Die Handzeichnung im digitalen Zeitalter
Was ist Zeichnung im digitalen Zeitalter? Diese Frage stellte sich anlässlich seines 70-jährigen Bestehens der Berliner Werkbund. Und spürte möglichen Antworten in einer bemerkenswerten, inspirierenden Ausstellung nach.
Mit seiner klassischen Tradition und auch mit der berühmten Sammlung Tchoban hat Berlin eine fruchtbare Nahebeziehung zum Medium der Architekturzeichnung. Gibt es die Handzeichnung überhaupt noch im digitalen Zeitalter? Und wenn ja, wie kann sie mit anderen Medien, etwa mit dreidimensionalen Modellen oder mit virtuellen Tools interagieren? Der Deutsche Werkbund präsentiert dazu einige praktische Antworten: Anlässlich seines 70-jährigen Bestehens zeigt der DWB Berlin eine Ausstellung mit Skizzenbüchern seiner Mitglieder, darunter so prominenter Architekten und Designer wie Christoph Ingenhoven und Werner Aisslinger. Aber auch die Avantgarde ist vertreten mit digitalen Skizzenbüchern von Ludwig Heimbach, dreidimensionalen Modellskizzen von Kay Fingerle oder Kohleskizzen von Bernd Bess. „Wir suchen nicht nach der repräsentativen Abbildung, sondern nach dem Repräsentativen im persönlichen kreativen Prozess“ erläutert die Kuratorin der Ausstellung Astrid Bornheim. „Es geht um die Entdeckung des Ephemeren, der Linie zwischen Ungewissheit und Gewissheit, um das Verfestigen des Gedankens beim Skizzieren, um das Spazierengehen mit dem Stift beim Denken.“
In 16 Vitrinen und auf fünf Monitoren sind 42 Skizzenbücher, Notizhefte, Kalender und digitale Dokumente zu sehen, die Einblick in intime Momente des kreativen Schaffensprozesses aller im Werkbund vertretenen Disziplinen geben. Die Methode des Skizzierens und das Sammeln von Zeichnungen, Collagen, Notaten in Büchern – seien sie analog oder digitale Archive – scheint Künstler, Grafiker, Designer, Architekten, Stadtplaner, Handwerker und Hersteller miteinander zu verbinden. Neben sehenswerten Exponaten haben die Ausstellungsmacher eine inspirierende Sammlung an Aussagen zur Bedeutung des Skizzenbuchs von den Akteuren zusammengetragen. So schwärmt Werkbund-Vorstand Tim Heide: „Die Linie in meinem Heft, der Stift, die Hand, der Arm – alles scheint eine Verlängerung des Denkens zu sein.“ Und Sergei Tchoban bekennt: „Ein Skizzenbuch ist ein Spiegelbild meiner Gedanken über Architektur und Stadt. Alle Fragen, Ideen und Interessen finden hier mittels der Skizzen ihren Platz, oft diskutieren sie miteinander oder verweben sich zu neuen Konzepten.“ Konzipiert und umgesetzt wurde die Ausstellung mit dem Masterstudiengang AMM Architektur Media Management der Hochschule Bochum unter Leitung von Jan R. Krause.
Die Mediengeschichte lehrt, dass Medien im Grunde nie gänzlich "aussterben", sondern sich spezialisieren und fortan nebeneinander um verschiedene Aufgaben kümmern. Trotz aller technologischen Revolutionen schreiben wir noch heute manchmal mit Kreide auf Tafeln, lesen gedruckte und handgeschriebene Bücher oder zeichnen einfach auf ein Blatt Papier. Ludwig Heimbach, Architekt in Köln und Berlin mit Ausbildungshintergrund in Wien, zeigt in seinem "cross-medialen Skizzenbuch" namens "Chasing Rainbows", dass die Überlagerung von Handzeichnung, Fotografie und Modellbau zu subtilen und spannenden Ergebnissen führen kann:
chasing rainbows _ eine skizze auf jägerlatein
rainbow: eine erste, stimmungsgeladene vorstellung von möglichkeiten und lösungen – ein urmotiv
revierkarte: präzisieren der randbedingungen, so daß in diesen die größte freiheit herrscht.
strategie: so fragmentarisch bleiben, daß eine leseoffenheit möglich bleibt. mit sich selbst in dialog treten -> visualisierung als rückkopplungsverfahren: suchende linie I 残心 zanshin: erhöhte wachsamkeit und konzentration nach erfolgtem angriff I suchende linie …
waffen: bevorzugt und in dieser reihenfolge: 1_ notebook I CAD 2_weisse kreide I tafel 3_ cutter, scotch tape, styrocut I pappe, papier, sandwichkarton, styrodur 4_fortsetzung der pirsch mit 1 usf.
finte: einen konzentrierten zustand scheinbarer unbeteiligtheit herstellen.
halali mit Loos: „die aufgabe des architekten ist es, die stimmung zu präzisieren“
das erle(di)gte wilde: so lebendig, wie möglich – verwertung möglichst aller teile (auch an anderer stelle)
Die Ausstellung zeigt Skizzenbücher von Werner Aisslinger, Leonie Baumann, Bess Bernd, Roman Bittner, Harald Bodenschatz, Clemens Bonnen, Astrid Bornheim, Stefanie Bürkle, Albrecht Ecke, Barbara Ehring, Eckhard Feddersen, Kay Fingerle, Stefan Fittkau, Christoph Fleckenstein, Kompan/Torsten Frank/Karin Mashalova, FSB/Hartmut Weise, Folke Hanfeld, Tim Heide, Ludwig Heimbach, Uli Hellweg, Andreas Hild, Christoph Ingenhoven, Christine Jackob-Marks, Dagmar Jäger, Brigitte Kochta, Jan R. Krause, Rolf Lieberknecht, Natascha Meuser, Philipp Meuser, Walter Nägeli, Tobias Nöfer, Andreas Oevermann, Nicolaus Ott, Erik-Jan Ouwerkerk, Edgar Reinke, Helga Schmidt-Thomsen, Erik Spiekermann, Sergei Tchoban, Carla Wilkins, Kornelius Wilkens und Gerwin Zohlen.-- Organisation: 17. Masterstudiengang AMM Architektur Media Management, Hochschule Bochum, Prof. Jan R. Krause mit Burcin Bas, Ines Burghardt, Marius Diller, Catharina Hestermann, Roman Koch, Leona Kühne-Hellmessen, Maura Lücking, Jessica Meier, Lucas Mroz, Natascha Nadjaf-Khani, Maureen Neels, Christina Runkel, Juliane Schmidt.
Förderer: Equitone, Indulight, Rathscheck, RZB Lightning, Schmincke, Werkstatt Edgar Reinke
10.5.-20.6.2019, Deutscher Werkbund Berlin, Goethestraße 13, 10623 Berlin