte von Funktionalismus, neuen Materialien und neuen Techniken.“ (ARCH+ 204, Oktober 2011, S. 28) 


Bevor Mies seine radikalen Bauten realisieren konnte, „baute“ er seine Konzepte mittels großformatiger Fotocollagen. Sein berühmtestes Werk, der ursprünglich temporäre Barcelona-Pavillon, entfaltete seine Wirkung bis zu seiner Rekonstruktion lange Zeit nur durch zeitgenössische Fotografien und Publikationen. Dies hat wiederum Auswirkungen auf die Rezeption von Architektur, so Colomina weiter: „Wenn moderne Architektur also im Raum der Fotografien und Publikationen, der weitgehend zweidimensional ist, entsteht, verinnerlicht sie zu einem gewissen Grad die Flachheit dieses Raumes. Die dreidimensionale Welt wird zur fotografischen Oberfläche.“ 

Was diese Aufnahmen jedoch nicht vermitteln können, ist die ungeheuerlich fremde Wirkung, die diese neue Architektur auf die Zeitgenoss*innen ausübte. Für die damaligen Beobachter*innen war der Effekt der Spiegelungen in den Glaswänden des Barcelona-Pavillons ein neuer, unheimlicher Eindruck. Auf diesen „geheimnisvollen“ Effekt hat Colominas Lehrer Josep Quetglas in seinem Buch „Der gläserne Schrecken“ hingewiesen. Es ist Kellndorfers Verdienst, mit ihren Arbeiten genau diesen Zusammenhang anschaulich zu machen. Weit davon entfernt, eine bloße zweidimensionale Abbildung der Architektur zu sein, schafft sie gewissermaßen in einer Art „reverse engineering“ den „Kult der Transparenz“ in Mies van der Rohes Werk zu dekonstruieren. 

Es geht in den Bildern der Künstlerin stets um das Evozieren des Unerklärlichen, Geisterhaften, Geheimnisvollen des Raums und nicht um die vermeintliche Rationalität, Transparenz und Logik der Moderne. Das Erscheinungshafte im Sinne einer Vision wird einerseits in den vielschichtigen Spiegelungen in der Fassade der Neuen Nationalgalerie deutlich, die die Position des Betrachtenden vollkommen verwischt. Innen und Außen fallen in eins. Andererseits wird dieser Effekt gerade durch die Intransparenz des Konstruktiven verstärkt. So scheinen auf einem der Innenaufnahmen die massiven Pfeiler ihre konstruktive Logik zu leugnen: Ohne Anfang und Ende wachsen sie aus der spiegelnden Bodenfläche empor, um im unbestimmbaren Schatten der Kassettendecke zu verschwinden. Die klassizistische Diskussion um Tektonik, um den Ausdruck von Lasten und Tragen wird in dieser Aufnahme ad absurdum geführt. Mies als Antiklassizist. Schon allein dafür müsste man Veronika Kellndorfer dankbar sein. 

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