architektur.aktuell 04/2001

architektur.aktuell 04/2001

Sports & Tours

Forum

Leisure Time

Von|by Eleni Gigantes & Elia Zenghelis

Tourismus ist heute wahrscheinlich unser imaginativster sozialer Ausdruck; seiner Definition sind nahezu keine Grenzen mehr gesetzt. Die Trennung zwischen Tourist und Reisender ist aufgehoben, nicht nur, weil sowohl Touristen als auch alle anderen Reisenden die selbe Infrastruktur nutzen. Ein japanischer Geschäftsreisender in Argentinien und ein europäischer Architekt in Japan sind nichts anderes als Touristen, wenn sie in Hawaii einen Ferien-stop over einplanen. Bislang wurde die Frage des Tourismus weder in der “Hochkultur” noch in der Architektur thematisiert. Es scheint, als ob sie von geringem sozialen Interesse wäre und wenig kulturelle Inhalte böte. Das Territorium wurde bisher nur Unternehmern, Regierungen und Visionären überlassen. Dabei ist der Tourismus der größte ökonomische Sektor, äquivalent einer ökonomischen Supermacht und eines Staates ohne Grenzen, mit den meisten von uns als Bürger. Überaus interessant ist es zu beobachten, wie dieses Produkt einer globalen Infrastruktur mit dem Wunsch nach Entlegenheit und Natur-Erfahrung verschmilzt, und darüber hinaus gehend auch die Macht hat, Realität zu transformieren.


Manzl – Ritsch – Sandner: Bahnhof und WM-Zielstadion in St. Anton am Arlberg, Tirol|Station and World Championship Stadium in St. Anton am Arlberg, Austria

Von|by Robert Fabach
Hintergründe eines Spektakels

Ein 170 Meter langes, schlankes Gebilde staut eine Hangmasse auf, teilt die Bewegung der Eisenbahn vom sorgfältig kalkulierten und knappen Raum des Gebirgsdorfes. Verkehrswege – Lebensadern und Bedrohung zugleich – haben jenes paradoxe Equilibrium von Erschließung und romantischer Idylle in Bewegung gesetzt, das von Anbeginn das Verhältnis von Tourismus und Landschaft kennzeichnete. So wie die Straße die Besiedlung des Arlbergs hervorgerufen hat, sich schließlich Besiedlung und Straße im Wege standen und durch einen Straßentunnel entflochten wurden, so ist auch das Medium der Bahn erst bereitwillig mitten in den Ort geholt worden, um nun, da sich das Verhältnis von An- und Durchreisenden längst verschoben hat, hinter einem Wall vorbeigeleitet zu werden. Wie verschämt werden schlafende Fernreisende zwischen Wien und Zürich, Güterwaggons und gelangweilte Pendler durch diese Kulisse geführt. Nur die Aussteigenden treten schließlich ein in das Szenario, das sich mit aufwendigen Retouchen zu einem Bild formiert: St. Anton am Arlberg.


Dietrich|Untertrifaller: WM-Halle und Wellness-Zentrum “Arlberg-well.com” in St. Anton am Arlberg, Tirol|World Championship Hall and the ‘Arlberg-well.com’ Wellness Centre in St. Anton am Arlberg, Austria

Von|by Robert Fabach
Eigenwillig ungerührt

Es ist möglich, dass Sie dieses Gebäude gar nicht gesehen haben, obwohl Sie alle Skirennen im Fernsehen verfolgt haben, oder sogar beim dramatischen Slalom der Herren in St. Anton vor Ort dabei waren. Es steht direkt neben den Tribünen. Sie sind mehrfach daran vorbeigegangen und Sie haben 48.000 m3 einfach übersehen. Die Leistung von Helmut Dietrich und Much Untertrifaller besteht aber gerade darin, kein aufgeregtes “Zirkuszelt” zu hinterlassen, sondern eine stabile Infrastruktur zu schaffen, die für verschiedenste Zwecke erweiterbar und umnutzbar ist. Die temporären Zubauten waren deshalb so deutlich unterscheidbar von der gebauten Kernsubstanz, die als Hintergrund wahrgenommen wurde. St. Anton zur Ski-WM als großer Jahrmarkt. Tausende Menschen, viel Plastik, das Potemkinsche Dorf einer Bilderwelt, schrille Festaufbauten. Eine Unzahl von Werbeträgern, das “Österreich-Haus” des ORF, all diese Objekte hatten etwas Hysterisches. Sie suchten den eiligen Blick des Konsumenten.


Pöschl/Comploj: Hotel Anton und Einfamilienhaus in St. Anton am Arlberg, Tirol|Hotel Anton and Single-Family House in St. Anton am Arlberg, Austria

Von|by Christian Kühn
Keine Zeit für Kompromisse

St. Anton am Arlberg ist ein typisches alpines Feriendorf: 2.400 Einwohner, 1.400 Saisonarbeiter, 120 Kilometer Piste mit 40 Liften, 250 Skilehrer, 8.500 Touristen in der Hochsaison. Am Austragungsort der alpinen Ski-Weltmeisterschaften 2001 werden längst nicht mehr Betten vermietet, sondern Erlebnisse verkauft. Das Gästemagazin erzählt von weißem Rausch, Spaß im Schnee und “gleißend vergletscherten Bergen, die sich felsig in den blauen Himmel recken”. Tourismus hat hier Tradition. Den Skiklub Arlberg gibt es seit 1901, die erste Skischule seit 1921. Damals hätte sich niemand träumen lassen, dass der Tourismus eines Tages zu den wichtigsten Wachstumsbranchen gehören würde. Nach Angaben des “World Travel and Tourism Council” produziert der Tourismus heute mehr als elf Prozent des globalen Bruttosozialprodukts und wird seinen Anteil bis 2008 auf mehr als 20 Prozent verdoppeln. Die Tourismusindustrie gehört zur Avantgarde eines neuen Kapitalismus, der seine Renditen immer weniger mit Sachgütern erwirtschaftet als vielmehr mit Erlebnissen und Träumen.


HOLZ BOX TIROL: Apartmentanlage Kar in Oberlech, Vorarlberg|Kar Apartment Complex in Oberlech, Austria

Von|by Barbara Keiler
Prefab im Hochgebirge

Das Äußere musste sich nach zähem Ringen an die baulichen Gegebenheiten des noblen Tourismusortes anpassen. Aber im Inneren offenbaren sich die räumlichen und materiellen Qualitäten der Gruppe HOLZ BOX TIROL mit Sitz in Innsbruck, die 1997 als Entwicklungsgemeinschaft für Fertig-Bau-Systeme gegründet wurde. Neben technischen Innovationen beschäftigt sich das Team mit der Weiterentwicklung althergebrachter Arbeitsprozesse. Man arbeitet mit klaren, kompakten Formen, flexiblen Grundrissen, ausgeklügelten Niedrigenergiesystemen und recyclierbaren Materialien. Holz kommt als tragendes Element und in der Ausstattung zur Anwendung. Von uriger Gemütlichkeit ist aber trotzdem nichts zu spüren – erstaunliche Sicherheit im Umgang mit Formen und Oberflächen bestechen bei fast allen Projekten, so auch beim Apartmenthaus Kar in Oberlech.


Gerhard Mitterberger: Kiosk, Parkplatz und Seilbahnstation in Matrei, Osttirol|Matrei Sports Centre in East Tyrol, Austria

Von|by Nikolaus Hellmayr
Ein unsentimentaler Bahnhof
Die Pisten selbst haben im Skitourismus längst ihren Zauber verloren. Das große Geschäft liegt im Après-Ski; Großveranstaltungen und allerlei Events bestimmen die Nachfrage der nach Erlebnissen fiebernden Durchschnittstouristen. Die Gier nach Authentizität in der Spaß-Gesellschaft geht über Leichen, seien es jene nach exzessivem Drogenkonsum oder einer Abfahrt über ungesicherte Hänge. Tourismus der ausgeflippten Art läuft auf beschleunigten Konsum hinaus, und ein unsportlicher Beobachter könnte zur Ansicht gelangen, die uneingestandene Leere an Sinn spiegle sich im Umsatz von Bier in den Almhütten wider. Wer für diese Bedürfnisse baut, sollte schnell, pragmatisch und wenig zimperlich sein. Dass aber selbst im hedonistischen Milieu des zeitgenössischen Alpintourismus ein Mindestmaß an Qualitäten durchzusetzen ist, beweist Gerhard Mitterberger mit einem multifunktionalen Betriebsgebäude, das er in einer Bauzeit von knapp zweieinhalb Monaten in der Osttiroler Gemeinde Matrei errichtete.


Reitter Pfleger: Bergrestaurant/Bergstation Horbergbahn in Schwendau im Zillertal, Tirol|Mountain Restaurant and Horbergbahn Cable Car Station in Schwendau in Zillertal, Austria

Von|by Otto Kapfinger
Lakonische Verschränkung

Im Wirtschaftskörper der industriellen und kommerziellen Verwertung von alpiner Natur spielen Seilbahnen eine zentrale Rolle, vergleichbar dem Herzmuskel und den Schlagadern im anatomischen System. Die Verkabelung der Gebirge bis zu den Gletscher- und Gipfelregionen verknüpft heute die Bergwelt nahtlos mit der Hektik des urbanen Alltags. Vom Supermarkt bis zur Piste herrscht ein akustisches und optisches Kontinuum. Der Konflikt zwischen knallharter Naturausbeutung und sentimentalem Landschaftsmythos prägte natürlich auch die Entwicklungsgeschichte der Seilbahnanlagen und -stationen. Als Bautypen “ohne Geschichte” und vorrangig technische Geräte konnten sie sich aber schneller als Hotel- oder andere Freizeitbauten der vordergründigen Formdebatte entwinden. So ist die Seilbahnarchitektur in den letzten zwei Jahrzehnten auch hierzulande eine primär technisch-effiziente Angelegenheit geworden, in der Formfragen nicht mehr auf rurale Muster des “Landschaftsgerechten” regredieren müssen. 


Essay

(un)reale Welt(en)|(Un)Real World(s)

Von|by Michael Shamiyeh

Betrachtet man die gegenwärtige explosionsartige Verbreitung von Freizeit-, Entertainment-, Themen- und Infotainmentwelten, so wird deutlich, dass die Erfahrung von inszenierten Ersatzwelten (gewollt oder ungewollt) Teil unseres Lebens geworden ist. Offensichtlich aus Frustration an der realen Berufswelt, die heute weitgehend als äußerst ernüchternd und desillusionierend angesehen wird, wird die Suche nach Ablenkung vom Alltag durch besondere Erlebnisse in der Gesellschaft intensiver. Der neue Typ des “Erlebniskonsumenten” sucht daher gar nicht mehr die Wirklichkeit, das Authentische, sondern die perfekt in Szene gesetzte Illusion. Und diese bekommt er heute im Großformat: Bereits 1998 existierten mehr als 30 größere Themenparks in Frankreich, etwa 20 in Großbritannien, 15 in Spanien, zehn in den Niederlanden, sieben in der Schweiz, fünf in Belgien und drei größere Parks in Dänemark. Glaubt man den Statistiken, so sollen bereits 22 Millionen (rund jeder vierte!) deutsche Bundesbürger und 2,6 Millionen (rund jeder dritte!) Österreicher jährlich zu diesen Erlebniswelten pilgern. Im EU-Raum wird die jährliche Besucherzahl von Themenparks auf rund 150 Mio. geschätzt; noch immer verhältnismäßig wenig im Vergleich zu den 250 Millionen Besuchern, die bereits Mitte der 1990er Jahren in etwa 100 der größeren Themenparks der USA gezählt wurden. Aber schon längst beschränkt sich das Angebot der Superlative nicht mehr nur auf “Parks”. Angesichts der enormen Anzahl an weltweit Reisenden – im Jahr 2000 reisten bereits mehr als 700 Millionen Menschen ins Ausland, die wiederum mehr als 1,6 Milliarden Dollar ausgaben; Tendenz steigend mit 6,1% jährlich – hat die Event-Industrie nun den Passagier als Konsument entdeckt. So finden sich im Repertoire der Erlebniswelten Jets mit internen Palmenstränden oder beduinenzeltähnliche Lounges mit Teppichboden in Wüstensandoptik ebenso wie Superkreuzliner in Form von schwimmend inszenierten Freizeitwelten. Mit ihren gigantischen Ausmaßen und Angeboten für Unterhaltung stehen diese Schiffe bereits im Wettbewerb zu den bekannten themed land-resorts, wie etwa denen von Las Vegas oder Disney World. 

Klaus Theo Brenner: Astron-Hotel in Berlin, Deutschland|Astron Hotel in Berlin, Germany

Von|by Claus Käpplinger
Das Maß der Stadt

Nicht nur traditionelle Touristik-Gebiete, sondern auch innerstädtische Lagen in Metropolen sind mit der Frage nach dem adäquaten Umgang mit der Mobilität gezwungen. Denn längst sind – neben den Geschäftsreisenden – auch schon transkontinentale Wochenendflüge in Weltstädte keine Seltenheit mehr. In Bewegung ist eine weltweite Community von Business- und Kulturreisenden, deren Bedürfnisse vor allem von immer größeren Hotelketten und ihren Bauten befriedigt werden. Hotelbauten mit 300 und mehr Zimmern sind längst keine Ausnahme mehr, die international völlig standardisiert ihren Gästen unliebsame Überraschungen ersparen, aber trotz ihres Komforts wenig Eigenart oder örtliche Bindung besitzen. Architekten haben auf ihre Gestaltung nur noch geringen Einfluss und müssen sich zumeist in eine extrem arbeitsteilige Organisationsstruktur einfügen. Dies war auch der Fall beim neuen Astron-Hotel in der Berliner Mitte. Allein sein Architekt, der Berliner Klaus Theo Brenner, begnügte sich nicht nur mit dem Entwurf, sondern wahrte zumindest bei der Schnittstelle zur Stadt seinen Einfluss. Der Verfechter einer sich prononciert urban begreifenden Stadtbaustein-Theorie gab dem Gebäude ein unverkennbares Gesicht, das sich zu seiner Größe bekennt, doch zugleich seine Masse stadtverträglich erfahrbar macht. 

Szyszkowitz/Kowalski: Kulturhaus St. Ulrich im Greith, Steiermark|Arts Centre in St. Ulrich im Greith, Austria

Von|by Matthias Boeckl
Bauen für das Laubdorf

Die Bilder täuschen: Was wie eine selbstbewusste Architekturmanifestation ohne jeden Kontext wirkt, ist in Wahrheit ein mittelgroßer Zubau zu einem Schulgebäude. An einem steilen Hang in einer Geländefalte liegend, entzieht es sich fast den Blicken der Passanten auf der darüber vorbei führenden Straße. Markante Dach- und Wandformen sind im Kontext des “Stillen Ozeans”, dem von Gerhard Roth und anderen literarisch beschriebenen Weinhügelland in der Südsteiermark, nicht als Kontrast oder Intervention wahrnehmbar, sondern eher als eine Art künstliches Gewächs, das sich schuppenartig an den Hang gelegt hat. Das Kulturhaus St. Ulrich ist aber nur der baulich sichtbar gewordene Teil einer größeren “Dorfidee”. Sie wurde von (zugereisten) Künstlern und lokalen Kulturschaffenden entwickelt, um dem wirtschaftlich schwach entwickelten Landstrich ein zukunftsfähiges neues Profil zu geben. Dabei setzt man auf Tourismus und die Kombination künstlerischer mit kulinarischen und landschaftlichen “Erlebnissen”. So soll die traditionelle lokale Kultur mit der neuen urbanen Wahrnehmung, die sich als authentisch versteht, verschmelzen und neue Werte entwickeln. 

Juan Navarro Baldeweg: Altamira Museum und Forschungszentrum in Santillana del Mar, Spanien|Altamira Museum and Research Centre in Santillana del Mar, Spain

Von|by Andrea Nussbaum
Das Original im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit

Eine steinzeitliche Höhle mit weltberühmter Deckenmalerei originalgetreu nachzubilden ist kein unumstrittenes Unternehmen: ein Archäologie-Themenpark à la Disney, wie die Kritiker befürchten, oder legitime Maßnahme, wie die Befürworter meinen, denn nur so kann beiden gedient werden: der massenhaften Schaulust der Zivilisation und dem einzigartigen Original, das der Nachwelt erhalten bleiben soll. Konserviert und behütet für wen eigentlich? Für die Wissenschaft, für die Menschheit? Dazwischen steht der Architekt. Er – so die an ihn gestellte Aufgabe – soll für das Vorhaben einen Rahmen formulieren, die geläufigen Negativ-Beispiele eines inszenierten Entertainment-Designs kennend. Die Rede ist von der Felsmalerei von Altamira, jener weltbekannten Höhle an der spanischen Atlantikküste; der Architekt: Juan Navarro Baldeweg. Behutsam hat er das aufwendige Remake jenseits des Spektakulären eingefasst. Eine der Landschaft angepasste Hülle, treppenförmig in den Berg geschnitten. Ockerfarbener Naturstein, Glas und Metall, zeitgemäß in der Formensprache und doch – zumindest was die Farben angeht – traditionell: Goldgelb, wie der Naturstein; Rot als Referenz an die Farbe der Malerei. Ein archaischer Inhalt in eine zeitgenössische Schublade gepackt. 

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