03
Jun

Widerstand und Wandel. Über die 1970er-jahre in Tirol

© aut

aut. architektur und tirol

Im Adambräu
Lois Welzenbacher Platz 1
6020 Innsbruck
Österreich

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di – fr 11.00 bis 18.00 Uhr
sa 11.00 bis 17.00 Uhr

In den USA, Großbritannien, Frankreich, Skandinavien und auch in Westdeutschland herrschte von 1945 bis in die 1970er-Jahre hinein quer zu den Differenzen zwischen Sozialdemokraten und Konservativen eine Art stillschweigender Konsens: Das übergreifende politische Paradigma, das hier galt, setzte massiv auf nationale Ordnungsbildung, auf sozioökonomische, aber auch auf kulturelle Regulierung. Nationale, keynesianische Wirtschaftssteuerung und Sozialstaat, Verbändedemokratie, gleicher Lebensstandard für alle waren die Maximen. Dieses Regulierungsparadigma hatte auch eine kulturelle Dimension, die auf Gemeinschaft und das Kollektiv setzte. […] Es war ein erfolgreiches Paradigma, welches Massenwohlstand und sozialen Zusammenhalt sicherte – dann jedoch geriet es in eine tiefgreifende Krise und kollabierte innerhalb eines Jahrzehnts. Diese Krise ist lehrreich, weil wir uns gegenwärtig in einer ähnlichen Konstellation befinden.

Andreas Reckwitz

Die 1970er-Jahre sind eine Zeit des Umbruchs  und der gesellschaftlichen Veränderungen, in der man an eine „fortschrittliche“ Zukunft glaubte  und unterschiedliche Visionen von einer besseren Welt formulierte: Es wurden Bildung, Kultur und Arbeit für alle gefordert, eine antiautoritäre Erziehung und offene Jugendkultur propagiert, soziale Experimente sowie partizipative Prozesse ausprobiert und alternative Lebensformen entwickelt. Gleichzeitig war es aber auch eine Dekade der wirtschaftlichen Krisen, der kalten und heißen Kriege sowie der nazistischen und faschistischen Kontinuitäten.

In Österreich ist dieses Jahrzehnt politisch untrennbar mit Bruno Kreisky verbunden, der von 1970 bis 1983 Bundeskanzler war und das Land durch soziale und gesellschaftspolitische Reformen auf mehreren Ebenen öffnete. 1978 allerdings endete die Diskussion um das Kernkraftwerk Zwentendorf bei der Volksabstimmung mit einer Niederlage von Bruno Kreisky und nur wenige Jahre später erfolgte die Besetzung der Hainburger Au, die sowohl umwelt- als auch demokratiepolitisch eine Zäsur darstellte.

In Tirol „herrschten“ Eduard Wallnöfer, der als Landeshauptmann mit absoluter Mehrheit von 1963 bis 1987 regierte, und Alois Lugger, der von 1956 bis 1983 Bürgermeister von Innsbruck war und damit auch die beiden Olympischen Winterspiele 1964 und 1976 mitverantwortete. Das gesellschaftliche und kulturelle Selbstverständnis Tirols gründete sich nach dem Zweiten Weltkrieg stark auf traditionelle und historisch gewachsene  Werte: Katholizismus, Konservativismus, Patriotismus und die damit eng verknüpfte Heimatverbundenheit. Das Institut Français, das Europäische Forum Alpbach und die ab 1950 durchgeführten Jugendkulturwochen brachten eine gewisse Öffnung und Internationalisierung der kulturellen Debatte und Praxis, die ab 1965 auch vom „liberalen“ Landesrat für Kultur, Fritz Prior, politisch und finanziell unterstützt wurde. Durch die Gründungen „kultureller Orte“ wie der Galerie  im Taxispalais, der Galerie Krinzinger, des Forum für aktuelle Kunst, des Theaters am Landhausplatz,  des KOMM und des Otto-Preminger-Instituts in Innsbruck bzw. der Galerie Eremitage in Schwaz, der Galerie St. Barbara in Hall i. T. und der Galerie Elefant in Landeck begann sich ab Mitte der  1960er-Jahre die „mentale“ Landschaft in Tirol zu verändern. Daneben positionierten sich die von Wolfgang Pfaundler herausgegebene Zeitschrift „Das Fenster“ und die von Krista Hauser ab Anfang der 1970er-Jahre redaktionell betreute Beilage „Horizont“ der Tiroler Tageszeitung als Sprachrohr einer kritischen kulturellen Szene. Und auch in der Musikszene, in der Jugendkultur, im Theater, im Sozialbereich und in der Frauenbewegung war diese Aufbruchstimmung spürbar.

Die Architektur jener Zeit war geprägt von Amtsplanungen oder rein funktionalistischen Bauten, die entweder in traditionellen oder modernistischen Klischees gefangen waren. Nur in seltenen Fällen konnten engagierte Architekten ihre Vorstellungen umsetzen, wie Josef Lackner, Horst Parson oder Norbert Heltschl. Zu den größten Büros zählte das im Kreis der Architekten nicht unumstrittene von Hubert Prachensky und das von Fred Achammer, in denen etliche später bekannte Architekten erste Berufserfahrungen sammelten. Diese Generation von ArchitektInnen, die zuvor in Wien an der Technischen Universität bzw. bei Roland Rainer an  der Akademie der bildenden Künste oder in Graz studiert hatten, begann zunächst vor allem mit Einfamilienhäusern oder im Rahmen von Wettbewerben ihre Vorstellungen von zeitgemäßer Architektur und Städtebau in die konservative Landschaft Tirols zu bringen. Besonders wichtig waren dabei die Wettbewerbe „Wohnen Morgen“, die vom Bundesministerium für Bauten und Technik in allen Bundesländern ausgelobt wurden und bei denen sowohl neue städtebauliche Ansätze als auch innovative Wohnkonzepte entwickelt wurden. Auch im Schulbau versuchte man, die pädagogischen Überlegungen der Zeit in entsprechende Raumkonzepte zu übersetzen, wie etwa bei den beiden Modellschulen in Wörgl und Imst, bei denen auch Methoden und Systeme der Vorfertigung erprobt wurden. Nicht zuletzt war es die neugegründete, 1970 eröffnete Fakultät für Bauingenieurwesen und Architektur an der Universität Innsbruck, die einen wesentlichen Impuls für die weitere Entwicklung der Baukultur in Tirol setzte.

Bilder aus der Publikation "widerstand und wandel. über die 1970er-jahre in tirol", © aut

Bilder aus der Publikation "widerstand und wandel. über die 1970er-jahre in tirol", © aut

Die Ausstellung „widerstand und wandel“ möchte diesen Zeitraum und die architektonische, kulturelle, aber auch soziale Aufbruchstimmung in den 1970er-Jahren sichtbar machen. Zum einen werden ausgewählte Projekte aus den Bereichen Wohnen, Schulbau, Kirchen und typologische „Zeitzeugen“ vorgestellt, zum anderen wird das kultur- und gesellschaftspolitische Umfeld anhand einer Synchronopse vermittelt, die lokale und nationale Entwicklungen mit dem „Weltgeschehen“ verbindet und in die Bücher, Plakate, Kunstwerke, Fotografien, Filme und Hörbeispiele eingewoben sind. Ergänzt wird die Ausstellung durch Interviews mit Maria und Gerhard Crepaz, Arnold Klotz, Krista Novak-Hauser, Norbert Pleifer, Peter Quehenberger, Vroni und Jussuf Windischer  sowie Dietmar Zingl – Persönlichkeiten, die den kulturellen Aufbruch initiiert und mitgetragen haben.

Zur Ausstellung erscheint eine umfangreiche Begleitpublikation, in der über zwanzig AutorInnen unterschiedlichste Themen aufarbeiteten und für die Günter Richard Wett 27 zentrale Bauten in ihrem heutigen Zustand dokumentierte. Bei Vorträgen u. a. von Günther Feuerstein, Eilfried Huth, Wolfgang Kos, Peter Noever und Anton Pelinka,  bei zwei „nimm 3“-Abenden mit Andreas Egger, Siegbert Haas, Dieter Tuscher, Hermann Kastner, Helmut Ohnmacht und Charly Pfeifle, bei einem Spaziergang zu Einfamilienhäusern in Sistrans sowie bei „Vor Ort“-Gesprächen in den Schulen in Vomp, Wörgl und St. Johann steht auch das Rahmenprogramm bis Juni ganz im Zeichen der 1970er-Jahre. Außerdem wird in Zusammenarbeit mit  dem bilding ein spezielles Vermittlungsangebot für Schulen diese Zeit des Widerstands und Wandels für die junge Generation greifbar machen.

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