Brillux Architekturforum Rotterdam Rooftop Walk © Ossip

Nachhaltigkeit, die zum Nachahmen anregt

Traun, 11.01.2023: Nach Kopenhagen und Basel war es dieses Mal das spannende Rotterdam, das die Besucher/-innen der Veranstaltungsreihe „Digitales Architekturforum“ von Brillux mit innovativen Nachhaltigkeitsstrategien beeindruckte. Anneke Bokern von guiding-architects, Sander Apperlo von Powerhouse Company und Jan Knikker von MVRDV inspirierten mit ganz un-terschiedlichen Projekten und führten über digitale Rundgänge durch die zweitgrößte Stadt der Niederlande, die ganz nebenbei als Architekturhaupt-stadt des Landes gilt. Die anschließende offene Diskussionsrunde bot darüber hinaus allen Referent/-innen und Zuschauer/-innen Raum für Überlegungen. Gemeinsam wurde diskutiert, welche Ansätze und Strukturen sich vielleicht künftig auch auf den deutschen Bausektor übertragen lassen.

„Manhattan an der Maas" – mit diesem Spitznamen und einem eindrucksvollen Überblick über die Entwicklung des größten Hafens Europas läutete Anneke Bokern als erste Referentin die Veranstaltung rund um innovative Nachhaltigkeitsstrategien in Rotterdam ein. Eine Stadt, die während des zweiten Weltkriegs nahezu vollständig zerstört und im Anschluss mit einem großen Anteil an Gebäuden mit Flachdächern und versiegelten Flächen Automobil-orientiert neu errichtet wurde.

Treibende Kraft: Klimawandel

Auch wenn die am nördlichen Rhein-Delta gelegene Stadt durch ein Viertel der Landesfläche unterhalb des Meeresspiegels mit dem Thema Wasser bestens vertraut ist, sieht sich die „Stadt hinter Deichen“, wie viele andere Städte auch, ganz extrem mit den Folgen des Klimawandels konfrontiert. Besonders die Niederschlagsmengen und die Häufigkeit von Starkregen nehmen dabei kontinuierlich zu. Hier gilt es mit nachhaltigen Konzepten und cleveren Wassermanagementsystemen anpassbare Lösungen zu finden. Ein typischer Ansatz beinhaltet hier die sogenannten „meervoudig ruimtegebruik“, also die mehrfachen Raumnutzungen, wie Anneke Bokern mit Beispielen wie einem Sportplatz, der auch als Wasserrückhaltebecken fungiert, einem Park auf einem ehemaligen Eisenbahnviadukt und einem Kombinationsbau aus Einkaufszentrum, Parkgarage, Deich und Dachpark zeigt. „Die gesamte Stadt dient als Petrischale und das ganze Land ist eigentlich ein Ingenieursprojekt“, so die freie Architekturjournalistin, die mit ihrer Firma architour seit mehreren Jahren vor Ort zahlreiche Führungen organisiert und moderiert.

Gemeinsam schwimmen

Als Hauptstadt hat Amsterdam es seiner Schwesterstadt bereits vorgemacht: Neue Wohnkonzepte auf dem Wasser gelangen immer häufiger zur Umsetzung, wenngleich die Niederlande von sehr vielen Brücken und einem extremen Tidenhub geprägt werden. Dies hat großen Einfluss sowohl auf die Konstruktion als auch auf die Montage der sogenannten „Schwimmenden Gebäude“ vor Ort. Architekt Sander Apperlo hat mit der Powerhouse Company in den vergangenen Jahren bereits viele kreative Projekte umgesetzt. Der Einstieg seines Vortrags zeigt bereits die Vielfalt und die Experimentierfreude, die sich umsetzen lässt, wenn Städte und Planer/-innen an einem Strang ziehen. Das 2021 fertiggestellte „Floating Office“ ist als gebauter Prototyp jedoch selbst für Rotterdamer Verhältnisse ein Novum. Als dreistöckiger Bürobau „schwimmt“ er mit 3.500 Quadratmetern in Holzskelettbauweise im Rijnhaven und beherbergt die Zentrale des „Global Center on Adaptation“, die in Sachen Maßnahmen zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels berät. Das Plusenergiehaus punktet neben seinen modularen Abmessungen, Standards aus dem Bootsbau, einem demontierbaren Raster, einem integrierten Wärmetauscher, einer Dachbegrünung und Solarzellen vor allen Dingen mit einer sehr ästhetischen Eleganz. Nach nur elf Monaten Bauzeit ist es das größte schwimmende Büro in den Niederlanden, das zudem die Auszeichnung „BREEAM Outstanding“ erhielt.

Über den Dächern

Als dritter und letzter Referent stellte Jan Knikker als Partner und Strategiedirektor von MVRDV ein farbenfrohes Spektrum an Konzepten und Umsetzungen vor, die mit städtischen Verdichtungen und nachhaltigen Umsetzungen arbeiten: von temporären Bauten, deren Material wiederverwendet wird, über Konzepte für vertikale Dörfer, die Städte dreidimensional denken, bis hin zu Software-Lösungen wie „Roof-Scape“ und „Spacefinder“, die die Gestaltung einer zweiten Lage auf Gebäuden als Verdichtung unkomplizierter machen und zukünftig als Open Source frei zugänglich sein sollen.

„Damit bedienen wir die Verordnung, die Rotterdam bereits aufgestellt hat und die besagt, dass alle Dächer zukünftig eine Nutzung vorweisen müssen – entweder für Menschen, für die Energieproduktion, als Wasserspeicher oder als Grünfläche“, so Knikker.

Das verspiegelte neue Schaudepot des Museums Boijmans Van Beuningen, auf dessen Dach sich ein Café in einem Birkenwald befindet, hierbei als Highlight herauszustellen, täte den übrigen Projekten des Rotterdamer Architekturbüros, das sich bereits seit einiger Zeit mit der Stapelung verschiedener Nutzungen beschäftigt, unrecht. Wenngleich diese Architektur ganz besonders beeindruckend ist, so ist doch der Ansatz, die 18,5 Quadratkilometer Flachdachfläche von Rotterdam aufwerten und sinnvoll bespielen zu wollen, eine beeindruckende und vor allen Dingen ehrgeizige und nachahmungswürdige Intention.

Brillux Architekturforum Rotterdam Rooftop Walk © Ossip

Brillux Architekturforum Rotterdam Rooftop Walk © Ossip

Kurzfristige Ziele überzeugen auch langfristig

Die Veranstaltung hat gezeigt: Die Niederländer setzen nachhaltige Statements. Statements, die auch in Deutschland den Bausektor beeinflussen könnten. Dafür bedarf es jedoch einer großen Offenheit auf allen Seiten. Gerade die anschließende Diskussionsrunde zwischen Anneke Bokern, Sander Apperlo, Jan Knikker und Archi-tektin Claudia Neeser von guiding architects munich, die stets das Digitale Architekturforum moderiert – und natürlich allen Teilnehmenden – machte noch einmal deutlich, dass in den Niederlanden häufiger Neues ausprobiert wird. „Die Behörden, die Stadt und die Planer/-innen machen das gemeinsam viel lockerer und effizienter. Das würde ich mir auch für Deutschland wünschen“, so Sander Apperlo. „Die Niederländer sind auch risikofreudiger und denken und planen dabei kurzfristiger. Nach dem Motto: ‚Wir werden schon sehen, wo das Schiff strandet'. Das macht es einfacher“, sagt auch Anneke Bokern. Die Rückfragen der Teilnehmenden zeigen es ebenfalls: In Deutschland tut sich etwas und viele wollen neu und weiterdenken. Der vielseitige Austausch über 180 Minuten hat hier definitiv einen inspirierenden Beitrag geleistet. Freuen können sich alle Fans der Veranstaltungsreihe bereits jetzt auf die nächste digitale Reise, die Brillux neben weiteren spannenden Veranstaltungen aktuell für das Jahr 2023 plant. Ende 2023 geht es dann auf die Reise nach Oslo.

www.brillux.at

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