Auf den Spuren des „Hasen mit den Bernsteinaugen“

Die Ephrussis – Eine Zeitreise

Ausstellung "Die Ephrussis - Eine Zeitreise": der Raum für den Wiener Zweig der Familie Photo: Wulz

Die Ephrussis sind eine weit verzweigte Großfamilie mit einer bedeutenden Vergangenheit und einer in der ganzen Welt zerstreuten Gegenwart. In ihrem Schicksal spiegelt sich auch ein Stück Zeit- und Kulturgeschichte des Judentums und der Habsburgermonarchie wider. Das jüdische Museum Wien würdigt sie mit der höchst sehenswerten Ausstellung „Die Ephrussis – Eine Zeitreise.“


Das Palais Ephrussi steht heute noch auf der Ringstraße. Theophil Hansen, einer der gefragtesten Architekten seiner Zeit, der viele bedeutende Bauten dieses Wiener Prachtboulevards entworfen hatte, drückte auch diesem imposanten Gebäude seinen Stempel auf. 1869 erteilte ihm Ignaz Ephrussi den Auftrag zum Bau, die Decken – und Wandmalereien verweisen deutlich auf seine jüdische Herkunft: So ist im Ballsaal die Krönung der Königin Ester zu bewundern. 1871 verlieh ihm Kaiser Franz Joseph für seine Verdienste um die Stadt Wien den erblichen Adelstitel. Wie alle bedeutenden jüdischen Familien mussten auch die Ephrussis nach dem Anschluss an Hitler-Deutschland 1938 emigrieren, um zu überleben. Ihr Palais Ephrussi war das erste, das 1938 von Reichsleiter Alfred Rosenberg „arisiert“ und als Amt genutzt wurde. Zur Feier der Eröffnung der Ausstellung „Die Ephrussis. Eine Zeitreise“ im jüdischen Museum Wien kamen die Nachfahren der Ephrussis aus allen Teilen der Welt für einen Abend wieder in ihrem einstigen Palais zusammen.

Das Palais Ephrussi am damaligen Franzens Ring, von Theophil Hansen entworfen Photo: Jüdisches Museum

Das Palais Ephrussi am damaligen Franzens Ring, von Theophil Hansen entworfen Photo: Jüdisches Museum

Auch Edmund de Waal ist ein Mitglied dieser weitverzweigten Großfamilie mit der illustren Vergangenheit. In seinem Buch „Der Hase mit den Bernsteinaugen“ ging er der Geschichte seiner Vorfahren nach und landete damit einen Bestseller, der auch verfilmt wurde. Der titelgebende Hase ist einer von ursprünglich 264 Netsukes, kleine, kunstvoll geschnitzte japanische Figurinen aus weißem Elfenbein, die man als Gegengewichte zu Taschen oder Beuteln am Gürtel seines Kimonos befestigte oder sich einfach so daran erfreute. 1880 kaufte die Familie Ephrussi eine Sammlung japanischer Netsuke an, die 1889 in Wien einlangte – und dank der Hausangestellten Anna in einer Matratze versteckt die Nazi-Zeit und den zweiten Weltkrieg überlebte. Anna gab sie Elisabeth de Waal bei deren Besuch ihres einstigen Elternhauses 1945 zurück.  Das jüdische Museum Wien, dem die Ephrussis ihr Familienarchiv schenkten, zu dem sich als Dauerleihgabe auch 154 Netsuke gesellten, nimmt diesen Faden auf und erzählt in der Ausstellung „Die Ephrussis. Eine Zeitreise“ mit vielen Exponaten die wechselvolle Geschichte dieser bedeutenden Dynastie.

„Die Ephrussis zählten zu den namhaftesten Familien des 19. Jahrhunderts. Sie waren k.u.k. Hoflieferanten, gründeten Schulen, wohltätige Vereine, wurden ausgezeichnet, bewundert, beneidet und angefeindet“, so Gabriele Kohlbauer-Fritz, die gemeinsam mit Tom Juncker die Ausstellung kuratierte. Sie ist reich mit Exponaten bestückt, die einen weiten Bogen von Odessa über Paris, Wien und in unterschiedliche Exile nach Frankreich, Großbritannien, Spanien, die USA, Japan und andere Länder spannt. „Flucht und Vertreibung ist ein Schicksal, das sie mit vielen nicht so berühmten Juden teilen“, so Kohlbauer. Gestaltet wurde die museale Zeitreise von den Architekten Schuberth & Schuberth. „Es ist auch eine Ausstellung über das 19. Jahrhundert, das – wie Walter Benjamin feststellte – wohnsüchtig war“, so die beiden Architekten, die für die Ausstellung abstrahierte Chaiseloungen in verschiedenen Farben entwickelten. Odessa, Das Ende eines Armenhauses.“

Japanische Pretiosen aus der Sammlung Ephrussi: Netsukes Photo: Wulz

Japanische Pretiosen aus der Sammlung Ephrussi: Netsukes  Photo: Wulz

„Jedes Palais trug den Stempel seiner Bewohner. Wir haben versucht, durch Objekt-Zitate aus der Zeit und Originale Szenen zu bilden, die zur jeweiligen Stadt und Epoche passen.“ Der Aufstieg der Ephrussis begann in Odessa mit Chaim Joachim Ephrussi und seinen Söhnen Ignaz und Leon. Dort setzt auch die Ausstellung an. Sie zeigt einen Stammbaum und die Geburtsbestätigung des Rabbinats von Viktor Ephrussi im Jahr 1860, der 1911 die russische Staatsbürgerschaft zurücklegte und das Heimatrecht in Wien erwarb. „Da lagen sie – das Gesicht zum Tor – die Aschkenasi, Hessen und Efrussi, geschniegelte Pfennigfuchser, philosophische Lebemänner, die Begründer von Reichtümern und Odessaer Anekdoten“, schrieb Isaak Babel 1931 in „Geschichten aus Odessa, das Ende eines Armenhauses."

Ausstellungsansicht: Die Ephrussis - ihrer Zeit in Wien ist ein eigener Raum gewidmet Photo: Wulz

Ausstellungsansicht: Die Ephrussis - ihrer Zeit in Wien ist ein eigener Raum gewidmet   Photo: Wulz

In Wien ging der Stern der Ephrussis erst so richtig auf und manifestierte sich prachtvoll: Man sieht Entwurfszeichnungen für das Palais Ephrussi, Auqarelle der opulent ausgestatteten Zimmer und ein lebensgroßes Foto von Emmy Ephrussi mit ausladendem Hut, schmaler Taille und elegantem Stock. Sie galt gemeinhin als „letzte mondäne Frau“. Ein Salontischchen nach dem Entwurf von Theophil Hansen um 1873 repräsentiert das Mobiliar des Palais Ephrussi. Außerdem in jedem Raum: eine gläserne Vitrine mit Netsuke, nach Motiven geordnet, als Symbole für eine Familie auf Reisen.

Leon Ephrussi zog von Odessa um 1870 nach Paris, sein Sohn Charles Ephrussi war ein anerkannter Kunstkenner und -sammler, der als Experte für Albrecht Dürer galt und die angesehene Kunstzeitschrift „Gazette des Beaux-Arts“ herausgab. Ihm verdankt die Ausstellung zwei ihrer schönsten Exponate: als einer der ersten hatte Ephrussi die Bedeutung der Impressionisten erkannt und Pierre-Auguste Renoir, der auch ein Portrait von Therese Ephrussi malte, sowie Edouard Manet sehr gefördert. Diesem kaufte er um 1000 Francs ein Bild mit Spargelbündeln ab. Manet schien der Preis sehr großzügig, also malte er ihm im April 1882 ein weiteres, sehr kleines Bild mit einem einzigen Spargel und schrieb dazu: „Aus dem Bund hat einer gefehlt.“

Maurice Ephrussi wiederum heiratete mit Béatrice de Rothschild eine Frau mit Vermögen, die sich in Cap Ferrat eine opulente, rosa Villa bauen ließ. Die Familie hatte Leibwächter, drei Affen und soll sogar Hundehochzeiten veranstaltet haben. Eine kleine Chaiselounge im Haustierformat und ein Bericht aus der Arbeiterinnenzeitung Heft 2, 1897 legen nahe, dass an dem Gerücht etwas dran gewesen sein könnte. „Man muss sich wirklich an den Kopf greifen, dass solcher Wahnwitz herrschen kann gegenüber dem gräßlichen Elend Tausender und Abertausender.“ Gisela Ephrussi aus dem spanischen Zweig der Familie war eine Künstlerin. Sie emigrierte nach Mexiko und ließ sich dort von mexikanischen Kleidungsstücken inspirieren. Von ihr stammt auch in sehr schönes Porträt von Emmy Ephrussi aus Wien im Jahr 1920. Viktor Ephrussi wiederum zog mit seiner Tochter Elisabeht, einer verheirateten DeVaal nach Großbritannien. Sie konvertierte zur Church von England – und bekam die Netsukes von Anna in Wien zurück. Ein Kreis schließt sich. Viele weitere Anekdoten, Persönlichkeiten und Kunstwerke sind noch im jüdischen Museum zu entdecken.

www.jmw.at

Therese Ephrussi, gemalt von Auguste Renoir Photo: Familienbesitz

Therese Ephrussi, gemalt von Auguste Renoir Photo: Familienbesitz

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