Die Sonnenblumenhäuser
Keramik ist ein Baustoff, der uns seit Jahrtausenden begleitet. Als Teil erstaunlich früh entwickelter modularer Systeme erzählen Ziegel Kulturgeschichte. In dem Stadterweiterungsprojekt im Wildgarten des zwölften Wiener Gemeindebezirks stehen elf mit leuchtend gelben keramischen Platten umhüllte Häuser als Symbol für einen gesamtheitlichen Denkansatz zum Weiterbau von Stadt. Ihr Urheber, das in Madrid ansässige Architekturbüro Arenas Basabe Palacios, hat 2009 den internationalen Wettbewerb Europan 10 Vienna gewonnen und in der Folge, unterstützt von einem multidisziplinär besetzten Team, den Masterplan des Wildgartens, eines nahezu 11 Hektar großen Areals, erarbeitet.
Das städtebauliche Umfeld des Wildgartens ist höchst anspruchsvoll: Während der Osten des Entwicklungsgebietes mit dem Einschnitt einer Bahnstraße abgeschlossen wird und der Norden durch einen großen Friedhof abgegrenzt ist, wird das Gesamtbild im Süden und Westen von großflächigen Kleingartensiedlungen geprägt. Der im Projektnamen mitschwingende Gedanke, einen naturnah gestalteten Freiraum als Leitmotiv der zukünftigen Siedlung zu wählen, wurzelt förmlich in dieser Umgebung. Gleichzeitig berücksichtigt er eine starke Sehnsucht, die StadtbewohnerInnen spätestens seit dem 19. Jahrhundert bewegt: Es ist der Wunsch, den eigenen Wohnraum, den privaten Rückzugsort, mit dem Erlebnis von Natur zu verbinden. Arenas Basabe Palacios haben das Areal daher nicht, wie häufig üblich, in Bauplätze geteilt, auf denen sich Gebäude in vorher festgelegten Grenzen erheben und deren Freiräume, nicht minder abgegrenzt, dem öffentlichen Raum entzogen sind. Sie haben den Wildgarten zunächst als einen der Allgemeinheit zugänglichen Park definiert, über den sie ein Geflecht von kleinen Gärten respektive begrünten Höfen gelegt haben. Die Ränder dieser Höfe werden von Häusern gefasst, deren Ausformung nur über die maximale Größe der darin organisierten Nutzfläche festgelegt ist sowie durch die Form des Hofes, dessen Abmessungen zu respektieren sind. Aus diesem Konzept haben sich Gebäudetypen ergeben, deren Bezeichnungen von XS bis XL der Modebranche entlehnt scheinen und unscharf genug bleiben, um den unterschiedlichen Bauträgern, PlanerInnen und Wohnformen genügend Raum zur Entwicklung zu lassen.
Vom ersten Augenblick an als Parklandschaft für alle nutzbar, verwandelt sich der Wildgarten mit jedem Bauwerk weiter in ein Wohnquartier. Deren bauliche und gestalterische Interpretationsspielräume bringen das Grundprinzip des gemeinschaftlich genutzten Grünraumes jedoch nicht in Gefahr. Unterschiedliche Gebäudegrößen erhöhen die Diversität der Agierenden: Von Privatpersonen über Baugruppen bis zu gewerblichen und gemeinnützigen Bauträgern finden alle den für sie passenden Maßstab. NutzerInnen haben somit Zugang zu den Planungsprozessen ihrer Stadt. Die von Arenas Basabe Palacios vorgesehenen und in ihrer Position variabel einsetzbaren Elemente wie Sitzgelegenheiten, Kinderspielplätze oder Geschäftslokale, werden gerne vom Büro als „urbanes Post-it“ betitelt und sorgen im Wildgarten für Leben.
Der öffentliche Raum funktioniert also ungeachtet der jeweiligen Gestaltqualität der Häuser. Dennoch ist nichts dem Zufall überlassen: Die in einem Qualitätszielkatalog festgelegten Standards des Wildgartens hinsichtlich gesellschaftlicher, ökonomischer und ökologischer Nachhaltigkeit sind hoch, werden vom Quartiersmanagement kontrolliert und falls nötig durchgesetzt. Hier greifen Klimaschutz und Nutzungskomfort ineinander: ... mehr Details in der Juniausgabe!