Ein rares Meisterwerk der High-Tech-Architektur in Gefahr

Demo-Lecture vor und in der Schule von Helmut Richter am Kinkplatz

Die Helmut Richter Schule kurz nach der Eröffnung 1995 Photo: Manfred Seidl

Sie war ein Leuchtturmprojekt des „Schulbauprogramms 2000“: Die Doppelhauptschule von Helmut Richter am Kinkplatz in Wien, ein avantgardistisches High-Tech-Gebäude aus Glas und Stahl. Seit zwei Jahren steht es leer. Die Initiative „Bauten in Not“ lädt am 18. September, dem „Tag des schutzlosen Denkmals“ um 18:15 zu einer Freiluftklasse in und vor diesem einstigen Markstein, der bei dieser Gelegenheit auch zu besichtigen ist.


 

„Ich wollte eine Schule machen, bei der nicht gleich das Unangenehme, das bei Schulen immer so auffällt, sich bemerkbar macht“, so Architekt Helmut Richter über seine Doppelhauptschule am Kinkplatz, deren geneigte Glasdächer über Aula und Turnsaal an die Flügel einer Libelle erinnern sollten. Die Doppelhauptschule ist funktional in zwei unterschiedliche Teile gegliedert, an deren Nahtstelle in der Mitte von Westen nach Osten wie ein Rückgrat eine lange, mehrgeschossige Erschließungsachse verläuft. Im Norden sind hier drei von Osten und Westen belichtete Trakte mit wunderbar hellen, großzügigen Klassen und Sonderunterrichtsräumen angelagert. Diese Klassen bestechen bis heute mit ausgewogenen Proportionen, dem Tageslicht, das durch Oberlichtstreifen vom Gang indirekt und durch große Fensterbänder direkt von beiden Seiten einfällt, dem frechen Farbkonzept und den diagonalen Stahlstreben an einer Stirnseite, die den Schülern und Schülerinnen die Statik und deren Kräfteverlauf förmlich vor Augen führen. Es war ein Gebäude, das exemplarisch auch den Raum neben Mitschülern und Lehrern zum „dritten“ Lehrer machen sollte. Selbst normalerweise banale Details wurden hier besonders behandelt und verdienen besonderes Augenmerk: so wurden die Wände so geführt, dass sie um die Waschbecken eigene Buchten bilden, neben denen die Türen angeordnet sind.

Helmut Richter Schule, Eingang bei Nacht, 1995 Photo: Mischa Erben

Helmut Richter Schule, Eingang bei Nacht, 1995  Photo: Mischa Erben

Im Süden hingegen dehnten sich unter riesigen, schräg geneigten Glasflächen ein großer Doppelturnsaal und die Aula aus. Man betrat die Schule im Osten über einen Steg und wurde von einer spektakulär transparenten, mehrgeschossigen Aula freundlich in Empfang genommen. Der Boden war türkis mit farbigen Einsprengseln, die großen Glasflächen, die sich über Aula und Turnsaal erstrecken, sind von einer elaborierten, ehrgeizig filigranen Stahlkonstruktion getragen und nach Süden orientiert: Sie hätten mit Photovoltaik bestückt auch der Energiegewinnung dienen sollen. Die Photovoltaik war außerdem als Sonnenschutz gedacht, wurde aber nie angebracht. Auch die geplante Nachtlüftung, die zur Abkühlung der Schule hätte beitragen sollen, führte man nie durch. Rasch klagten Lehrende und Schüler über Hitze und Lärm, die vom Turnsaal über die Haupterschließungsachse ungefiltert in die Klassen drang. Hitze im Sommer, Kälte im Winter und weitere Mängel führten dazu, dass für Schüler, Schülerinnen, Lehrende und das übrige Personal 2014 eine Containerschule als Ersatzstandort errichtet wurde. Seit 2017 steht das einstige Flaggschiff des Schulbauprogramms 2000, mit dem der damalige Stadtrat Hannes Swoboda einen neuen, frischen Wind ins Wiener Schulwesen bringen wollte, nun leer.

Helmut Richter Schule, Turnsaal 1995 Photo: Mischa Erben

Helmut Richter Schule, Turnsaal 1995  Photo: Mischa Erben

„Ohne einen Glaspalast ist das Leben eine Last“: unter diesem Titel zelebrierte architektur.aktuell in seiner November/Dezember Ausgabe 1994 die filigran-technoide Ästhetik der damals brandneuen Schule von Helmut Richter mit tollen Photografien von Manfred Seidl auf acht Seiten. Auch das italienische Kultmagazin ,domus‘ und die deutsche ,Bauwelt‘ widmeten ihr ausführliche Beiträge, in Friedrich Achleitners Wien-Band ist sie als herausragendes Beispiel zeitgenössischer Schulbauarchitektur natürlich vertreten. Zum 50-Jahr-Jubiläum von architektur.aktuell beauftragten wir unsere Autorin Franziska Leeb mit einem Artikel zum Status quo: Sie fand die Schule abgesiedelt vor. „Helmut Richters Schule war der radikalste und mutigste Beitrag zum Schulbauprogramm 2000. Wir berichteten in einer unserer ersten Farbreportagen über das revolutionäre Haus. Weit ihrer Zeit voraus, fasziniert sie als Raum und Konstruktion bis heute. Seit jeher umstritten und seit diesem Sommer leerstehend, ist ihr künftiges Schicksal indes ungewiss“, schrieb Leeb.

architektur.aktuell, Ausgabe November/Dezember 1994 Photo: Archiv

architektur.aktuell, Ausgabe November/Dezember 1994  Photo: Archiv

„Dass es sich bei diesem Gebäude um ein Meisterwerk handelt, steht außer Zweifel und es sollte alles getan werden, um dieses Gebäude in seiner Bedeutung zu erhalten“, meinte auch Wolf Prix, das Mastermind von COOP HIMMELB(L)AU. Die Stadt Wien hat drei Gutachten zur Sanierung der Schule beauftragt. Baumeister Ribarich erstellte das jüngste, das die voraussichtlichen Kosten mit über 55 Mio. Euro beziffert. „Die nun vorliegenden Ergebnisse zeigen, dass ein schulischer Alltag erst wieder nach einer Generalsanierung des Gebäudes möglich wäre, was Kosten von über 55 Mio. Euro verursachen würde“, betonte Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorsky heuer im Juli. „Als für die Wiener Schulen zuständiger Stadtrat kann ich eine derart kostenintensive Sanierung trotz der baukulturellen Bedeutung des Gebäudes nicht verantworten.“

Die Initiative „Bauten in Not“ [BiN] ortet Gefahr im Verzug. Sie zweifelt die Angemessenheit der geplanten Sanierungsmaßnahmen im zitierten Ribarich-Gutachten an – und befürchtet, dass das Gebäude durch ein unsensibles Sanierungskonzept Schaden nehmen und in seiner Eigenart zerstört werden könnte. Sie hält – in Kenntnis der anderen, gleichfalls von der Stadt Wien beauftragten Gutachten des werkraum wien (2015) und KPPK (2016) – eine kostengünstigere und dabei respektvollere Erhaltung der Schule für möglich und wünschenswert. Um das Bewusstsein der Öffentlichkeit auf dieses Meisterwerk der österreichischen Architektur des 20. Jahrhunderts zu richten, lädt die Initiative „Bauten in Not“[BiN] am 18. September, dem „Tag des schutzlosen Denkmals“ um 18:15 vor und in der Schule zu einer Freiluftklasse. Während dieser Demo-Lecture wird es Vorträge geben, werden Filme gezeigt und ist es auch möglich, die Schule in kurzen Führungen zu besichtigen. Mit dieser Aktion bekräftigt [BiN] ihre Forderung nach einer respektvollen Erhaltung und adäquaten Nutzung der Helmut Richter Schule. Sie hat dazu auch eine Petition gestartet.

Plakat für die Demo-Lecture Photo:Manfred Seidl, Grafik: Bohatsch, Markus Embacher

Hier kommen Sie auf den Link zur Petition 

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