Hohengasser Wirnsberger halten den letzten architektur-in-progress Vortrag vor der Sommerpause

Regional handeln

Hofladen in der "Kaslab'n" von Wirnsberger und Hohengasser Architekten Foto: Christian Brandstätter

Ihre Anreise war weit, aber sie lohnte mehrfach: Am 4. Juni kamen Sonja Hohengasser (*1973) und Jürgen Wirnsberger (*1984) aus Spittal / Drau in das Büro von querkraft in der Wiener Börse angereist, um dort den letzten aip-Vortrag vor der Sommerpause zu halten. „Regional handeln“, hieß das Motto, das sich als roter Faden durch ihre eindrucksvoll stillen Arbeiten zieht, die aber dadurch umso mehr und nachhaltiger ihre Wirkung entfalten. Höchst zielgerichtet und sensibel nutzen Hohengasser und Wirnsberger regionale Ressourcen, führen alte Traditionen weiter und schaffen so Orte, die ihre Nutzer und Nutzerinnen selbstverständlich annehmen können. Trotz drückender Hitze war die Vortragsgalerie bei querkraft voll architekturinteressierter Zuhörerschaft.


Johannes P. Wirnsberger und Sonja Hohengasser Foto: Manuela Wilpernig

Johannes P. Wirnsberger und Sonja Hohengasser Foto: Manuela Wilpernig 

„Vor zwanzig Jahren habe ich hier in Wien an der TU Wien mein Studium beendet“, stellt Sonja Hohengasser mit leichtem Erstaunen fest. Geboren und aufgewachsen ist sie auf einem Bauernhof auf einem Hochplateau hoch über dem Millstätter See. Auch Jürgen Wirnsberger stammt aus der Gegend. „Die landschaftliche Schönheit der Region ist großartig, deshalb haben auch viele ihre Zweitwohnsitze hier. Allerdings gibt es einen demographischen Wandel und hat die Gegend mit Abwanderung zu kämpfen“, so Hohengasser. Dagegen leistet sie als Lehrende und Bauende einen Beitrag. Sie selbst kehrte nach ihren Lehr – und Wanderjahren bei MAGK Architektur, Horst Gaisrucker, Peter Nigst und Markus Lang 2005 an die FH – Kärnten zurück, wo sie zuerst die Studiengänge Architektur und Bauingenieurwesen betreute, seit 2013 Senior Lecturer und seit 2018 Professorin ist. Hohengasser ist auch gemeinsam mit Christine Aldrian-Schneebacher Leiterin und Initiatorin des Architektur_Spiel_Raum_Kärnten, der schon bei Kindern und Jugendlichen Interesse und Freude an der Architektur weckt. 2009 gründete sie mit Jürgen Wirnsberger eine Bürogemeinschaft, seit 2017 betreiben die beiden die Hohengasser Wirnsberger Architekten ztgmbh. Als Gastgeschenk nahmen sie zu ihrem Vortrag in Wien 13 Kilo Kärntner Käse mit: ein Produkt, zu dem ihre Architektur in starkem Bezug steht, wie man spätestens nach ihrem Werksvortag weiß – und das beim Wiener Publikum bestens ankam.

Produziert in der Region von Biobauern aus der Region: Käselaibe aus der Kaslab'n Photo: Isabella Marboe

Produziert in der Region von Biobauern aus der Region: Käselaibe aus der Kaslab'n  Photo: Isabella Marboe

„Wir wollen nicht nur in der Landschaft, sondern auch für die Landschaft bauen“, stellt Sonja Hohengasser klar. „Wir haben als Büro viele kleinere Aufgaben erfüllt, wesentlich dabei war uns immer die regionale Wertschöpfung.“ So sanierten sie beispielsweise vier Klassen der Volksschule Gnesau aus den 1970er Jahren mit Vertäfelungen aus unbehandeltem, massiven Holz. Und zwar in jeder Klasse mit einer anderen Holzart aus der Region Nockberge: Fichte, Tanne, Lärche, Zirbe mit gebürsteter und geschliffener Oberfläche. Das ermöglicht den Kindern jeder Klasse, sich Wissen zu „ihrem“ Baum anzueignen und die Unterschiede zwischen den Holzarten erkennen zu lernen. Es erzeugt außerdem eine warme Raumatmosphäre und wirkt sich nach einer wissenschaftlichen Studie auch sehr positiv auf die Herzfrequenz der Kinder aus. „Diese ist in einer Holzklasse niederer als in den Sommerferien“, erklärt Sonja Hohengasser. Außerdem stellten sie ein kleines Gerät in den Klassenräumen auf, das rot blinkte, wenn zu viel CO2 in der Luft war. So lernt sich Umweltbewusstsein.

So kann ein kluger Ausbau neue Möglichkeiten schaffen: Freiraum unterm Dach Photo: Isabella Marboe

So kann ein kluger Ausbau neue Möglichkeiten schaffen: Freiraum unterm Dach des Kindergartens in Unterach am Attersee  Photo: Isabella Marboe

Ihre „Kaslab’n Nockberge“ wurden mit dem Holzbaupreis Kärnten, dem Landesbaupreis Kärnten und dem Preis „Constructive Alps“ ausgezeichnet. Außerdem war sie zum Bauherrenpreis 2017 nominiert. Auch das ist eine Auszeichnung. Dieses Projekt hat eine ganz besondere Geschichte: Die Bauern Michael, Franz, Marlis und Geli wollten eine Käserei bauen. Doch Hohengasser und Wirnsberger hatten bei dieser Bauaufgabe noch keine Erfahrung, also fuhren wie gemeinsam mit ihren Bauherren durch die Alpen und sahen sich vor allem in Vorarlberg besonders schöne und gelungen Käsereien an. Zuletzt wuchs das Bauherrenkollektiv auf 18 Familien an. „Wichtig ist in der Landwirtschaft, wieder ein Einkommen zum Auskommen zu erwirtschaften“, sagt Sonja Hohengasser. Die Kaslab’n wurde ohne Banken, sondern mithilfe von Freunden finanziert, die einander Geld borgten und statt Zinsen frischen Käse bekamen. Die Kaslab’n selbst folgt typologisch lose dem regionalen Bauernhaus, das in der Mitte als multifunktionalen, unbeheizten Raum eine sogenannte Lab’n aufweist, die als Vorraum und Erschließungszone fungiert. „Wir wollten die Stadteinfahrt betonen und einen Vorbereich schaffen“, erklärt Jürgen Wirnsberger. Typologisch nimmt die Kaslab’n die alte Bauernhaustypologie auf: Zwischen Schaukäserei und Laden gibt es einen Erschließungsbereich und eine Treppe. Baumaterial ist wieder Holz, dem Laden stifteten jeder Bauer und jede Bäuerin einen Sessel: Auch so lässt sich Bezug schaffen und Identität vermitteln. Außerdem entwickelten Hohengasser und Wirnsberger eine Art pädagogisches Möbel, in dem sich Antworten auf unterschiedliche Fragen finden. So gibt es beispielsweise eine Lade mit einem Ziegenfell und werden bestimmte Produktionsbedingungen der Landwirtschaft erklärt.

Neuer, lichter Freiraum unterm Dach: Kindergarten in Unterach am Attersee Photo: Isabella Marboe

Neuer, lichter Freiraum unterm Dach: Kindergarten in Unterach am Attersee  Photo: Isabella Marboe

Am Attersee richteten Hohengasser und Wirnsberger gemeinsam mit ihrem Kollegen Erhard Steiner den alten Kindergarten wieder her. Das Gebäude war eines der ersten „Kinderasyle“ der Monarchie, es zierte sogar zwei Gemälde von Gustav Klimt. Generationen von Kindern aus Unterach am Attersee hatten hier ihre ersten Erfahrungen mit anderen Kindern gemacht. Dem Architektentrio gelang es, den Bestand behutsam ohne Verwendung von Vollwärmeschutz höchst behutsam zu sanieren und durch eine neue Organisation der Räume weiterhin als Kindergarten nutzbar zu belassen. Im Erdgeschoss wurden Garderoben, die Krabbelgruppe und Räume für die Kindergärtnerinnen untergebarcht, das Obergeschoss bietet zwei hellen, hohen Gruppenräumen Platz, das größte Raumwunder aber ergab sich durch kluge Interventionen unter dem Dach. Die Giebelseite des alten Dachstuhls wurde mit einer verandaartigen Sprossenstruktur aus Holz geöffnet und so zum erweiterten Freiluftzimmer.

Essraum im Kindergarten von Unterach am Attersee Photo: Volker Wortmeyer

Essraum im Kindergarten von Unterach am Attersee Photo: Volker Wortmeyer

Derzeit bauen Hohengasser Wirnsberger an das alte Gemeindeamt in der Ortschaft Arriach einen Zubau mit Nahversorger an und bringen so zwischen evangelischer und katholischer Kirche wieder ein Stück Leben zurück ins Dorf. Auch die nahe Zukunft des denkmalgeschützten Sprungturms von Millstatt, der 1930 gemeinsam mit dem Strandbad von Christoph Benedikt entworfen worden war, liegt derzeit in ihren Händen. Bereits Friedrich Achleitner hatte seine kühne Konstruktion lobend gewürdigt, nach einem tragischen Unfall aber wurde er 2008 gesperrt. Hohengasser und Wirnsberger haben nun eine Möglichkeit gefunden, ihn für den Gebrauch zu retten: In diesem Sommer wird man endlich wieder vom Turm ins Wasser springen und seine Rutsche genießen können. Aus Sicherheitsgründen mit etwas kürzerer Strecke als original, aber ebenso erfrischend!

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