architektur.aktuell 05/2000
WOHNEN – “epos von den Haustieren”|LIVING – An Epos of Domestic Animals
Von|by Ernst J. Fuchs/Architect in Vienna
Schon seit längerem geistert mir der Gedanke von Zusammenhängen der Haustierhaltung und der Einstellung des Menschen zum Wohnen im Kopf herum. Ich meine nicht das Haustier an sich, sondern die Beziehung der Menschen zum Wohnen, zum Haus und zu sich selbst. So sind ursprünglich die Haustiere vom Menschen zur Nutzung deren Produkte oder Arbeitsleistungen oder aus Liebhaberei gezüchtete Tiere. Und genau wie die Menschen Tiere gezüchtet haben, sind sie dazu übergegangen, Maschinen zu züchten, die eine eigene Spezies darstellen. Mittlerweile ist man bereits im Möglichkeitsfeld der Menschenreproduktion angelangt. Ob Haustier, Mensch, Maschine, Computer oder Behausung, gemeinsam ist ihnen, dass sie niemals nur Materie und Physis alleine sind, sondern auch etwas Abstraktes, wie Prozess, Sprache, Programm, Rhythmus, Organisation, Kombination, Form, das darüber hinausgeht.
Alexander Reichel: Stadtvilla in Kassel, Deutschland|Town Villa in Cassel, Germany
Von|by Klaus-Dieter Weiß
Tucholskys Vision
Solange es noch nicht für die eigene Villa auf Stadtgrund reicht, bewohnt man am liebsten eine “Stadtvilla”. Ein typisch deutsches Gebilde, das die Pracht des herrschaftlichen Einzelhauses mit einer ungeahnt demokratischen Wohnungsaufteilung verbindet. Die sollte nach dem Willen des zahlenden Publikums aber außen aus gutem Grund nicht ablesbar sein. In den 1920ern baute Mendelsohn eine Doppelvilla, es gab die das Eigentum besonders geschickt verschleiernde Dreierlösung back-to-back, die Brüder Luckhardt ordneten sogar sechs Reihenhäuser zu einer Mehrfamilienvilla. Anfang der achtziger Jahre erhöhte Oswald Mathias Ungers die Zahl der Teileigner im Berliner Grunewald auf acht.
>Gerhard Steixner: Einfamilienhaus in Langenzersdorf bei Wien|Single-family house in Langenzersdorf near Vienna, Austria
Von|by Matthias Boeckl
Sonnenfalle und Massivabsorber
Im Verhältnis zur gebauten Menge an Einfamilienhäusern sind architektonische, technologische, ökologische oder überhaupt kulturelle Innovationen äußerst selten. Und dennoch bestimmt gerade diese Bauaufgabe nicht nur die Architektenpraxis, sondern die gesamte europäische Lebenswelt wie keine andere. Gerhard Steixner zeigt mit seiner Einfamilienhaus-Serie “standard solar” seit einigen Jahren, dass sich selbst in diesem von Industrie und Self-Made-Bewegung maximal normierten Markt noch innovative Konzepte formulieren lassen, die nicht weit von einer eigenständigen Markenreife entfernt sind. Obwohl sie die Grundbegriffe des individuellen Wohnens in meist suburbanen Gebieten akzeptieren, leisten diese Häuser durch ihre für den Wärmehaushalt klug genutzte Konstruktion einen Beitrag zu einer vertretbaren ökonomischen und ökologischen Bilanz des Einfamilienhauses.
Erich Strolz: Reihenhausanlage Jagdgasse in Innsbruck, Tirol|Jagdgasse Terrace Housing Complex in Innsbruck, Tyrol, Austria
Von|by Otto Kapfinger
Privatheit im Kollektiv
Der Hang, über den die Höttinger Höhenstraße sich hochwindet, ist an dieser Stelle zweifach geneigt: rund 23 Grad sowohl in Nordwest-Südost- als auch in Nordost-Südwest-Richtung. Das Grundstück hat knapp 1.000 m2, wovon der obere Streifen von der Stadtplanung für Zufahrt und Parkierung gedacht war. Es liegt am Rand der dichten Bebauung 700 m Luftlinie vom Stadtkern entfernt, mit freiem Blick übers Inntal auf Berg Isel, Patscherkofel und Serles. An der ebenso attraktiven wie schwierigen Lage hatten sich schon andere Architekten die Zähne ausgebissen. Mit drei gestaffelten Turm-Terrassenhäusern für eine Errichtergemeinschaft widerlegt Erich Strolz aber dann gleich zwei Vorurteile.
Interview
Reurbanisierung: Ersehnte Folge des “vernetzten” Wohnens?|Reurbanization: The Desired Result of Living in a Network?
Matthias Boeckl im Gespräch mit|in conversation with Terence Riley
Im Wohnen manifestiert sich die grundlegende Vorstellung einer Gesellschaft über ihr Zusammenleben. Obwohl Wohnen das elementare Motiv des Bauens schlechthin und in den Grundfunktionen weltweit ähnlich ist, unterscheiden sich die einzelnen Wohnformen von Kultur zu Kultur stark voneinander. Sogar innerhalb einer einzigen Hemisphäre, wie jener des Westens, die Europa und Amerika umfasst, gibt es, je nach Ressourcen an Raum und Technologie, oft geradezu gegensätzliche Lösungen. Unterschiedliche weltanschauliche Orientierungen und kaum vergleichbare Raumvorräte haben zu einer traditionellen Diskrepanz der Wohnvorstellungen in Amerika und Europa geführt.
Fink + Jocher: Wohnbebauung “Steinweg” und “Geirsbergweg” in Regensburg, Deutschland|Steinweg and Geiersbergweg Housing Developments in Regensburg, Germany
Von|by Cornelia Fröschl
Dichte Gartenstadt
Die Münchner Architekten Dietmar Fink und Thomas Jocher gehören in Deutschland zur Prominenz. Kaum ein Gebäude von ihnen bleibt unveröffentlicht, vielleicht weil sie den “Nerv” der Zeit treffen, in ihrem Bemühen, mit ungewöhnlichen Mitteln hohe Qualität im Wohnen zu finden. Ihr Engagement, verschiedene Anforderungen, wirtschaftliche Notwendigkeiten und auch unausgesprochene Wünsche unter ein Dach zu bringen, überschreitet Konventionen, hinterfragt Normen und sucht aus jeder Situation heraus neue Wege.
pool: Einfamilienhaus in Wien-Speising und Penthouse in Wien-Wieden|Single-family house in Vienna-Speising and Penthouse in Vienna-Wieden, Austria
Von|by Gabriele Kaiser
“Living in spe”
Auch wenn es sich – wie behördlich vorgeschrieben – eng an seinen Nachbarn schmiegt: Aus der langen Zeile einer dicht und großteils bieder bebauten Vorstadt-Gartensiedlung in Wien-Speising fällt das Einfamilienhaus von Pool (Christoph Lammerhuber, Axel Linemayr, Florian Wallnöfer, Evelyn Wurster) sichtlich heraus. Farbton des Putzes, Kubatur des Gebäudes mit einem riesigen Sichtloch in der Mitte, Art und Zuschnitt der Alu-Fenster – nichts ließe sich mit den Maßstäben der Umgebung taxieren. Das anfängliche Bestaunen der exzentrischen Kubatur löst sich im Inneren des Hauses dank sofort spürbarer räumlicher Ökonomie in wundersame Selbstverständlichkeit auf, wenn man etwa die Treppenskulptur auf- und abgeht, Überblick und Aussicht genießt und sich der restlosen Ver- und Aufwertung von Wohnraum erfreut.
Essay
Intime Invasionen|Intimate Invasions
Von|by Elke Krasny
TV-Dinner & Public Living
Wohnen: Kulisse und Schauplatz, Bühne und Bühnenbild für die Rituale des Privaten und die Spielregeln der Gesellschaft. Das Private im Öffentlichen, das Öffentliche im Privaten – die traditionellen Grenzen zwischen drinnen und draußen wandeln sich. Technologische und kulturelle Veränderungen bedingen neue Szenarien des Wohnens. Wie verändert der Anschluss der privaten Räume an die öffentliche Welt der Medien Tag für Tag unsere Wohnräume? In welcher Form wandelt sich auch das Bild des Wohnens im Prozess des Planens? In den Neuen Medien gehen das Öffentliche und das Private überraschende Allianzen ein. Etwas ist in Bewegung geraten.
Reinhold Weichlbauer/Albert Josef Ortis: Einfamilienhaus in Frohnleiten, Steiermark|Single-family house in Frohnleiten, Styria, Austria
Von|by Nikolaus Hellmayr
Dialektisches Wohnregal
Die Projekte des Planungsteams Weichlbauer und Ortis reflektieren Bau- und Wahrnehmungstraditionen unter Gesichtspunkten industrieller Vorfertigung im jeweiligen räumlichen und sozialpolitischen Kontext. In diesem Sinne sind sie in der Transformation einfacher Materialien und den darin transportierten Umkehrungen und Zuspitzungen inhaltlicher und funktioneller Parameter von einer überraschenden, kraftvollen und unverbrauchten Metaphorik gekennzeichnet. Traditionen – so zeigt sich – lassen sich nur bestätigen, wenn sie als austauschbar und gleichwertig gehandhabt werden.
Walter Stelzhammer: Atriumhäuser in Wien-Atzgersdorf|Atrium houses in Vienna-Atzgersdorf, Austria
Von|by Matthias Boeckl
Ein Schiff für Zeitgenossen
Die Wendung des Blicks nach innen, auf das eigene, von außen nicht einsehbare Stück Licht, Luft und Sonne, bedeutet für eine Gesellschaft, die mit dem rund ums freistehende Haus gelegten Garten eine Art öffentlich zelebrierter “Privatheit” als Ausdruck der persönlichen Unabhängigkeit kultiviert, eine totale Umkehrung des Gewohnten. Was in den dichten Reihenhaussiedlungen auf der neuen Insel Borneo-Sporenburg im Amsterdamer Hafen als Qualitätsmerkmal gilt, erfordert in der mitteleuropäischen Wohnmentalität noch ein Umlernen: nämlich der Fernblick von der Dachterrasse, während die unteren Ebenen den Bewohnern das vorführen, was sie selbst aus ihren Räumen machen.