In den 1990er Jahren, nach Wende und Wiedervereinigung von West- und Ostdeutschland, wurde Berlin zur Hauptstadt der Zwischennutzung. Experimente mit der Brache avancierten zum Motor eines temporären Urbanismus. raumlaborberlin hat mit der Floating University Berlin diese Praxis in die Gegenwart geholt.


 

Von der Forschung zur Universität

Das Architekturkollektiv raumlaborberlin besteht seit dem Jahr 1999. Eine Gruppe von insgesamt acht Architekten und Architektinnen arbeitet in Berlin netzwerkartig mit anderen an den Potentialen des Brachliegenden. Nicht so sehr die physische Brache wie in den 1990er Jahren leitet diesen temporären Urbanismus, sondern vielmehr das Brachliegende im allgemeinen – also alles, was durch die experimentierende Vorgangsweise an Potentialitäten und Nutzungsmöglichkeiten jenseits der Stadt im neoliberalen Normalbetrieb provoziert werden kann.

Das Labor im Namen ist programmatisch. Es geht immer um das experimentierende Arbeiten, wörtlich das Laborieren, mit dem städtischem Raum. Wird die Stadt als Labor aufgefasst, in dem Räume zum Testfall werden, um noch nicht geahnte Formen ihrer Produktion auszuloten, dann steht nicht das einzelne Architekturobjekt im Vordergrund, sondern die Produktion von urbanen Situationen und Möglichkeitsräumen.

Für ihre spezifische Praxis, mit denen sie sich an den Schnittstellen von Urbanismus, Architekturproduktion, Kunst und Intervention bewegen, hat raumlaborberlin den Ausdruck des „forschungsbasierten Gestaltens“ geprägt. Und von der Forschung zur Universität ist es nur ein kleiner Schritt: 2018 etablierte die Gruppe eine Universität auf Zeit, die Floating University Berlin (FUB), und setzte damit das experimentierende Forschen und Lernen fort, das sie bereits im Rahmen der Urban School Ruhr (USR) erprobt hatten.

Über dem Wasser

Angrenzend an das Tempelhofer Feld in Berlin befindet sich ein riesiges Regenwassersammelbecken aus Beton. Von Mai bis September 2018, geplant und umgesetzt von Benjamin Foerster-Baldenius, Dorothee Halbrock, Florian Stirnemann und Licia Soldavini, wurde mit einer Vielzahl von Formaten und Kooperationen das spektakuläre schwebende Gebilde der treibenden und schwebenden Universität bespielt. Wiewohl raumlaborberlin auf Experimentieren und Neuerfinden setzt, hat das Team dennoch seit seinen ersten großen Arbeiten, wie beispielsweise dem Küchenmonument, das 2006 realisiert wurde und in Städten wie Berlin, Duisburg, Gießen, Hamburg, Liverpool, Mühlheim oder Warschau stattfand, eine spezifische und wieder erkennbare ästhetische Sprache entwickelt. Ihre Monumente sind temporäre Skulpturen und öffentliche Partizipation ermöglichende installative Raumperformances. Wiewohl Monumentalität eine zentrale Rolle spielt, ist es nicht die Monumentalität des Triumphalen, sondern des Prekären und Widerständigen. Die Wahl der genannten ästhetischen Mittel zeichneten auch die Floating University aus.

Vom Tempelhofer Feld kommend gelangte man über steile Treppen und über einen Holzsteg, der über die aufgesprungene, trockene Erde des Sammelbeckens oder das in ihm befindliche Wasser verlief, zu der tatsächlich schwebend anmutenden Universität, einem Gerüstbau aus Stahlrohren und Holz. Vor allem gegen den dunklen Nachthimmel und beim Mondschein entfaltete das Gebilde seine zwischen Raumstation und Architekturutopien der 1960er Jahre changierende Strahlkraft. Im universitären Alltag kann man von poetischen Räumen nur träumen. Genau auf das, was im universitären Normalbetrieb, im Regelsystem der universitären Institutionen, kaum mehr vorgesehen ist, setzte der temporäre Campus in Schwebe: Transparenz, Transdisziplinarität, Offenheit, Diversität, Kritik. Mit diesen Begriffen operieren nun viele Hochschulen.

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