Schule der Verbundenheit
In Szentpéterfa, einer rund 1.000 EinwohnerInnen zählenden kroatischen Minderheitensiedlung an der Grenze zu Österreich, steht Ungarns erste Schule, die aus einem partizipativen Planungsprozess hervorgegangen ist. Moderiert hat diesen das dafür spezialisierte Büro CAN Architects. Im Endergebnis steckt so etwas wie eine kleine architektonische Weltpremiere.
Die neue Grund- und Mittelschule von Szentpéterfa erfüllt 30 Jahre alte Träume. Mindestens ebenso lange hatten die GemeindevertreterInnen den Wunsch, die ersten acht Schulstufen an einem Standort zusammenzuführen. Zuvor waren die ersten vier Schulstufen in einem Gebäude nahe der Kirche und nur die 10- bis 14-jährigen SchülerInnen am aktuellen Standort untergebracht. Dieses straßenseitige Gebäude wurde nun für die Jüngeren adaptiert und beherbergt außerdem das LehrerInnenzimmer, die Direktion und einen „Kroatien-Raum“ samt Bibliothek und Landeskunde-Materialien. Den Bedürfnissen der GrundschülerInnen entsprechend sind die Klassenräume um Spiel- und Kuschelecken in „Alkoven“ – mit Teppichböden ausgelegte, erhöhte Nischen – angeordnet. Unter diesen und dem seitlich angrenzenden Kabinett gibt es genug Verstaumöglichkeiten für gerade nicht benötigte Lehrmittel, was vor visueller Überreizung schützt und den Kindern dabei hilft, ihre Aufmerksamkeit zu fokussieren.
In beiden Geschossen gehört der größte Raum dem Dazwischen: einem mit Kreativwand und Tischtennistisch ausgestatteten Begegnungs- und Multifunktionsbereich, der im Erdgeschoss um eine Garderobe erweitert ist. Auch das Nachbargebäude, in dem früher ein Arzt wohnte und praktizierte, wird nun von der Schule genutzt. Im Obergeschoss befindet sich eine Wohnung, die von externen Lehrkräften bewohnt werden könnte. Im Erdgeschoß ist derzeit nur ein Werkraum eingerichtet. Sobald die nötigen Mittel vorhanden sind, sollen hier auch die Umkleiden für die kleine Turnhalle, die im Schulhof geplant ist, untergebracht werden.
Die Turnhalle wird zum neuen Gebäude aufschließen, das für die oberen vier Jahrgänge im hinteren Teil des Geländes errichtet wurde. Auch hier ordnen sich auf zwei Etagen eher kleine, für maximal 15 SchülerInnen ausgelegte Klassenräume um einen zentralen Gemeinschaftsraum an. Im Erdgeschoss wird dieser meist als Kantine verwendet. Wird aber die Treppe zum Obergeschoss als Tribüne genutzt und die Wand zum angrenzenden Physikraum zur Seite geschoben, können hier auch etwas größere Veranstaltungen stattfinden.
Im Obergeschoss erschließt der zentrale Verteilungs- und Begegnungsbereich auch eine als Freiklasse oder für Yoga-Übungen vorgesehene Dachterrasse. Am meisten wurde in die Gestaltung der Klassenräume investiert. Pädagogische, umweltpsychologische, akustische sowie lichttechnische Untersuchungen haben zur Entwicklung der hier erstmals umgesetzten „Turning-Classrooms“ geführt. Ihr Grundriss ist zwar viereckig, kommt aber mit nur einem rechten Winkel aus, wodurch unterschiedlich lange Seitenwände entstehen, auf die man die Möblierung je nach Unterrichtssituation ausrichten kann: Für den klassischen Frontalunterricht empfiehlt sich die Orientierung zum verbliebenen rechten Winkel, für Gruppen- oder Einzelarbeiten eine Fokussierung zur kürzesten Seite. Plenardiskussionen wiederum profitieren von einer Ausrichtung zur längsten Seite, weil sich so ein Gefühl für Weite und Geräumigkeit vermitteln lässt. Wie gut solche „Turning Classrooms“ in der Praxis funktionieren, wird in den kommenden drei Jahre von einer an der Eötvös Loránd Universität (ELTE) in Budapest angesiedelten Postdoc-Forschungsgruppe mit pädagogischer, psychologischer und architektonischer Expertise erhoben werden.
Im Erdgeschoss haben die Klassen direkten Zugang nach draußen, Ausblick in Richtung Nachbarschaft hat man überall auf mindestens zwei Seiten. Auch zur inneren Umgebung vermitteln Verglasungen. Die insgesamt drei Gebäude des kleinen Schulcampus werden von überdachten Gängen verklammert. Ihr einladendes Signalrot versteht sich als Referenz an die kroatische Wappenfarbe...
Sie möchten weiterlesen? Dieser Beitrag ist Teil unserer Ausgabe 1-2/2024. Der Volltext ist ab Seite 78 zu finden.
Die Grundschule Szentpéterfa in Bildern: