Gemeindebau NEU Aspern H4

Die politischen Ereignisse im Wien der Zwischenkriegszeit geben kaum Anlass zu positiven Rückblicken. Eine Ausnahme bildet der Wiener Wohnbau, der in diesen keineswegs goldenen Jahren auch international Vorbildwirkung entfalten konnte. Die Wiener Stadtregierung reagierte damals auf die schon seit der Industrialisierung herrschende, durch den Ersten Weltkrieg verschärfte Wohnungsnot mit der Errichtung qualitätvoller Wohnanlagen für die breiten Massen. Heute, etwa 100 Jahre später, hat die Gemeinde nach längerer Pause wieder in die Rolle der Bauherrin zurückgefunden. An dem heuer in der Seestadt Aspern fertiggestellten, von WUP architektur geplanten Gemeindebau H4 lässt sich gut nachvollziehen, wie sich die Vorgaben an die Architektur im Laufe der Zeit geändert haben.
Bleiben wir zunächst bei Aspekten, die gleich geblieben sind: Wien antwortet mit der Errichtung neuer Gemeindebauten auf ein drängendes Bedürfnis nach mehr kostengünstigem Wohnraum. Das Elend der ArbeiterInnenschaft um die Jahrhundertwende in den von Spekulanten hochgezogenen, überteuerten Zinskasernen ist mit der heutigen Wohnsituation ebenso wenig zu vergleichen wie die enorme Wohnungsnot nach dem Ersten Weltkrieg. Doch Wien ist in den letzten dreieinhalb Jahrzehnten um mehr als 500.000 EinwohnerInnen gewachsen und leistbarer Wohnraum wird dringend benötigt.
Heute wie damals gilt das Bekenntnis der Politik zu hoher Qualität der Gemeindebauten. Kamen in der Zwischenkriegszeit die Entwürfe häufig von Architekten aus der Schule Otto Wagners, sichert man heute das Niveau durch Architekturwettbewerbe ab. Doch während die Anlagen ursprünglich in ihrer expressiven Architektursprache gestalterisch ebenso weit über den Standard des Geschosswohnbaus hinauswiesen wie in ihrer städtebaulichen Funktionalität und ihrer Wohnungsausstattung, wird man beim heutigen Wiener Gemeindebau bahnbrechende Neuerungen vergeblich suchen. Ebenso wie den Willen, sich den architektonischen Ausdruck einer Überzeugung oder zumindest eines Lebensgefühls etwas kosten zu lassen. Immerhin: Das einmal erkämpfte Qualitätsniveau der Wohnungen wurde nicht preisgegeben und man weiß auch heute noch, dass Gemeinschaftsräume und ein gewisser Mix an Nutzungen die Funktionalität einer Wohnanlage steigern können.

Die in kräftigen Tönen gefärbten Außenwände nehmen auf die historische Blütezeit des Wiener Gemeindebaus Bezug.
© Luiza Puiu
Die kostengünstigen Mieten werden jedoch nicht mehr wie in der Zwischenkriegszeit durch den widmungsgerechten Einsatz einer Steuer gewährleistet, sondern durch äußerste Reduktion der Gestehungskosten, an denen wiederum die stolzen Grundstückspreise den Löwenanteil haben. Die Politik hätte zwar mit Raum- und Bauordnung gute Instrumente in der Hand, um hier steuernd einzugreifen, doch dreht man lieber an der kleineren Schraube der Baukosten. Was der Kubikmeter Wohnbau beim Generalunternehmer kostet, ist bekannt; alle Qualitätsgewinne im Detail und im großen Ganzen hängen folglich am Verhandlungsgeschick der ArchitektInnen. WUP architektur hat für die Planung der Anlage nicht nur reiche Erfahrung im Geschosswohnbau mitgebracht, sondern auch die nötige Sensibilität für die Wirkung von Raum, Material, Licht und Farbe. Sie wissen, wofür es sich zu kämpfen lohnt. In ästhetische Standesdünkel werden weder Kraft noch Geld investiert, es zählt der Nutzen für die BewohnerInnen. Dieser ist allerdings keineswegs auf reine Funktionalität beschränkt, sondern umfasst auch die Arbeit an einem für die Anlage spezifischen Gestaltungsanspruch, nicht zuletzt als Anker der Identifikation mit dem Haus.
Die aus dieser Haltung gewonnene Klarheit trägt viel dazu bei, dass dem ersten Gemeindebau der Satellitenstadt die Rolle des hässlichen Entleins am See erspart geblieben ist. Als einfacher, siebengeschossiger Quader erhebt sich das Haus, schmalseitig von der Mela-Köhler-Straße erschlossen, am Elinor-Ostrom-Park. Bei der Standortwahl hat sich die Gemeinde nicht lumpen lassen...
Sie möchten weiterlesen? Dieser Beitrag ist Teil unserer Ausgabe 11/2023. Der Volltext ist ab Seite 104 zu finden.
Der Gemeindebau NEU Aspern H4 in Bildern: