architektur.aktuell 06/1998
International
BRT Architekten: Keilstück zwischen Traditionen / A Wedge between Traditions
Von/by Klaus-Dieter Weiß
Lofthaus am Elbberg in Hamburg, Deutschland
Das doppelt rote Hamburg, die Stadt des Backsteins und des Bündnisses von Kaufmannschaft und Arbeiterklasse (Helmut Schmidt), folgt noch heute – politisch und architektonisch viel hartnäckiger als sein austrosozialistisches Pendant – einer Liedzeile des roten Wien: “Kleiner roter Ziegelstein, baust die neue Welt”. Mit dem Bau der Speicherstadt 1890, dem Kontorhausviertel und den Backsteinschneisen des Siedlungsbaus von Fritz Schumacher in den zwanziger Jahren wurde Rot zur Traditionsfarbe des Fortschritts. Sie ist es bis heute geblieben, wobei man über den Fortschritt der Architektur nicht streiten kann: Es gibt ihn als Stadtmerkmal nicht, auch dann nicht, wenn Stadterweiterungen auf der grünen Wiese entstehen.(…)
Max Dudler: Die Schule als städtisches Monument / The School as an Urban Monument
Von/by Claus Käpplinger
Grund- und Gesamtschule in Berlin-Hohenschönhausen, Deutschland
Gut eine halbe Stunde Fahrzeit vom Alexanderplatz entfernt, baute Max Dudler eine Grund- und Gesamtschule, die wenig mit der Schularchitektur der Nachkriegszeit, aber viel mit dem Schulbau der alten Weimarer und neuen Berliner Republik gemein hat. Keine Schule als verspielte Erlebnislandschaft, keine freie Komposition unterschiedlicher Körper, sondern eine Schule als monolithische Einheit, als städtisches Monument, das vorbehaltlos der großen Form huldigt und damit eine unverwechselbare Identität schafft. Sie ist mit ihren 300 Metern Länge und Raum für rund 1.800 Schüler aber nicht nur groß, diese erste Schule des deutsch-schweizerischen Architekten Max Dudler. Sie zeigt auch eine Architektur ungewohnter Würde, die auf die Dimensionen des Standortes eingeht, ihn aber mit neuen Maßstäben konfrontiert und erst dadurch einen “Ort” daraus macht, an dem die Schüler erfahren können, was ein architektonisch gefaßter Raum überhaupt ist. Die rationalistische Nüchternheit dieser Architektur birgt dabei haptische, ja sehr sinnliche Qualitäten. Und das kongeniale Zusammenspiel aus lebendiger Staffelung der Volumina und den unterschiedlichen Aktionsfeldern der Landschaftsarchitekten von SAL schafft – zumindest symbolisch – städtischen Raum an der Peripherie.(…)
Coussée & Goris: Postindustrielle Qualitäten / Post-industrial Qualities
Von/by Marc Dubois
Industriebau in Roeselare, Belgien
Die Zugehörigkeit zu ein- und derselben Typologie charakterisiert zahlreiche Industriebauten des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts in Flandern. Eine beträchtliche Zahl dieser Bauten wurde abgerissen; ein Schicksal, das übrigens auch die ehemalige Jutespinnerei von Roeselare ereilen sollte. Allerdings beschloß der neue Eigentümer 1996, das ausgediente Gebäude wieder mit Leben zu erfüllen. Die mit dem Umbau beauftragten Architekten Ralf Coussée und Klaas Goris verwandelten den Industriebau in ein multifunktionales Veranstaltungszentrum, das sich innerhalb kürzester Zeit zu einem Schauplatz unterschiedlichster Events und zum beliebten Treffpunkt für Jung und Alt etablierte. Die Strategie, derer sich die Architekten bei ihrer Intervention bedienten, liegt dabei klar auf der Hand: Die alte Konstruktion wurde respektiert, ebenso wesentliche architektonische Eigenheiten. Lediglich, was die bauliche Struktur verunklärt hat, wurde entfernt. Und ein paar ablesbare Eingriffe, die aber Großzügigkeit, fließende Räume und eine wie selbstverständlich funktionierende, flexible Benutzbarkeit zur Folge hatten, wurden in der Substanz realisiert. Coussée & Goris ließen sich bei der Umsetzung ihrer Intervention dabei durchaus von den Qualitäten – Material- und Farbeigenschaften, sogar architektektonischen Details -, die sie im Bestand vorfanden, inspirieren. Man könnte ihren architektonischen Leitgedanken beim Umgang mit dem Bestand auf die Kurzformel bringen: Respektierung durch Akzentuierung.(…)
Essay
Der Stand der Dinge / The State of Things
Von/by Franz E. Kneissl
Betrachtungen zum Beruf des Architekten durch den gleichnamigen Film von Wim Wenders
Die Gedanken zum Film von Wim Wenders sind Assoziationen, wie sie auch bei der Lektüre eines guten Buches durch den Kopf gehen. Manche Assoziationskurven überlappen sich und könnten teilweise widersprüchlich sein. Es ist eine Frage der Betrachtung. Was wahr ist, kann gleichzeitig unwahr sein.
Gordon, der Produzent, ist auf der Flucht vor seinen Finanziers untergetaucht und läßt sich von seinem Chauffeur in dessen Wohnmobil ziellos umherfahren. Friedrich, der Regisseur des wegen Geldmangels nicht zu Ende gedrehten Films, ist auf der Suche nach Gordon von Portugal nach Los Angeles gereist und trifft diesen nach längerer, vergeblicher Suche zufällig auf dem Parkplatz eines Drive In-Lokals. Während der Fahrt durch das nächtliche Los Angeles kommt es zur Diskussion über den Abbruch des Films.
Gordon bezichtigt sich, ein Idiot gewesen zu sein, ihm, Friedrich, nachgegeben zu haben, den Film in Schwarzweiß zu drehen. Seine Finanziers hätten sich bei Durchsicht eines Musters verarscht gefühlt. Heute hätte ein Film mit einer Geschichte unterlegt und in Farbe gedreht zu sein. Wie konnte es zu diesem Mißverständnis kommen? War zu wenig Zeit, um darüber zu sprechen? War man nachlässig im Denken und Definieren des geplanten Projektes und im Abwägen der Konsequenzen?(…)
Österreich
Riegler Riewe: Minimalismus made in Graz / Minimalism Made in Graz
Von/by Margit Ulama
Bundesinstitut für Sozialpädagogik in Baden bei Wien, Niederösterreich, und Informations- und Elektrotechnische Institute der Technischen Universität Graz-Inffeldgründe (1.Bauteil), Steiermark
Seit ihrer Bürogründung im Jahr 1987 entwickelten Riegler Riewe auf konsequente Weise eine architektonische Haltung, die sich von der örtlichen Tradition der Grazer Schule distanziert und eine Nähe zur deutschschweizerischen Entwicklung erkennen läßt. Ausgehend vom abstrakten Kubus variieren die jüngsten Realisierungen spezifische Themen. Den Kontext bildet in beiden Fällen eine aufgelöste städtische Struktur ohne klare Definition von Außenräumen. Die drei Baukörper des Bundesinstituts für Sozialpädagogik greifen diesen Umstand in ihrer freien Positionierung als städtebauliche Idee auch auf und definieren dabei einen Vorplatz und den Weg zum Eingang. Bei den Informations- und Elektrotechnischen Instituten der TU Graz füllen die geschichteten, langgestreckten Volumina im Endausbau dagegen ein rechteckiges Feld, das sich – genau wie die Baukörper selbst – autonom gibt. Es entsteht eine texturhafte Komposition neuer Art, mit fließenden, unregelmäßigen Außenräumen. Sowohl in Baden als auch in Graz irritiert die Fassadengestaltung dabei die Wahrnehmung, da die Fenster in jedem Geschoß gesplittet sind.(…)
the unit: Silvercloud oder: angewandter Minimalismus / Silvercloud or: Applied Minimalism
Von/by Wolfgang Bürgler/Georg Petrovic
Umbau einer Rechtsanwaltskanzlei in Wien-Alsergrund
die reine leere
“the more you know, the less you need” – wenige aussagen sind direkter und neutraler in ihrem anspruch, und gerade diese monochromie ist prädestiniert für eine sprachliche wirkung. die leere, ein inbegriff von luxus, schenkt uns ruhe inmitten des chaos’ der stadt. mit einer aussage (architektur), die den raum und seinen inhalt auf ein nacktes minimum reduziert, soll sie uns klar machen, daß nebensächlichkeiten uns unterdrücken. in der kunstwelt ist dieser minimalismus inzwischen weitgehend anerkannt und überaus erfolgreich.
architektur ist eine individuelle standort- und projektabhängige aussage und somit ein sprachlicher akt. sprache entfaltet sich nur in der zeit, und durch oberflächenabstraktion wird architektur leichter, kommt der sprache näher, sprache ist die funktion abstrakter prinzipien und weniger die von formen. nicht das auftrumpfen künstlicher individualität, sondern ihr aufgehen in der anonymität, und dies in einer selbstverständlichen arroganz.
die tendenz von minimierungsstrategien, einfache räume werden unspektakulär in ein dachgeschoß gelegt – sachlich schlicht, keine ästhetische show sollte einen einfachen auftritt stören. sparsamkeit, verzicht und vor allem intelligente auswahl der oberflächenprodukte führen zu einem understatement-gefühl.(…)
Riepl Riepl Architekten: Von den Perspektiven des Möglichen / Looking at the Feasible
Von/by Friedrich Achleitner
Um- und Ausbau Offenes Kulturhaus Linz, Oberösterreich
Der ehemalige Ursulinenbau war eine extreme Gangschule, aber nicht ohne architektonische Qualität. Das Bewahren der Autonomie dieser vorgefundenen Substanz wurde daher zu einem vorrangigen Anliegen des Architekten. Er schuf einen neuen Eingang, der die Fassade aber nur geringfügig irritiert und sorgte im Inneren durch das gezielte Aufbrechen des hermetischen Bestands für neue, dem Ausstellungs- und Kulturhaus adäquate Raumqualitäten. Riepl: “Insgesamt ein loser Stapel mit kommunikativen Zwischenräumen.” Der Bau wurde aber nicht so verändert, daß man ihn nicht wiedererkennt, alle Interventionen geben sich als solche zuerkennen. Durch das lichtdurchflutete Foyer geht es zunächst zum Empfangspult, eine Glasschiebewand trennt hier Foyer und Foyer-Galerie. Rechts geht es zu fünf Künstler-Apartments für “Artists in residence”, links zu Präsentationsräumen für die Arbeiten der Künstler, im ersten Obergeschoß sind die Organisation, Werkstätten und kleinere Präsentationsräume untergebracht. Der räumliche Höhepunkt des Hauses, der große Saal mit 212 m2 Grundfläche, sieben Metern Raumhöhe und Fensterfronten an beiden Seiten liegt im zweiten Obergeschoß, räumlich benachbart wurden hier auch verschiedene neue technische Arbeitsplätze (Video- und Tonstudio, Schnittplatz etc.) und auf dem Dach das sogenannte Mediendeck angesiedelt.(…)