Pritzer-Preis-Trägerin Yvonne Farrell als Festrednerin beim Festival TURN ON

Licht in der Architektur von Grafton Architects

Yvonne Farrell von Grafton Architects Photo: Sten Murray

Als Festvortragende lud Margit Ulama, die Erfinderin, Leiterin, Organisatorin, Kuratorin und Moderatorin des dreitägigen Festivals „TURN ON“ im stilvollen Sendesaal des Wiener Radio-Kulturhauses heuer Yvonne Farrell ein. Sie führt mit Shelley McNamara das Büro Grafton Architects in Dublin. 2018 hatten beide die Architekturbiennale in Venedig kuratiert, heuer bekamen sie den Pritzer Preis. Unter dem Titel „Physics of Culture“ hielt Farrell einen fulminanten Vortrag, der die Begeisterung für ihre Profession sehr ansteckend zum Ausdruck brachte.


Der Pritzer-Preis ist die weltweit renommierteste Auszeichnung für Architektur. 1979 erstmals an Philip Johnson vergeben, ging erst drei Mal an eine Frau: Zaha Hadid (2004), Kazuyo Sejima von SANAA(2010), die ihn mit Büropartner Ryue Nishizawa teilte und Carme Pigem Barceló, Rafael Aranda Quiles und Ramón Vilalta Pujol von RCR Arquitectes (2017). Grafton ist das erste von zwei Frauen geführte Büro, das diesen Preis erhalten hat.

Die Jury betonte in ihrer Begründung besonders ihre kollegiale Arbeitsweise, ihren verantwortungsvollen Umgang mit der Umwelt, ihr kosmpolitisches Denken und ihre Fähigkeit, die Einzigartigkeit des Ortes zu bewahren, an dem sie bauen. Yvonne Farrell hielt einen fulminanten Vortrag, der diese Qualitäten bestätigte. Weil sie persönlich nicht anwesend sein konnte, wurde sie life auf die große Leinwand im Funkhaus zugeschalten. Yvonne Farrell begrüßte alle mit authentischer Herzlichkeit und wirkte überaus präsent, lebendig und mitreißend.“Good morning, everybody! Sorry that I cannot be there in person, I’m with you in Dublin.“

Festivalleiterin Margit Ulama kündigt den Festvortrag an Photo: Ulrich Dertschei

Festivalleiterin Margit Ulama kündigt den Festvortrag an Photo: Ulrich Dertschei

Japanische Vase, nach der Philosophie des "Wabi Sabi" repariert Photo: Jared Zimmermann

Japanische Vase, nach der Philosophie des "Wabi Sabi" repariert Photo: Jared Zimmermann

Ihr Vortag begann mit dem Bild einer japanischen Keramikschale, die bereits zerbrochen war. Ihre Risse waren mit einer goldlegierten Masse gefüllt und so die Scherben zu einem neuen Ganzen zusammengekittet worden. Diese Methode heißt Kintsugi-Technik: Sie verleugnet einen Bruch nicht, sondern adelt ihn zu etwas Schönem. „Diese Schüssel hält und sammelt eine Flüssigkeit. Sie ist geflickt – doch die japanische Kunst des Kintsugi macht ihre Scherben zu einem Teil ihrer Geschichte. Das ist eine Metapher für unsere Art, Architektur zu machen. Wir wollen den Schaden – wie beispielsweise den Klimawandel – reparieren. Unsere Profession ist sehr wesentlich. Wir gestalten die physische Welt und sind verantwortlich für den Planeten.“ Farrell und McNamara betrachten ihre Umwelt sehr genau. In einem Raum des Dogenpalastes in Venedig, durch dessen Fenster natürliches Tageslicht auf den Boden fällt, erkennen sie drei Arten des Lichts: die Strahlen der Sonne, ihre Reflexion am Boden und das Himmelslicht. Generell spielt das Licht eine tragende Rolle in ihren Bauten. „Architektur ist die Wissenschaft des Raumes. Es ist eine Interaktion von Träumen, Diagrammen und Denkweisen. Unsere Aufgabe ist es, Bedürfnisse in Raum zu übersetzen.“ Farrell und McNamara glauben fest an die Ausdrucksmöglichkeiten von Architektur. „Wir hören, folgen unserer Vorstellung, fangen das Licht und die Wärme der Sonne ein und schützen vor Kälte.“ Für Grafton zeigt der Schnitt die emotionale Komponente eines Entwurfs: Er macht sichtbar, wo das Licht einfällt und wie sich der Raum entwickelt.

Universita Luigi Bocconi in Mailand von Grafton Architects Photo Federico Brunetti

Universita Luigi Bocconi in Mailand von Grafton Architects Photo Federico Brunetti

Farrell zeigte auch das Photo einer Bank an einer Mauer des Hauses Can Lis, das Jørn Utzon für seine Familie in Mallorca geplant und 1972 bezogen hatte. Die Bank ist mit weißen und schwarzen, dreieckigen Fliesen verkleidet, ihre Rückenlehne besteht aus zwei Prismen mit dreieckigem Querschnitt – eines in der Höhe des Rückens, eines im Bereich des Kopfes. „Utzon war ein Meister. Er verwandelt eine Fliese in Seide. Der Architekt des Sydney Opera Hauses kümmert sich um Sie als Individuum und entwirft eine Bank, die dem unteren Rücken und dem Kopf Entspannung bietet“, so Farrell. Grafton Architects entwickeln ihre Bauten aus viel Wissen um die Geschichte, das Studium der Arbeit großer KollegInnen, der Erfahrung von Architektur in aller Welt, genauer Beobachtung der Eigenheiten des spezifischen Bauplatzes und viel Recherche. Der sehr rau wirkende, skulpturale Baukörper ihrer Universita Luigi Bocconi in Mailand verdankt seine Form der Tatsache, dass Grafton das Licht zwischen den einzelnen, schmal hochragenden Bauteilen möglichst tief nach innen lenken wollten. 8 Meter hohe Glasscheiben beim Eingang sorgen dafür, dass die StadtbewohnerInnen am Leben der Universität teilhaben können. Auch die 1000 Studierenden im Hörsaal sollten Tageslicht genießen dürfen: daher ist der Hörsaal angehoben. „Die fießenden Möglichkeiten des Tageslichts schaffen Räume, in denen man sich treffen und austauschen kann“, ist Yvonne Farrell überzeugt.   

University Campus UTEC in Lima, Peru Photo: Iwan Baan

University Campus UTEC in Lima, Peru Photo: Iwan Baan

Das University Campus UTEC in Lima in Peru schöpft seine Eigenart aus einer genauen Wahrnehmung und Analyse der einmaligen Charakteristik dieser Stadt. „Lima hat eine ständige Temperatur von 20 °C, liegt aber am Pazifik in 160 Meter Seehöhe. Weil die Feuchtigkeit aufsteigt, ist ständig eine Nebeldecke über der Stadt. Doch zu jeder Tageszeit reflektiert sie das Licht auf eine andere Weise.“ Grafton waren fasziniert von diesem Phänomen und von den Klippen, die die Grenze zwischen Meer und Stadt bilden. Sie legten die 350 Meter lange Universität auf dem leicht gebogenen Grundstück wie eine steile, von Menschen geschaffene Klippe an. Im Norden des Grundstücks verläuft eine stark befahrene Straße: Hier legten Grafton die speziellen, teils öffentlich nutzbaren Räume der Universität an – das Auditorium, die Konferenzräume, Theater und Kino befinden sich unter der „Klippe“, die als Landmark wirkt und zur kulturellen Interaktion einlädt.  Alle zwanzig Meter gibt es ein Stiegenhaus, im siebten Stock gibt es Dachgärten, die Erschließung ist so angelegt, dass sich gerahmte Blicke in die Stadt ergeben und ProfessorInnen, AssistentInnen und Studierende einander begegnen. Die Bibliothek oben bietet einen fulminanten Ausblick. „Wenn man durch dieses Campus geht, fühlt man sich, als ginge man durch eine mittelalterliche Stadt mit ihren Hauptstraßen und kleinen Gässchen,“ so Farrell. Grafton Architects beweisen, dass Gebautes das soziale Verhalten beeinflusst, prägt und verändern kann. Dass Architektur aber auch in ihr kulturelles und landschaftliches Umfeld passen muss und ein Gefäß ist für ein feineres Bewusstsein um den Raum. Sie haben sich den Pritzker-Preis verdient.

www.graftonarchitects.ie

www.turn-on.at

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