Kopenhagen: Hauptstadt der Nachhaltigkeit?
Kopenhagen wird international als eine der nachhaltigsten Metropolen gefeiert und hat sich selbst zum Ziel gesetzt, als erste Hauptstadt weltweit bis 2025 klimaneutral zu sein. Welche Strategien verfolgt die Stadt dafür und welche Rolle spielt dabei die Architektur?
Eine Stadt für Menschen
Auch Kopenhagen, das heute nicht zuletzt wegen seiner auf den Menschen zugeschnittenen öffentlichen Räume als eine der lebenswertesten Städte gilt, hatte einst große Attraktivitätsprobleme und drohte im Autoverkehr zu ersticken. Als Konsequenz wurde bereits 1962 die Haupteinkaufsstraße Strøget in eine Fußgängerzone umgewandelt. Ein wirkliches Umdenken aber erfolgte erst, nachdem Kopenhagen Anfang der 1990er Jahre eine postindustrielle Wirtschaftskrise durchlebte und viele der bessergestellten BewohnerInnen die insolvente Stadt verließen. Für den notwendigen Neuanfang setzte Kopenhagen konsequent auf Architektur, mit dem Ergebnis, dass auch bis dahin unbekannte ArchitektInnen die Chance erhielten, ihre manchmal ausgefallenen, aber erfrischenden Ideen zu verwirklichen.
Viele grundlegende Impulse Kopenhagen attraktiver zu gestalten gehen auf die Ideen des Stadtplaners Jan Gehl zurück, der als Professor an der Königlichen Kunstakademie über Jahrzehnte hinweg das Verhalten der Menschen im Stadtraum erforschte. Er war es auch, der massiv dafür eintrat, den Autoverkehr konsequent aus dem Zentrum zurückzudrängen und gleichzeitig alles dafür zu tun, die Verwendung des Fahrrads zu erleichtern. Heute gilt Kopenhagen als Fahrradparadies schlechthin. Über 60 Prozent seiner BewohnerInnen verwenden das Verkehrsmittel und können dabei auf ein dichtes Netz an gut ausgebauten Radwegen und sogar auf spezielle Fahrrad-Highways zurückgreifen. Parallel dazu wurde der öffentliche Nahverkehr konsequent ausgebaut.
Gehl initiierte auch, die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum zu verbessern und über die Stadt verteilt attraktive Freizeit- und Sportmöglichkeiten zu schaffen. Davon zeugen die mittlerweile zahlreichen Hafenbäder sowie verschiedene Platzgestaltungen, darunter der spektakuläre Superkilen, den Bjarke Ingels (BIG) 2012 zusammen mit Superflex und Topotek1 auf dem 900 m langen Gelände eines ehemaligen Bahndepots im multikulturellen Nørrebro-Viertel entwarf. AnwohnerInnen unterschiedlichster Herkunft wurden damals in die Planung miteinbezogen und als integrationsfördernde Maßnahme wurden Artefakte aus etwa 60 Ländern in die Gestaltung eingebunden.
Das Dach als öffentlicher Raum
Um die von Neubauten beanspruchten Flächen der Öffentlichkeit zurückzugeben, werden zunehmend auch Dächer als Stadtraum genutzt. Ein viel beachtetes Beispiel dafür ist das vorbildhaft in seine Umgebung integrierte Lüders-Parkhaus (JAJA Architekten, 2017) in Nordhavn mit Spielplatz und Aussichtsplattform auf dem Dach und einer für SportlerInnen und SpaziergängerInnen nutzbaren Freitreppe.
Ähnliches findet sich auch bei zahlreichen neuen Schulen, deren Dächer zum spielerischen Unterricht im Freien genutzt werden oder dazu, dem Bewegungsdrang der SchülerInnen in den Pausen Abhilfe zu leisten. Das Dach der Skolen i Sydhavnen (JJW Architekten, 2015) etwa wird von einer riesigen Freitreppe erschlossen, die auch für die Öffentlichkeit zugänglich ist und direkt von einem Badeplatz am Wasser bis ins zweite Obergeschoss führt. Über die nachfolgenden schmäleren Treppen, Rampen und Wege lässt sich ein breites Angebot an Spiel- und Sportmöglichkeiten erreichen. Auch bei der Ny Islands Brygge Skol (C.F. Møller, 2021) beginnt der Weg nach oben auf einer eindrucksvollen Treppenanlage, von der sich die Dachfläche spiralförmig entwickelt. Neben einem Sportplatz mit Laufstrecke und Ballspielkäfig finden sich hier auch verschiedene Themengärten für den Unterricht sowie Gemüsebeete.
Das drastischste Beispiel für die Nutzung der Dachfläche zu sportlichen Zwecken aber zeigt das Kraftwerk Amager Bakke (BIG, 2019) mit seiner aufgesetzten Skipiste, der Kletterwand und den Wanderwegen. „Nachhaltigkeit soll Spaß machen, statt einzuschränken“, meint Bjarke Ingels, der Architekt der künstlichen, auch als Copenhill bekannten Berglandschaft, von deren Spitze sich eine fabelhafte Aussicht auf Kopenhagen bietet. Doch ob die 450 m lange Piste tatsächlich wie propagiert irgendjemanden vom Skiurlaub in Schweden oder den Alpen abzuhalten vermag, darf bezweifelt werden...