Gebäude

Ein alienartiges, orangegelbes Kunststoff-Objekt – da fühlt man sich sofort an die 1960er-Jahre erinnert. Das Madrider Architektenpaar José Selgas und Lucìa Cano liebt die sinnlich-spielerischen Qualitäten dieser Materialkultur. Und übersetzt sie ins ressourcenbewusste Zeitalter: Mittels kompakter Polyederform reduzierten sie Volumen und Fußabdruck des Hauses im ursprünglich-wilden Terrain auf ein funktionalistisches Minimum.


Kunststoff-Fans … und Ökofreaks

„Nur ein Wort, ein einziges Wort: Plastik.“ Dieser Satz aus dem Film „Die Reifeprüfung" aus dem Jahr 1967 könnte das Motto des Projekts von José Selgas und Lucía Cano sein, die Pionierarbeit bei der Adaptierung von Polykarbonat, Plexiglas und anderen erdölbasierten Produkten als Baumaterialien leisteten. Bemerkenswerte Beispiele dafür sind ihre drei Kongresszentren in den spanischen Städten Badajoz (2006) und Cartagena (2012) sowie ihr jüngstes Projekt in Plasencia, einer abgelegenen geschichtsträchtigen Stadt im Westen der autonomen Region Extremadura. Es war Gewinner eines Wettbewerbs im Jahr 2005, wurde aufgrund finanzieller Probleme aber erst in diesem Jahr fertig gestellt. Das Kongresszentrum in Plasencia ist von transluzenten EFTE (Ethylen-Tetrafluorethylen-Capolymer)-Folien ummantelt, die über ein Rahmenwerk aus Stahlstäben und -seilen gespannt sind und ein unregelmäßiges Polyeder bilden.

Gebäude

Innerhalb der EFTE-Haut umschließt eine Hülle aus raumhohen transparenten Plexiglaspanelen das Gebäude. Als weitere ungewöhnliche Kunststoffoberflächen sind der Kunstrasen der Eingangsrampe in leuchtendem Orange oder der frühlingshaft anmutende Polyurethan-Anstrich von Böden, Mauern, Stahlgeländern und weiteren Komponenten hervorzuheben.

Bereits in dem Film „Die Reifeprüfung“ war der Ratschlag, sich an Plastik zu halten, den der verwirrte junge College-Absolvent, gespielt von Dustin Hoffman, von einem väterlichen Freund erhielt, ein ätzender Witz. Er markierte das Ende eines Zeitalters, das an den endlosen technischen Fortschritt einer Science-Fiction-Zukunft in poppigen Farben glaubte. 1967 musste dieser naive Glaube den Umweltskandalen und der ökologischen Bewegung weichen. selgascano werfen in ihrer Arbeit – mit spielerisch-sinnlichem Vergnügen – einen liebevollen Blick auf die Glanzzeit des Plastiks zurück. Natürlich sind auch sie Ökofreaks und scheuten keine Mühe, um den Geröllhang, auf dem das Gebäude steht, zu bewahren. Lucía Cano kann jede duftende heimische Pflanzenart, die unter den niedrigen Eichen und Kiefern gedeiht und von den beiden gerettet wurde, beim Namen nennen: Zistrose, Ginster und Mittelmeer-Brombeere. Frei assoziierend beschreibt sie das Zentrum als „einen Meteoriten, der kurz in der Landschaft verharrt und jeden Moment wieder abheben und wegfliegen könnte.“

Nur ein Wort, ein einziges Wort: Plastik.

Zitat aus dem Film „Die Reifeprüfung"

 

Verantwortungsvoller Funktionalismus

Der Standort des Gebäudes befindet sich am westlichen Rand einer eher unscheinbaren neuen Stadterweiterung, in der die künstlich angelegte Steigung der Straße gegenüber dem natürlichen Gelände einen Höhenunterschied von 17 Metern aufweist. Die Architekten weigerten sich, den Höhenunterschied aufzufüllen, und entschieden sich dafür, das Gelände weitgehend so zu belassen, wie es war. Und das Gebäude mit möglichst kleiner Grundfläche in den Hang zu stellen. Aus dieser Entscheidung resultierte die Polyeder-Form des Gebäudes, der Baukörper erweitert sich vom Fundament nach außen und verfügt über eine Auskragung, die das schräg abfallende Auditorium bildet.

Da sich die Hälfte des Gebäudes unterhalb des Straßenniveaus befindet, positionierten die Architekten das Auditorium im untersten Bereich, stapelten die Eingangshalle sowie die anderen Räume darüber und schufen auf diese Weise ein bemerkenswert kompaktes Volumen. 

Gebäude

Das 760 Sitze umfassende Auditorium, das für Konzerte, Theater und Lesungen entworfen wurde, durchmisst die gesamte Länge des Gebäudes. An seinen Längsseiten wird es von durchlaufenden Betonwänden umschlossen.

Erreichbar ist das Auditorium über eine Rampe, die zwischen der Betonwand und der Plexiglas-Hülle von der Lobby aus abwärts führt. Auf der gegenüberliegenden Seite führt eine weitere Rampe zu den drei Konferenzräumen, einem kleineren Saal und anderen Mehrzweckräumen auf den oberen drei Etagen. Zusätzliche Treppenläufe rund um die Peripherie des Gebäudes sorgen für weitere Verbindungen. Mit ihren Betonwänden liefern auch sie thermische Speichermasse rund um die zentralen Räume. (...)

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