Modern Classics 07

Lebensqualität statt Hyperdichte: Oskar Strnad und Josef Frank

Oskar Strnad, Arbeitersiedlung Ortmann, Projekt, 1917 (c) MAK ki-13911-7_1

Der Urbanisierungshype der vergangenen Jahrzehnte propagierte Hochdichtekonzepte aller Art – von Wolkenkratzern bis zu Nachverdichtungen in Wohnquartieren. Die Corona-Krise trägt nun vielleicht dazu bei, sich erneut mit den Wohnbaukonzepten der frühen Moderne zu befassen, die das Gegenteil verfolgen – von den Gartenstädten der Lebensreformer bis zu den Werkssiedlungen sozial denkender Industrieller.


 

Die Industrialisierung war von Anfang an ein wesentlicher Treiber der Urbanisierung. Denn die entwurzelte Landbevölkerung, die zu den Fabriken zog, um dort zu arbeiten, benötigte natürlich neuen Wohnraum. Die Reaktion der Fabriksbesitzer darauf zeigt das gesamte Spektrum menschlicher Verhaltensweisen – von empathielos (diesfalls mussten Arbeiterfamilien in selbstgebastelten Slums vegetieren) bis zu sozial engagierten Philantropen, die ihren Mitarbeitern gesunde Wohnungen, medizinische Versorgung und Bildungsmöglichkeiten boten. Die internationale Ahnenreihe dieser fortschrittlichen Unternehmer ist lange und reicht von Sir Titus Salt, der die revolutionäre Arbeiterstadt Saltaire ab 1851 im englischen West Yorkshire errichtete, über Karl-Camillo Schmidt-Hellerau, der ab 1909 mit berühmten Architekten die Gartenstadt Hellerau rund um seine Möbelfabrik in Dresden baute, bis zur österreichischen Industriellenfamilie Todesco, die ab 1845 die Arbeitersiedlung der berühmten Fabrik Marienthal nahe Wien realisierte. Ein weniger bekannter Name in diesem Zusammenhang ist jener der Familie Bunzl, die ein bis heute existierendes Papier- und Recycling-Unternehmen betrieb. Max Bunzl verlegte 1883 den Firmensitz von Bratislava nach Wien, 1888 erwarb man die Kunstwoll-Spinnerei und -Weberei Ignaz Ortmann’s Nachfolger bei Pernitz in Niederösterreich und gründete dort 1917 auch eine Papierfabrik.

Hugo Bunzl (Bratislava 1883 – 1961 London) war schließlich jener Eigentümer, der sich mit der Lebensreform und mit den sozialen Konzepten moderner Architekten befasste. Schon während des Ersten Weltkrieges tauschte er sich intensiv mit den jungen Technik-Absolventen Oskar Strnad (1879-1935) und Josef Frank (1885-1967) aus, die – protegiert von Josef Hoffmann und anderen Pionieren der Wiener Moderne – zu den ersten Doktoratsstudenten der Technischen Universität Wien zählten und Dissertationen über mittelalterliche Architektur schrieben.

Josef Frank, Haus Hugo Bunzl, Ortmann 1914 (c) MAK ki-23126-37_1

Josef Frank, Haus Hugo Bunzl, Ortmann 1914 (c) MAK ki-23126-37_1

Mit diesem historischen Interesse begann ein dritter Weg der Wiener Moderne, der den Ästhetizismus der Secessionisten mit der kulturkritischen Position von Adolf Loos durch kluge und vor allem völlig undogmatische Synthesen zu verbinden wusste. Im Mittelpunkt ihrer Philosophie stand der Nutzer, der weder von einer durchdesignten Welt des Schönen erdrückt noch zum Verzicht auf alles Sentimentale gezwungen werden sollte. Der Mensch sollte so leben, wie es sein Charakter wünschte, und der Architekt hatte dazu nur sein Know-How in technischer und kultureller Hinsicht anzubieten. Aus diesen und aus Elementen des eigenen Wissens und der eigenen Geschichte sollten Nutzer dann ihre eigenen individuellen Umwelten zusammenstellen. Diese Individualisierung und Identifikation der Bewohner mit ihrem Haus sollte sinnstiftend und sozial wirken.

Die Arbeiterwohnhäuser von Josef Frank sind für den aktuellen Diskurs besonders wichtig, weil sie in einfacher Bauweise und platzsparend in Reihenhausform kleine, wohnliche Einheiten auf zwei Ebenen und mit viel Freiraumbezug auf Balkonen und Terrassen bieten.

 

Oskar Strnad, Arbeitersiedlung Ortmann, Projekt, 1917 (c) MAK ki-13911-8_1

Oskar Strnad, Arbeitersiedlung Ortmann, Projekt, 1917 (c) MAK ki-13911-8_1

1914 ließ Hugo Bunzl sich sein eigenes Wohnhaus in Ortmann von Josef Frank planen. Es zeigt klar die Inspiration durch das englische Vorbild, das damals für alle modernen Architekten verbindlich war und von Hermann Muthesius in seiner monumentalen dreibändigen Studie „Das englische Haus“ 1904-05 kanonisiert wurde. Das Haus Hugo Bunzl rezipiert insbesondere die wohnlichen Häuser des englischen Architekten Mackay Hugh Baillie Scott. Es avancierte zum Referenzbeispiel für gediegene, aber unaufdringliche, anheimelnde moderne Wohnarchitektur, das bald auch in der ersten großen Buchpublikation des Österreichischen Werkbundes publiziert wurde.

Die ersten Konzepte, die Hugo Bunzl mit Oskar Strnad noch während des Ersten Weltkrieges für eine Arbeitersiedlung in Ortmann bei Pernitz entwickelte, konnten kriegsbedingt noch nicht realisiert werden. Entwürfe für diese Siedlung bewahrt das MAK in Wien auf, das in den 1930er Jahren Teile des Nachlasses von Oskar Strnad erhielt.

Gleich nach Kriegsende griff Hugo Bunzl sein Projekt jedoch wieder auf und beauftragte diesmal Josef Frank 1921 mit den Entwürfen für Arbeiterwohnhäuser, Kindergarten und Schule. Die Arbeiterwohnhäuser von Josef Frank sind für den aktuellen Diskurs besonders wichtig, weil sie in einfacher Bauweise und platzsparend in Reihenhausform kleine, wohnliche Einheiten auf zwei Ebenen und mit viel Freiraumbezug auf Balkonen und Terrassen bieten. Insbesondere sind sie jedoch mit kleinen Wirtschaftsgärten ausgestattet, die den Gemüseanbau gestatten und damit die Unabhängigkeit der Bewohner unterstützen. Das war damals in Zeiten mit Versorgungsengpässen durchaus relevant und könnte es erneut werden, wenn wieder einmal Quarantäne angesagt ist.

Josef Frank, Siedlung Ortmann, ab 1921 (c) Hermann Czech

Josef Frank, Siedlung Ortmann, ab 1921 (c) Hermann Czech

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